Sanktions-Paket: So sieht die deutsche Wirtschaft ohne Russland aus
Russland hat im Vorjahr einen Anteil von 2,3 Prozent am deutschen Außenhandel (59,8 Milliarden Euro) eingenommen und war außerhalb der Europäischen Union der viertwichtigste Importpartner sowie der fünftwichtigste Abnehmer deutscher Waren. Dieser Anteil dürfte sich bald ändern. Denn nach Putins gewalttätigem Vorstoß in die Ukraine haben sich die Staats- und Regierungschefs der EU in einem Sondergipfel letzte Nacht auf ein umfangreiches Sanktionspaket gegen Russland geeinigt. Betroffen sind unter anderem die Bereiche Energie, Finanzen und Transport. Zudem soll es Exportkontrollen für bestimmte Produkte sowie Einschränkungen bei der Visapolitik geben. Das Paket wurde bereits über die vergangenen Wochen vorbereitet.
Was bedeuten die Russland-Sanktionen für die deutsche Wirtschaft?
Erdöl und Erdgas als Importschlager
Für Deutschland spielt Russland in erster Linie als Rohstoffexporteur eine Rolle. Insgesamt wurden 2021 Waren im Wert von 33,1 Milliarden Euro aus der Russischen Föderation importiert – ein Plus von 34 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Für übrige Handelsbeziehungen sei Russland vergleichsweise unbedeutend, sagt Stefan Kooths, Vizepräsident und Konjunkturchef des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW Kiel), in einer aktuellen Meldung.
Mit einem Anteil von 59 Prozent machten Erdöl und Erdgas im Jahr 2021 den größten Teil aller Importe aus Russland aus, was einem Wert von 19,4 Milliarden Euro entspricht. Zudem wurden Metalle im Wert von 4,5 Milliarden Euro, Mineralöl- und Kokereierzeugnisse im Wert von 2,8 Milliarden Euro sowie Kohle im Wert von 2,2 Milliarden Euro importiert. Das neue Handelsembargo der EU dürfte Russland daher wirtschaftlich besonders bei der Sanktionierung von Ölexporten treffen – und zwar „sehr viel härter“ als die westlichen Verbündeten, so Hendrik Mahlkow, Handelsforscher am IfW Kiel.
Wird das Gas knapp?
In Europa könnte durch die Sanktionen insbesondere die Gasversorgung zu einem Problem werden. Denn Deutschland ist derzeit stark von russischem Gas abhängig. Laut dem Vizepräsident des IfW Kiel wird das aber erst im kommenden Winter ein ernsthafteres Thema werden – wenn denn der Winter weiterhin mild bleibt. Kooths sagt: „Russland hat über Jahrzehnte Vertrauen in die Liefertreue aufgebaut. Ob man dies nun verspielen soll, wird man sich in Moskau sehr genau überlegen.“ Wenn es doch hart auf hart kommt bestünde ihm zufolge kurzfristig die Möglichkeit, Gas bei der Stromerzeugung herunterzufahren und wieder vermehrt auf Kohleverstromung zu setzen. Er sagt: „Am ehesten dürften Braunkohlekraftwerke noch Reserven bieten.“
„Am ehesten dürften Braunkohlekraftwerke noch Reserven bieten.“ – Stefan Kooths, Vizepräsident des IfW Kiel
Womit wir laut Kooths definitiv rechnen können, sind steigende Rohstoffpreise, die sich wiederum dämpfend auf die Konjunktur im Westen auswirken werden. Er sagt: „Zunächst werden die Preise an den Spot-Märkten steigen. Für Industrie und Verbraucher:innen schlägt sich das meist mit etwas Verzögerung in höheren Preisen nieder.“
Ausgleichend könnte dagegen wirken, dass die Auftriebskräfte im Westen nach der Coronakrise weiterhin stark sind. Kooths sagt: „Die Industrie ist hierzulande mit einem rekordhohen Auftragsüberhang in das Jahr gestartet. Unsicherheit ist immer Gift für die Konjunktur. Ob aber der Konflikt mit Russland so toxisch wird, dass er die Post-Corona-Erholung abwürgt, ist noch nicht abzusehen.“
Was ist mit den deutschen Exporten?
Kooths zufolge ist Russland für Deutschland beziehungsweise die EU als Absatzmarkt gesamtwirtschaftlich weniger wichtig. Lediglich zwei Prozent der deutschen Exporte gingen nach Russland – das entspricht einem Äquivalent von 26,6 Milliarden Euro. Exportiert wurden vor allem Maschinen, Kraftwagen und Kraftwagenteile sowie chemische Erzeugnisse. Für die gesamte EU beträgt der Export-Anteil vier Prozent.
Wird die Inflation durch die Sanktionen weiter steigen?
Höhere Rohstoffpreise sowie die wegen Lieferengpässen gestiegenen Erzeugerpreise haben bereits in den letzten Monaten zu einer hohen Inflationsrate beigetragen. Mit 5,3 Prozent erreichte die Inflationsrate im Dezember 2021 den höchsten Wert seit fast 30 Jahren. Im Januar sank sie leicht auf 4,9 Prozent.
Der russische Angriff auf die Ukraine dürfte die Situation wieder verschärfen. Nils Jannsen, Konjunkturexperte IfW Kiel, sagt: „Sofern die Rohstoffpreise nicht rasch sinken oder die Lieferengpässe spürbar nachlassen, wird die Inflation noch für einige Zeit auf deutlich erhöhtem Niveau bleiben.“ Laut einer neuen Schätzung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), könnte die Jahresteuerung auf über sechs Prozent ansteigen.
EU-Rettungsfonds für Unternehmen
Dass es Schäden aus den Sanktionen für Unternehmen geben wird, sei jedoch nicht vermeidbar. Um diese abzudämpfen, fordert Kooths, einen Hilfsfonds aufzusetzen. Er sagt: „Die negativen Rückwirkungen werden ungleich verteilt sein, daher wäre es ratsam, die im Russlandgeschäft besonders exponierten Unternehmen durch einen entsprechenden Fonds zu unterstützen – idealerweise EU-weit.“
Ein solcher Fonds sei Kooths zufolge nicht nur ökonomisch stimmig, weil durch ihn die Kollateralschäden eines außenpolitischen Ziels der EU als Gemeinschaftsgut von allen anteilig getragen würden. Er hätte zudem den Vorteil, dass er Entscheidungen der EU-Lenker:innen beschleunigen würde, weil die länderweise unterschiedliche Betroffenheit dadurch abgefangen werden könnten.
Das schärfste Schwert wurde noch nicht gezückt
Insgesamt bezweifeln Kooths und andere Expert:innen jedoch, dass die bislang verabschiedeten wirtschaftlichen Sanktionen Putin stoppen können. Denn die Folgen wird Russland erst mittel- bis langfristig zu spüren bekommen. Kooths meint: „Die Weltmarktanteile des russischen Öls können andere Lieferländer kurzfristig nicht ausgleichen. Deshalb würde ein Ölembargo Russland kurzfristig kaum wirtschaftlich in die Knie zwingen.“
Eine Strafmaßnahme gegen Russland, die bislang noch nicht zum Tragen gekommen ist, ist Russlands Ausschluss vom Banken-Kommunikationsnetzwerk Swift. Der Swift-Ausschluss würde Russland weitgehend vom globalen Finanzsystem und damit von der Weltwirtschaft abschneiden, weswegen diese Maßnahme als das „wirtschaftlich schärfste Schwert“ bezeichnet wird. Bislang waren sich die Staats- und Regierungschefs jedoch noch uneinig, ob und wann diese Maßnahme getroffen werden soll. Bundeskanzler Olaf Scholz stimmte in der Nacht dagegen. Scholz zufolge solle man zunächst bei dem bereits beschlossenem Maßnahmenpaket bleiben und sich alles andere aufbehalten „für eine Situation, wo das notwendig ist, auch noch andere Dinge zu tun“. Ein neues, drittes Sanktionspaket könnte auch die Möglichkeit beinhalten, Vermögen von russischen Oligarchen in der EU einzufrieren.
Können die Sanktionen Putin stoppen?
Laut Kooths könnte jedoch selbst dieses schärfste Schwert noch zu stumpf sein. Er sagt, bislang sei die Erfolgsbilanz wirtschaftlicher Sanktionen immer eher schwach gewesen, vor allem kurzfristig. „In zwei von drei Fällen wurden die damit verfolgten politischen Ziele in der Vergangenheit nicht erreicht. Einiges spricht dafür, dass es auch diesmal so sein wird“.
Litauens ehemalige Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite twitterte dazu: „Sanktionen werden den Angreifer nicht aufhalten, sondern nur bestrafen. Kriegsverbrecher konnten nur auf dem Schlachtfeld gestoppt werden“.