Dr. Isabella Helmreich ist psychologische Psychotherapeutin und Expertin für Gesundheitsprävention am Leibniz-Institut für Resilienzforschung (LIR) in Mainz. Ihr Schwerpunkt ist die Förderung von Resilienz – also diese viel zitierte Fähigkeit, die die eigene psychische Gesundheit erhalten oder wieder aufrichten soll, wenn uns Rückschläge treffen. Dabei sei diese Fähigkeit weder eine Charaktereigenschaft noch in den Genen verankert, sagt sie. Resilienz ist erlern- und trainierbar – wie Schwimmen und Radfahren. Wer sich in Resilienz übt, lernt seine Ressourcen kennen, stärkt sein Selbstwertgefühl und gewinnt eine optimistische, positive Sicht auf das Leben.
Dieses Interview ist zuerst in der Ausgabe 2/2023 von MIT Technology Review erschienen. Hier könnt ihr die TR 2/2023 bestellen.
MIT Technology Review (TR): Es gibt gerade viele Texte, die von Resilienz handeln. Wie sinnvoll ist es, beispielsweise einen Ratgeber dazu in einem Magazin zu lesen? Hilft das?
Isabella Helmreich: Resilienz ist gerade ein absolutes Modewort, es gibt immer mehr Publikationen dazu. Das ist gut, weil Resilienz wichtig ist und dadurch die Awareness gesteigert wird. Den Menschen wird bewusst, dass es nicht nur die pathologische Sichtweise gibt, in der man sagt, „die Psyche wird krank“. Bei dem Thema Resilienz geht es mehr um eine Ressourcen-orientierte Perspektive: Was für Stärken und Ressourcen hat man und wie kann man die gut nutzen? Ein Problem dabei ist jedoch, dass es selbst in Forschungspublikationen ganz unterschiedliche Definitionen davon gibt, was Resilienz überhaupt ist.
Niemand ist durchgängig resilient, auch nicht Resilienzforscherin Isabella Helmreich. (Bild: Dawin Meckel/OSTKREUZ)
TR: Wie würden Sie denn beschreiben, was Resilienz ist?
Helmreich: Resilienz definieren wir am Leibniz-Institut für Resilienzforschung als Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der psychischen Gesundheit während oder nach widrigen Lebensumständen.
„Gehirn als Resilienzorgan“
TR: Woran genau forschen Sie denn, wenn Sie zu Resilienz forschen?
Helmreich: Erstmal versuchen wir, eine gute Resilienzdefinition in der Forschung zu verankern. Zweitens fokussieren wir uns auf das Gehirn als Resilienzorgan: Was für Strukturen, was für Mechanismen im Gehirn sind wichtig? Was hilft Menschen dabei, Stress und schwierige Situationen gut zu überwinden? Basierend auf diesen Erkenntnissen entwickeln wir dann Interventionen, die Menschen bei der Bewältigung von Widrigkeiten und Stress helfen können. Der dritte Fokus ist, nicht nur auf das Individuum, sondern auch auf die Gesellschaft zu schauen: Was kann man im Arbeitsumfeld oder der Umwelt tun, um Menschen möglichst gute Lebensbedingungen zur Verfügung zu stellen?
TR: Sie untersuchen also an Gruppen von Menschen, wie diese mit Krisen umgehen?
Helmreich: Wir haben zum Beispiel gerade einen Artikel zu akademischer Resilienz geschrieben: Was sind Stressoren von Studierenden? Was brauchen Studierende, wo haben sie Schwierigkeiten und wie kann man durch Trainings und Interventionen Resilienz fördern? Aber auch: Wie kann man im Hochschul-Kontext dafür sorgen, dass Studierende, die Hilfe benötigen, diese auch bekommen?
Die richtigen Ressourcen für den Umgang
TR: Und lässt sich aus so einer Studie dann etwas Allgemeines ableiten, was man in einem Heft wie zum Beispiel der MIT Technology Review als Tipp weitergeben könnte?
Helmreich: Das Gießkannenprinzip ist oft nicht so hilfreich. Resilienz ist etwas sehr Individuelles und Kontextspezifisches. Es kommt darauf an, welchem Stress Sie ausgesetzt sind und welche Ressourcen Sie dafür haben. Deswegen kann zum Beispiel ein bestimmter Stressor bei einer Person, die nicht die richtigen Ressourcen für den Umgang damit hat, extrem belastend für diese Person sein. Andererseits: Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Konflikt mit Ihrem Chef bei der Arbeit und Sie haben gerade genau die richtigen Ressourcen dafür, weil Sie vielleicht vor Kurzem ein Konfliktmanagement-Seminar besucht haben – dann macht Ihnen dieser Stress vielleicht gar nichts aus. Deswegen ist es hilfreich, ein breites Repertoire an Stressbewältigungsstrategien zu besitzen. Das ist auch, was wir in unseren Resilienztrainings versuchen zu vermitteln. Wir stellen die verschiedenen Resilienzfaktoren und Strategien vor und üben diese praktisch ein. Dann können die Menschen selbst schauen, welche Faktoren sie bereits besitzen und anwenden und welche sie noch dazuholen könnten, um für die Zukunft besser ausgerüstet zu sein.
Der Stellenwert von sozialer Unterstützung
TR: Gibt es denn einen Resilienzfaktor, der über verschiedene Studien hinweg immer wieder auftaucht?
Helmreich: Da gibt es einige. Einer der mit am besten untersuchten Faktoren ist die soziale Unterstützung: Freunde, ein gutes soziales oder berufliches Netzwerk helfen in den meisten Lebenslagen. Allein wenn man das Gefühl hat, man könnte auf soziale Unterstützung zurückgreifen, hilft es oft schon dabei, mit stressigen Situationen entspannter umzugehen.
TR: Freunde zu haben und Freundschaften zu pflegen, ist auch keine ganz einfache Angelegenheit, wenn man ohnehin mit Stress zu kämpfen hat. Was halten Sie von Achtsamkeit?
Helmreich: Achtsamkeit hilft mir natürlich, besser auf mich zu achten, auch im Hier und Jetzt zu sein. Ein Problem, das wir in unserer digitalen Gesellschaft haben, ist, dass wir sehr selten im Hier und Jetzt sind. Weil uns die digitalen Medien erlauben, viel in der Vergangenheit zu sein und zu gucken: Was ist denn gerade passiert, was habe ich verpasst? Aber natürlich auch ganz viel in der Zukunft zu sein und neue Verabredungen zu treffen. Deswegen sind achtsamkeitsbasierte Techniken oft ein wichtiges Element in Resilienztrainings, um mehr bei sich zu sein.
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Hohe Nachfrage
TR: Ich beobachte an mir, dass ich in stressigen Situationen reflexartig mein Handy raushole und durch soziale Netzwerke scrolle. Und ich habe nicht das Gefühl, dass ich damit die jeweiligen Probleme löse. Es fühlt sich eher an wie eine kleine Pause von meinem Leben. Meine Wahrnehmung ist, dass ganz viele Menschen das so machen. Haben Sie das auch schon beobachten können?
Helmreich: Also, eine valide Forschungsarbeit dazu habe ich jetzt gerade nicht im Kopf. Aber was Sie beschreiben, klingt eher nach einer kurzen Ablenkung und nicht nach tatsächlicher Entspannung. Es ist vielleicht nicht so anstrengend wie fokussiertes Arbeiten. Aber das Gehirn kriegt ja trotzdem ständig Reize. Man vergleicht sich. Das kostet auch wieder Energie. Wenn Sie die Psyche entspannen wollen, wäre es besser, sich auf sich selbst zu konzentrieren, auf seinen Atem zum Beispiel, ohne ständig über irgendwas nachzudenken oder Informationen zu verarbeiten. In der Achtsamkeitspraxis ist hierzu eine der Techniken die bewertungsfreie Wahrnehmung.
„Viele wären gerne wie eine Teflon-Pfanne“
TR: Die Nachfrage nach Resilienz und Achtsamkeit ist hoch – vor allem nach einer Universallösung für alle Probleme. Die Bestsellerlisten sind voll von Ratgebern, die uns erklären, dass wir wahlweise jeden Tag um fünf aufstehen, eisbaden, aufräumen, richtig schlafen, essen oder trinken müssen und positiv denken sollen.
Helmreich: Ja, der Wunsch nach einem Kochrezept für die Widrigkeiten des Lebens ist hoch. Viele wären auch gerne wie so eine Teflon-Pfanne, an der alles abprallt. Und das ist eben genau das, was Resilienz nicht sein soll. Es geht nicht darum, alles Unangenehme irgendwie wegzumachen und uns von unseren Gefühlen abzuschneiden. Resilienz bedeutet, dass wir mit den unterschiedlichsten Emotionen gut umgehen können. Es geht nicht darum, nur positive und gute Gefühle zu haben. Auch die negativen und unangenehmen Gefühle gehören zum Leben dazu. Das macht uns ja als Menschen aus, dass wir ein Auf und Ab erleben. Wir brauchen auch Phasen, in denen es uns nicht so gut geht, um uns weiterzuentwickeln und auch um die schönen Phasen schätzen zu können. Resilienz hilft dabei, aus einer dunklen Phase wieder herauszukommen, nicht stecken zu bleiben, aber auch die schönen Seiten des Lebens wertzuschätzen und zu würdigen.
TR: Wenn Resilienztraining meine Probleme nicht löst, hilft es mir dann wenigstens gegen meinen Alltagsstress, etwa bei der Arbeit?
Helmreich: Stress ist etwas ganz Natürliches und gehört zum Leben, nur zu viel sollte es nicht sein. Resilienz hilft dabei, das richtige Maß zu halten oder einzufordern. Das heißt, es bedeutet auch, bei bestimmten Stressoren zu sagen: Jetzt kann ich nicht mehr, hier muss ich Grenzen ziehen. Die Gefahr von Resilienztrainings ist, dass damit noch mehr Verantwortung auf das Individuum geschoben wird, zum Beispiel auf Arbeitnehmer, nach dem Motto: „So, wir machen dich jetzt resilient, damit du noch mehr leisten kannst und noch mehr ausgebeutet und optimiert wirst, um in die unguten Arbeitsbedingungen zu passen.“ Aber es soll nicht nur um Verhaltensprävention, sondern auch um Verhältnisprävention gehen, also Veränderungen von schlechten Lebens-, Arbeits- und Umweltbedingungen.
„Heutzutage fehlen die Pausen und die Zeit zur Erholung“
TR: Woher kommt diese offenbar gesellschaftsweite Sehnsucht nach einfachen Lösungen gegen persönlichen Stress?
Helmreich: Mit der Globalisierung, der Technologisierung und der Digitalisierung ist alles schnelllebiger geworden. In Studien und Umfragen geben Menschen beispielsweise an, dass sie sich gestresster fühlen als noch vor zehn Jahren. Diese unbegrenzten Möglichkeiten schaffen einerseits viel Freiheit, andererseits verursachen sie Stress: Sich immer präsentieren zu müssen, immer das Beste aus sich herauszuholen, ständig entscheiden zu müssen: „Tue ich dies? Tue ich das? Und wohin führt das und warum?“ Wenn man die Daten von repräsentativen Umfragen über Jahre vergleicht, sieht man, dass Menschen angeben, sich heute mehr gestresst zu fühlen als früher. Auch aus den Reports der Krankenkassen geht hervor, dass psychische Erkrankungen auf dem Vormarsch sind. Allerdings haben wir dabei ein Henne-Ei-Problem: Ist es der aktuelle Lebensstil? Oder trauen sich die Menschen eher, darüber zu sprechen?
Die Probleme der heutigen Zeit
TR: Verweichlichen wir mental? Früher sind die Leute noch an Lungenentzündungen gestorben – und jetzt bekomme ich nur E-Mails von meinem Arbeitgeber nach Feierabend. Das sind doch eigentlich keine Probleme mehr, oder?
Helmreich: Heutzutage fehlen die Pausen und die Zeit zur Erholung, insbesondere auch der geistigen. Durch die Digitalisierung und Globalisierung können negative Nachrichten aus aller Welt unbegrenzt auf uns einstürmen. Zudem ändern sich Traditionen und Werte durch unsere moderne Lebensweise so schnell und oft radikal wie noch nie im Leben der Menschheit. Das schafft ein Gefühl der Verunsicherung und manchmal auch der Hilflosigkeit – insbesondere, wenn bisher gelernte Copingstrategien plötzlich nicht mehr greifen, wie z. B. in der Pandemie.
Dennoch sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die Forschung gezeigt hat, dass der Mensch robuster ist, als man denkt. Gegenüber kritischen und potenziell traumatischen Lebensereignissen wie einem Autounfall oder einer schweren Krankheit ist ein großer Teil der Menschen resilient. Rund 65 bis 85 Prozent können durchschnittlich trotz solcher traumatischen Erlebnisse ihre psychische Gesundheit aufrechterhalten. Es gibt aber auch einen Teil der Menschen, denen das schwererfällt: Vulnerable Gruppen wie Jugendliche aus benachteiligten sozialen Schichten oder Alleinerziehende haben es oft schwerer. Wir forschen an der Frage, wie man diese Gruppen stärken kann.
TR: Gibt es einen Aspekt, der Ihrer Meinung nach in der Resilienzdebatte zu kurz kommt?
Helmreich: Zwei Dinge: Erstens sollten wir darauf achten, dass es nicht nur darum geht, das Individuum raffinierter zu machen, damit es besser mit den Anforderungen der Gesellschaft umgehen kann. Und zweitens: Ich finde scheitern wichtig. Und es gehört zum Leben dazu. Es gibt auch das Prinzip der Stress-Impfung: Es kann gut für uns sein, wenn Dinge nicht klappen, und wir lernen, damit umzugehen. Nur so können wir auch über uns hinauswachsen.
Fast fertig!
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