„Raw-Dogging“ im Flugzeug: Das steckt hinter dem neuen Social-Media-Trend
„Ich habe gerade einen 7-Stunden Flug mit Raw-Dogging verbracht“: Das postet der Fußballer Erling Harland Anfang August in seiner Instagram-Story. Was „Raw-Dogging“ in diesem Fall bedeutet? „Kein Telefon, kein Schlaf, kein Wasser, kein Essen, nur die Karte“.
Die Story zeigt Harland, wie er mit durchdringendem Blick den kleinen Bildschirm auf der Lehne vor ihm anstarrt, der die Flugroute zeigt. „#Easy” sei das gewesen, so Harland.
Der norwegische Profifußballer ist nicht der einzige, der derzeit auf Reisen stundenlang ins Leere stiert, sämtliche körperlichen Bedürfnisse und äußere Reize ignoriert und das Ganze dann stolz auf Social Media hochlädt. Aber wozu das Ganze?
„Raw Dogging“ neu besetzt: Worum gehts?
Wer sich zum ersten Mal mit „Raw-Dogging“ auseinandersetzt, findet schnell heraus: Ursprünglich bezeichnet der Begriff den Geschlechtsverkehr ohne Kondom. In der neu besetzten Variante geht es dagegen um das „rohe“ Aushalten und vermeintlich unverfälschte Erleben von Alltagssituationen, in denen wir uns sonst gerne mit Berieselung oder einer Nebenbeschäftigung die Zeit vertreiben.
Wer eine Flugreise, Zugfahrt oder schlicht den Toilettengang ohne Ablenkungen absolviert, so die Idee, trainiert den eigenen Fokus, zeigt Disziplin, Selbstbeherrschung und Willensstärke. Je länger die durchgestandene Phase, desto besser, ist dabei das Motto.
Als Inspiration für den Trend gilt übrigens der Serien-Charakter Sam Nelson, gespielt von Idris Elba. In Hijacked wird das Flugzeug, mit dem er unterwegs ist, von Kriminellen entführt und Nelson muss den siebenstündigen Flug ohne jeglichen Komfort hinter sich bringen.
Auf Reisen einfach vor sich hinstarren: Es kommt auf die Motivation an
Während Sam Nelson in Hijacked also ziemlich unfreiwillig stundenlang vor sich hinstarren muss, begeben sich die „Raw Dogging“-Fans freiwillig in den abgekapselten Ausnahmezustand. Die Motivation dürfte dabei von Person zu Person unterschiedlich sein.
Auf der Schattenseite des „Raw-Dogging“ steht ein Männlichkeitsideal, das maximale Selbstbeherrschung und den ständigen Vergleich mit anderen propagiert. Das Wetteifern darum, nicht nur auf mediale Ablenkung zu verzichten, sondern auch möglichst lange grundlegende körperliche Bedürfnisse zu ignorieren, ist im Sinne der eigenen Gesundheit allerdings keine besonders gute Idee.
Wer sich weniger an Extremen und dem gegenseitigen Vergleich orientiert, kann das ablenkungsfreie Vor-sich-Hinstarren aber vielleicht doch für sich nutzen. Schließlich hat das neu besetzte „Raw-Dogging“ auch einen meditativen Charakter.
Beim Versuch, äußere Ablenkungen möglichst gut auszublenden, entsteht Raum für die eigenen Gedanken. Wie schwer oder leicht fällt es, sich auf das zu fokussieren, was im Inneren gerade passiert? Folgt man einzelnen Gedanken oder schafft man es, sie meditativ vorbeiziehen zu lassen, vielleicht sogar ganz im geistigen Leerlauf zu landen?
Indem Zugfahrten oder Flüge ein längeres, aber klar abgeschlossenes Zeitfenster belegen, bieten sie Platz für entsprechende Selbstexperimente – ob man das Ergebnis dann stolz auf Social Media postet und mit #rawdogging betitelt, bleibt dann ja noch immer jedem/ jeder selbst überlassen.