Wie eine Potenz-App auf Rezept bei Erektionsproblemen helfen will
Die App ist seit Dezember als Diga zugelassen, also als digitale Gesundheitsanwendung, und kann somit von Ärzt:innen für Männer ab 18 Jahren verschrieben werden. Damit ist sie die erste urologische „App auf Rezept“. Auch eine digitale Verschreibung beispielsweise über die Teleclinic sei möglich. Um weiter zu wachsen konnte das Startup nun eine Series A Runde über 6,5 Millionen US-Dollar abschließen. Angeführt wurde die Runde vom französischen Health-VC Karista.
Die Ursachen für Erektionsstörungen oder „erektile Dysfunktion“, wie es medizinisch korrekt heißt, hätten Kleinschmidt zufolge zu 70 Prozent physische Ursachen. Übergewicht, Diabetes, aber auch Lifestyle-Faktoren wie zu wenig Bewegung oder rauchen gehörten zu den Risikofaktoren. Bei jungen Männern seien die Ursachen häufiger psychisch und hätten mit Leistungsdruck zu tun.
Klappt es mal nicht, so kann schnell ein Teufelskreis entstehen.
Kleinschmidt selbst kam als Sohn eines Urologie-Professors durch seine Familie schon früh mit dem Thema Männergesundheit in Berührung, entschied sich jedoch für eine Karriere in der Wirtschaft. Seinen Mitgründer und Co-CEO Jens Nörtershäuser lernte er bei McKinsey kennen. Für die wissenschaftliche Betreuung bei Kranus Health konnten die beiden Kurt Miller gewinnen, den ehemaligen Chefarzt der Urologie an der Berliner Charité. Nikolay Dimolarov, der zuvor unter anderem bei Celonis gearbeitet hat, ist CTO und der vierte Gründer im Bunde. Inzwischen besteht das Team bei Kranus Health aus 30 Mitarbeitenden in München und Berlin.
Keine „0 oder 1“-Thematik
„Fast alle Männer haben bereits Erfahrungen mit Erektionsstörungen gemacht“, sagt Nörtershäuser. Es sei keine „null oder eins“-Thematik. Wenn es mal nicht funktionierte, dann sei das schon „ein Schockmoment“, der viele Männer in „ihrem grundsätzlichen Selbstverständnis“ angriffe.
Hier könnte man anmerken, dass ja leider das Bild des über-potenten Alpha-Mannes, der immer kann, ja oft noch immer ein gesellschaftlicher Imperativ ist – und Erektionsprobleme ein Tabuthema, über das man nicht spricht. Auch diesem toxischen Männerbild wollen Kleinschmidt, Nörtershäuser und ihr Team etwas entgegensetzen. Mit Aufklärung zum Beispiel.
Männer holen sich seltener Hilfe
„Viele Männer vermeiden es, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen“, sagt Kleinschmidt. Wohl auch deswegen würden Männer im Jahr 2021 im Durchschnitt immer noch sechs Jahre früher sterben als Frauen.
Vor allem, wenn es um die gesundheitliche Prävention geht, seien Frauen viel besser. Für die meisten von ihnen sei ein jährlicher Besuch beim Frauenarzt genauso selbstverständlich wie ein Kontrolltermin beim Zahnarzt. Bei Männern sei das nicht so. Prostatakarzinome gehörten daher beispielsweise immer noch zu den häufigsten Todesursachen der Deutschen, obwohl man den Krebs durch Vorsorgeuntersuchungen frühzeitig erkennen und behandeln könne.
Auch Erektionsstörungen können ein erstes Warnsignal für eine sich anbahnende Herz-Kreislauf-Erkrankung sein, weswegen sie nicht ignoriert werden sollten. „Viele Männer über 50 mit Erektionsstörungen erleiden fünf Jahre nach dem ersten Auftreten einen Herzinfarkt“, sagt Nörtershäuser. Deswegen sind er und sein Team auch kein Fans von Pillen zur Potenzsteigerung wie Viagra, da sie nur die Symptome maskieren und nicht die Ursachen der Erkrankung behandeln würden.
Mit der Kranus-Edera-App sollen Männer die Ursachen von Erektionsproblemen nachhaltig bekämpfen können. Das zwölfwöchige digitale Coaching-Programm besteht aus Beckenbodentraining, physiotherapeutischen Übungen, kardiovaskulärem Ausdauertraining und Übungen zur Achtsamkeit und Körpererfahrung sowie sexualtherapeutischen Inhalten. Für die Entwicklung der App konnte das Male-Tech-Startup inzwischen insgesamt über zwei Millionen Euro an Seed-Finanzierung einsammeln.
„Es war eine Wette“
„Es war eine Wette“, sagt Nörtershäuser über die Diga-Zulassung. Denn die Voraussetzungen, um als digitale Gesundheitsanwendung zugelassen zu werden, seien streng. Bislang hat das Bundesministerium für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einschließlich der App Kranus Edera erst 26 Digas in Deutschland zugelassen.
Um als App im Diga-Verzeichnis aufgenommen zu werden, muss unter anderem ein medizinischer Nutzennachweis in Form von einer Studie erbracht werden. Dafür konnte Kranus Health insgesamt 44 Patienten rekrutieren. Die Ergebnisse der Datenerhebung wurden im September auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie in Stuttgart präsentiert. „Neben einer signifikant verbesserten erektilen Funktion, zeigte die große Mehrheit der Patienten eine Verbesserung der Lebensqualität und der Gesundheitskompetenz“, erklärt Laura Wiemer, Urologin und medizinische Direktorin bei Kranus Health.
Eine „multimodale“ Therapie
Eine begleitende Therapie mit Medikamenten (PDE-5-Hemmern) war im Testzeitraum zugelassen und wird auch ansonsten befürwortet. Nörtershäuser nennt das ein „multimodales“ Therapiekonzept. Eine weitere, randomisiert-kontrollierte Studie ist für dieses Jahr geplant. Bislang werde die App von einer dreistelligen Zahl an Patienten genutzt.
Die Vision der jungen Gründer ist ambitioniert. Sie wollen in den nächsten Jahren international expandieren, ihre Dienstleistungen ausweiten und „Pfizers Erfolg mit Viagra wiederholen“. Pfizers Umsatz mit Viagra lag 2019 bei rund 500 Millionen US-Dollar. Mit der neuen Finanzierungsrunde hat das Team nun einen wichtigen Grundstein gelegt, um weiter zu wachsen.