Review: Linux-Distribution Elementary OS 6 gründlich missraten
Elementary OS hat den Ruf, eine der grafisch schönsten Linux-Distributionen überhaupt zu sein. Das Projekt startete 2007 als Icon-Sammlung und verfolgt konzeptionell das Ziel, eine besonders aufgeräumte Optik und hohe Usability zu bieten. Nur auf den ersten Blick orientiert es sich dabei an macOS, von dem es sich in der Bedienung doch sehr unterscheidet. Beispielsweise gibt es keine globale Menü-Zeile, die Bedienelemente der Fenster sind anders angeordnet und Fenster lassen sich nicht minimieren. Deshalb ist die Benutzung für Anwender von Windows, macOS oder auch anderer Linux-Distributionen eher gewöhnungsbedürftig und hakelig.
Das neuen Release Nummer 6 namens Odin setzt auf Ubuntu 20.04 auf und enthält eine Reihe von Detailverbesserungen. An verschiedenen Stellen lässt sich das System intuitiv mit Multitouch-Gesten auf dem Touchpad bedienen, ähnlich wie es Gnome 40 vormacht. Das neue, augenfreundliche Dark Theme für nächtliche Nutzung ist ausgesprochen gut gelungen. Bei Sonnenauf- und -untergang oder zu beliebigen Uhrzeiten kann das System auch automatisch zwischen hellem und dunklem Theme umschalten. Vom kommenden Android 12 guckt sich Elementary OS die Idee ab, dass die Hervorhebungsfarbe aus dem gerade aktuellen Hintergrundbild abgeleitet werden kann. Da sich ansonsten beim Wechsel des Hintergrundbildes farblich nichts ändert, ist das eine Subtilität, die kaum auffallen dürfte.
Das Software-Center zum einfachen Installieren von Apps setzt jetzt ganz auf Flatpak als Paketformat. Einige Apps werden darin gegen Geld angeboten, allerdings funktioniert das nach dem „Pay what you want“-Prinzip: Man muss nicht die voreingestellten Preise wählen, sondern kann auch einfach 0 Euro eingeben. Nach dem gleichen Prinzip funktioniert übrigens auch der nur scheinbar kostenpflichtige Download von der Website. Dieses Konzept ist durchaus fragwürdig, weil es von vielen Anwender:innen nicht auf Anhieb durchschaut wird.
Überarbeitet wurde auch die Anzeige von Notifications, die unter anderem auch melden, wenn ein auf einer Shell per Kommandozeile angestoßener Prozess beendet wurde. Einige Apps wurden eigens für Elementary OS entwickelt, um sich gut in die Optik des Systems einzufügen. Diese Apps sind ebenfalls überarbeitet worden, wobei besonders der sehr gelungene Editor „Code“ hervorzuheben ist.
Release in miserablem Zustand
Elementary OS 6 könnte also ein richtig rundes und gelungenes Release sein, wäre die Distribution nur nicht jenseits der Benutzungsoberfläche in einem so miserablen Zustand. Die Probleme beginnen beim Installieren neben Windows auf einer freien Partition, das vom Installationsprogramm verweigert wird, ohne mitzuteilen warum. Leidgeprüfte Pop-OS-Nutzer:innen kommen eventuell von alleine auf die Idee, am Ende der Festplatte eine zweite UEFI-Partition hinzuzufügen, was das Problem löst, aber darauf muss man erstmal kommen.
Ist die Installation geglückt, wird man von einem flotten System begrüßt, das auch auf alter Hardware sehr responsiv ist und das in Benchmarks ungefähr gleich schnell ist wie die anderen aktuellen Distributionen. Die Freude wird von kleinen Grafik-Glitches getrübt, etwa Fenster-Resten, die im ausgeklappten Startmenü angezeigt werden. Wahrscheinlich ist es ein Treiber-Problem und der fürs Testsystem passende Nvidia-Treiber lässt sich problemlos über das Software-Center installieren. Seitdem gab es im Test keine Glitches mehr, dafür wollte das System nicht mehr aus dem Standby-Modus aufwachen. Nach Wechsel auf ältere Treiberversionen kommt immerhin ein beweglicher Mauszeiger aus dem Aufwachen zurück, aber nichts, was sich damit anklicken ließe.
Kaum Software vorhanden
Wer mit einem System arbeiten möchte, benötigt Software und gerade aktuelle Linuxdistributionen enthalten eine unübersehbare Auswahl an Software, die sich mit wenigen Klicks und kostenlos installieren lassen. Nicht so in Elementary OS 6. Während des Tests fanden sich weder Mozilla Firefox noch Libre Office oder Keepass im Softwarecenter. Wer sie haben möchte, muss sie auf der Kommandozeile mit dem „apt-get“-Befehl installieren. Wahrscheinlich ist das ein Bug in der Flatpak-Einbindung. Das dürfte viele Linux-Nutzer:innen nicht weiter stören und mag für minimalistische Distributionen auch ein gutes Konzept sein, für eine Distribution, die eine derart hohen Maßstab an Mausbedienbarkeit stellt, ist das schlicht inakzeptabel.
Die so installierten Programme sind schlecht ins System integriert, oft muss die Sprache erst noch auf Deutsch umgestellt werden und ein womöglich genutztes Dark Theme ignorieren sie. Doch leider ist das Nachinstallieren von Software ist auch unbedingt nötig, weil die vorinstallierte weitgehend unbrauchbar ist. Der auf Gnome Web basierende Browser zeigte im Test ausschließlich Fehlermeldungen, egal welche Webseiten ihm vorgesetzt wurden. Das auf Geary basierende E-Mail-Programm kann noch immer nicht zufriedenstellend mit mehreren Accounts umgehen und beispielsweise keine Mails von einem Account in einen anderen kopieren. Der Kalender lässt sich nicht ohne weiteres mit einem Google-Kalender verbinden und die nagelneue Todo-App öffnet sich einfach kommentarlos gar nicht nach entsprechendem Klick.
Für Gaming völlig ungeeignet
Zu diesen groben Schnitzern kommen noch viele Details, die unausgegoren sind. So sind Fortschrittsbalken beim Kopieren von Dateien nicht an ihr Fenster gebunden, sondern fliegen irgendwo herum. Die ungewohnt angeordneten Bedienelemente der Fenster sind nicht immer links und rechts sondern können auch mal beide links liegen. Nach einem Download in Firefox reagiert das Programm scheinbar nicht auf einen Klick, um den betreffenden Ordner aufzurufen. Allerdings nur scheinbar: Der Ordner öffnet sich auf einem anderen virtuellen Desktop, wenn dort gerade noch ein Fenster vom Dateimanager offen ist, ohne dass es auf den Klick irgend eine Form von Feedback auf dem ersten virtuellen Desktop gäbe, auf dem man gerade arbeitet.
Eine besondere Dreistigkeit ist die Werbeaussage, dass Elementary OS sich angeblich besonders gut fürs Gaming eignet, während Steam mit einer Fehlermeldung wegen fehlender Bibliotheken den Dienst quittiert, die sich noch nicht einmal nachinstallieren lassen, ohne weitere Repositories einzubinden. Das lässt sich sicher irgendwie lösen, ist aber die Mühe nicht wert, da Steam in anderen aktuellen Distributionen out of the Box läuft.
Beschämendes Fazit: Was die Entwickler:innen von Elementary OS hier als Final Release abgeliefert haben, ist eher eine Demo als eine Beta. An einen produktiven Einsatz ist kaum zu denken, von einem Upgrade ist im derzeitigen Zustand dringend abzuraten. Insbesondere Anfänger:innen, die sich noch nicht besonders gut mit Linux auskennen, sollten die Finger von Elementary OS 6 lassen.
Ich kann dieser Rezension leider so nicht zustimmen. Die vielen beschriebenen Probleme sind bei mir nicht aufgetreten. Ich konnte Elementary problemlos neben Windows installieren, auch Grafik-Glitches gab es nicht und außerdem muss ich nicht Software per apt-get installieren (es sei denn, es gibt sie nicht als Flatpak – Elementary empfiehlt offiziell die Installation per Flathub und das funktioniert problemlos). Ebenso zumindest bei mir weder Probleme mit dem E-Mail Programm, noch mit den anderen Systemanwendungen. Mit anderen Worten: Bei mir ist keines dieser Probleme aufgetreten. Das einzige, was ich bemerkt habe ist, dass sich das Anwendungen-Menü erst nach einem Neustart aktualisiert. Allerdings wird dieser Bug sicherlich behoben.
Ja, Elementary wirkt noch nicht komplett fertig, was aber aus meiner Sicht in erster Linie am recht leeren AppCenter liegt. Dies wird sich aber denke ich schnell ändern. Es müssen einfach nur die Flatpak-Programme integriert werden.
Insgesamt, finde ich, eine recht unfaire Rezension.
„Nicht so in Elementary OS 6. Während des Tests fanden sich weder Mozilla Firefox noch Libre Office oder Keepass im Softwarecenter. Wer sie haben möchte, muss sie auf der Kommandozeile mit dem „apt-get“-Befehl installieren. Wahrscheinlich ist das ein Bug in der Flatpak-Einbindung.“
Das ist kein Bug, sondern scheint Absicht zu sein.
Damit Flatpaks „freigeschaltet“ werden, muss man zunächst ein (beliebiges) Flatpak von flathub.org runterladen (über den Browser) und installieren. Das geht ohne Weiteres. Danach füllt sich das AppCenter (dann sind auch Firefox, Thunderbird, Libreoffice und der ganze Rest da) und alle anderen Flatpaks können dort installiert, aktuell gehalten oder gelöscht werden.
Das ist in der Tat unnötig kompliziert, gerade für die avisierte unerfahrene Zielgruppe. Wenigstens ein Hinweis auf diese Vorgehensweise beim Öffnen des AppCenters wäre gut. Oder einfach die Frage „Es stehen Apps aus Fremdquellen zur Verfügung. Sollen diese freigeschaltet werden? Beachten Sie, dass elementary OS dafür keine Garantie übernimmt. – Ja / Nein“. Sowas in der Art wäre gut. So wie es jetzt ist, ist das der für mich größte Kritikpunkt.
Ich kann eurem Artikel überhaupt nicht zustimmen.
elementaryOS ist wundervoll!
Läuft sogar auf einem sehr alten 2core i3 Laptop ohne Probleme (Installation mit und ohne UEFI fehlerfrei möglich)
Flatpack macht das recht minimal gehaltene System rund.
Selbst die Module für den ganzen Laptop Schnickschnack wurden einwandfrei eingebunden, Wlan läuft auf Anhieb…
elementary os ist sicher nicht so stabil wie ein „PiMix“ von Tony George (vermutlich das stabilste Linux), dafür kommt es von der Bedienung und vor allem vom Anblick einem macOS sehr nahe. Selbstverständlich sind auch bei elementary os einige Klippen zu umschiffen, aber dies ist auch bei allen anderen Linux’en so, selbst macOS ist nicht fehlerfrei. Ich habe elementary os zusätzlich auf einem schnellen USB-Stick installiert und es läuft daher auch unterwegs sehr stabil, einen USB-Anschluss findet man an jedem PC. Da ich auf einem Linux-System (welches auch immer) ohnehin jedes mal meine Original-Apps bzw. App-Alternativen installiere, die auch unter macOS reibungslos ihren Dienst verrichten, ist elementary os für jeden macOS-Inhaber (iMac, MacMini, MacBookPro) eine Super-Sache, da auch die Hardwareerkennung sehr gut funktioniert. Wer nicht bereits ist, viel zu lesen und auch mal ein Terminal zu nutzen, ist ohnehin mit Windows besser versorgt. Übrigens läuft auch Windows 11 mit Patch auch noch als Bootcamp-Installation auf einem 8 Jahre alten MacMini, auch hier muss man das Terminal nutzen.