Selbstdarstellung in Sozialen Netzwerken: Macht das Netz uns zu Lügnern? [Kolumne]
Marken und Unternehmen haben es vorgemacht, viele von uns machen es inzwischen nach: Die Inszenierung des eigenen Ichs in Sozialen Netzwerken wird mehr und mehr perfektioniert. Möglichst cool und witzig, möglichst originell und gut drauf – nach diesem Strickmuster machen immer mehr Menschen Eigen-PR auf Plattformen wie Facebook oder Instagram. Das zumindest meinen Kritiker. Zu ihnen gehören auch die drei Brüder Shaun, Andrew und Steven Higton. Sie haben ein Web-Video produziert, das die oft unbequeme Wahrheit hinter manchen Social-Network-Postings zeigen will.
Nach Auffassung der Higtons sind wir viel zu oft nur Schauspieler. Aus einem spröden Meeting im Büro wird schnell ein aufregender Erfolg gemacht: „Die Präsentation verlief großartig!“, tippt die Hauptfigur Scott Thompson in ihr Statusfeld und wird mit Likes belohnt – doch in Wirklichkeit hat gar keiner der Teilnehmer richtig zugehört. Kurze Zeit später fährt er in den Wald und fotografiert sich im Sport-Outfit. Der Eindruck vermittelt, dass er Joggen war, doch auch hier wird eine Fiktion vorgegaukelt. Thompson inszeniert ein falsches Leben, damit die Menschen ihn für etwas besonderes halten. Das enttäuschende Fazit im Video: Die Systematik der Sozialen Netzwerke treibt ihn dazu – tut er all das nicht, wird er ignoriert.
Digitale Selbstdarstellung: Wie verhalten wir uns wirklich im Netz?
Das Szenario, das die jungen Filmemacher zeichnen, wurde schon oft untersucht. Die Ergebnisse allerdings könnten kaum unterschiedlicher sein. Eine viel zitierte Studie der Uni Mainz zur Selbstdarstellung in Sozialen Netzwerken kam zu dem Schluss, dass wir uns im Internet gar nicht so anders verhalten als im analogen Leben. Die Forscher haben dafür zwar nur 296 Profile – damals noch auf StudiVZ – untersucht, die aber ziemlich genau. „Die Ergebnisse haben uns selbst überrascht, weil sie der weit verbreiteten Meinung widersprechen, dass Online-Profile nur dazu verwendet werden, ein Ideal der eigenen Person zu präsentieren“, so der Psychologe Mitja Back. „Online-Profile vermitteln tatsächlich ein sehr genaues Bild der Profilinhaber“, heißt es schlussendlich zur Persönlichkeit 2.0.
Dass sich der Gedanke dennoch hält, dürfte verschiedene Gründe haben. Einer liegt vermutlich darin, dass wir das Thema mit eigenen Erfahrungen abgleichen. Vor der zunehmenden Kommerzialisierung des Internets durch Protagonisten wie Facebook und einst MySpace war der digitale Raum noch ein durchweg anonymer. Menschen waren mit Pseudonymen, Avataren und Aliasen im Netz unterwegs und der Vernetzungsgedanke war weitaus weniger ausgeprägt. Heute surfen wir mit Klarnamen und unser digitales Leben ist in ein Netzwerk realer Kontakte eingebettet. Doch genau da liegt der Schlüssel: Wir kommunizieren mit Familie und Freunden, mit Bekannten und Kollegen – die Kommunikation verläuft allein dadurch ehrlicher, weil so viele Menschen uns kennen und wissen, ob eine Präsentation gut verlaufen ist oder ob wir tatsächlich joggen gehen. Lügen werden schneller entlarvt!„Online-Profile vermitteln tatsächlich ein sehr genaues Bild der Profilinhaber.“
Das Internet ist nicht die Ursache, sondern ein Katalysator
Doch natürlich liegt die Wahrheit, wie so oft, irgendwo dazwischen. Denn auch, wenn die geposteten Erlebnisse laut den Forschern meistens echt sind, wissen wir Menschen genau, sie noch toller in Szene zu setzen – und sei es nur mit einem aufgesetzten Lächeln. Und ja, in Zeiten von Foto-Apps, die uns Bilder nachträglich bearbeiten lassen, verzerren wir auch gerne ein wenig die Realität – alles wirkt viel sonniger und heller. Guck mal: lila Wolken!
Aber anders als die Higton-Brüder im Video suggerieren, bleibt die Selbstdarstellung eine zutiefst menschliche Verhaltensweise und wird nicht erst durch das Netz in uns geweckt. Oder geht ihr morgens heulend ins Büro und erzählt allen vom Streit mit eurem Partner? Vermutlich nicht, denn das wirkt verstörend und einen solchen Eindruck will kaum jemand vermitteln – meist schluckt man den Streit runter und redet über das schöne Wetter. Habt ihr auch die lila Wolken gesehen?
Der Science-Fiction-Autor Douglas Adams hat vor knapp 15 Jahren einen passenden Text dazu verfasst: „Wie man aufhört, über das Internet zu jammern und lernt, es zu lieben“ Darin beschreibt er, dass das Netz viel zu oft als Ursache gesellschaftlicher Probleme angesehen wird – so wie auch in diesem Fall. Doch das Internet ist nicht die Ursache, es ist ein Katalysator. Und: Es spiegelt menschliches Verhalten wieder.
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