Als Bart Conner 1984 bei den Olympischen Spielen in Los Angeles antrat, hatte zunächst kaum jemand allzu große Erwartungen an den Kunstturner. Der US-Amerikaner hatte sich neun Monate vor den Spielen eine ernsthafte Verletzung zugezogen, die für die meisten Sportler seiner Klasse wohl das Aus bedeutet hätte: Ein Muskelriss des linken Bizeps machte dem Mann zu schaffen. Er unterzog sich einer Operation, gefolgt von einer Therapie. Conner entwickelte einen unbändigen Willen, doch noch an der prestigeträchtigen Olympiade teilzunehmen. Als der Zeitpunkt gekommen war, stand er nicht nur aufrecht vor dem überraschten Publikum, sondern sogar mehrfach auf dem Treppchen. Dem Olympioniken gelang, was kaum jemand für möglich hielt. Er gewann zweimal Gold – mit der US-Mannschaft sowie als Einzelathlet am Barren. Ein Sieg, der vor allem auch seinen Eltern geschuldet sei, wie er anschließend verriet.
Auf die Frage eines Journalisten hin, wie er so ein faszinierendes Ergebnis geschafft habe, gewährte der Athlet einen Einblick in seine Kindheit. Seine Eltern hätten ihn, als er noch ein kleiner Junge war, jeden Abend vor dem Einschlafen gefragt, was heute sein größter Erfolg gewesen war. So schlief er jedes Mal mit dem Bewusstsein ein, etwas erreicht zu haben. Und so wachte er auch mit dem guten Gefühl am Morgen wieder auf. Jeden Tag die Gewissheit zu haben, dass man tagtäglich etwas bewirke, sei ungeheuer motivierend gewesen, so Conner. Diese Technik behielt er sein ganzes Leben lang bei. Selbst an Tagen, die nicht so gut waren, hätte die Antwort auf die Frage seinen Optimismus stets aufrecht gehalten. Auch während der Verletzungsphase gaben ihm die kleinen regelmäßigen Erfolge ein gutes Gefühl. Er blieb motiviert, wo andere vermutlich Schwarz gesehen hätten. Was Bart Conner da erzählt hat, lässt zumindest aufhorchen.
Selbstreflexion: Erfolge tagtäglich festhalten
Neurowissenschaftler haben für diese Form der Bewusstseinskontrolle bereits einen Namen etabliert: neuro-linguistisches Programmieren, kurz NLP. Die Bezeichnung soll ausdrücken, dass Vorgänge im Gehirn mithilfe der Sprache auf Basis systematischer Handlungsanweisungen änderbar sind. Ein berühmtes Schlagwort, das in dem Zusammenhang zuletzt die Runde machte, ist Reframing. Dahinter verbirgt sich die Annahme, dass sich die Wahrnehmung auf ein Thema von außen allein durch Sprache beeinflussen lässt. Ein Beispiel, das gerne angeführt wird, ist der Begriff der „Erderwärmung“ – ein Wort, das eher positive Gedanken in uns hervorruft. Erwärmt werden beispielsweise Herzen. Dabei unterschätzen wir die Dringlichkeit den Klimawandel einzudämmen. Um die Tragweite des Geschehens gerecht zu werden, wäre die „Überhitzung des Planeten“ ein besserer Begriff. So, wie wir reden, beeinflusst das Gesagte unsere Position.
„Sich selbst bewusst zu machen, was man erreicht hat, selbst wenn es nur kleine Erfolge sind, baut auf.“
Das funktioniere auch im Selbstgespräch. Ohne einen Einfluss von außen. Das heißt, wer sich selbst positiv oder negativ zuredet, wird auch seine Haltung mit der Zeit entsprechend anpassen. Natürlich muss man kein Experte sein, um zu wissen, dass allein mit Optimismus keine Olympiade zu gewinnen ist. Dass die Verletzung von Bart Conner so schnell heilte, hatte mit großer Sicherheit mehr mit seiner körperlichen Fitness und der guten Therapie zu tun als mit positiven Gedanken. Dennoch – so glaube ich – verkennt man das Potenzial einer derartigen Selbstreflexion, wenn man von bloßer Esoterik spricht. Sich selbst bewusst zu machen, was man erreicht hat, selbst wenn es nur kleine Erfolge sind, baut auf. Und wer aufrecht steht, geht ganz anders durchs Leben, hat kaum mehr Angst im Alltag und verhält sich deutlich weniger passiv. Dinge werden angepackt statt ausgesessen. Schon allein deshalb lohnt sich ein Versuch.
Und genau den hab ich unternommen. Seit nun mehr einem Jahr schreibe ich mir abends vor dem Bettgehen einen Erfolg des Tages in eine Excel-Tabelle, ähnlich also dem Vorbild Conners. Dabei geht es gar nicht immer um die großen Errungenschaften, wie den Lauf eines Halbmarathons (4.4.2018) oder ein erfolgreich ausgerolltes Projekt in der Redaktion (26.10.2018). Manchmal sind es auch kleine Dinge wie ein repariertes Fahrrad (15.6.2018), eine neu gelernte Yoga-Pose (27.7.18) oder ein veröffentlichter Artikel, auf den ein Leser ein Kompliment dagelassen hat (1.2.2019). Mir wurde in den vergangenen Monaten eines bewusst: Bei vielen Menschen herrscht oft ein immenser Mangel an Selbstreflexion mit dem Ergebnis, dass sich nur die wenigsten ihrer täglichen Erfolge überhaupt bewusst werden. Da stellt sich mir die Frage: Wenn man sich ihrer nicht bewusst ist, wie erhält man dann überhaupt Zugang zu den eigenen Fähigkeiten?
Ich wage mal zu behaupten: Gar nicht!
Kritiker werden mir jetzt sicher ins Wort fallen und sagen, es baue nur unnötig Druck auf, jeden Tag einen Erfolg haben zu müssen. Denen kann ich jedoch nur entgegnen, dass das nicht das Ziel ist und sie den Kern der Sache noch nicht verstanden haben. Es geht nicht darum, auf Teufel komm Raus jeden Tag erfolgreich zu sein. Es geht darum, jeden Tag einen Erfolg zu erkennen, der bereits eingefahren wurde. Und sei es nur, dass man ganz pauschal einen guten Tag gehabt hat oder aber, dass man ein gutes Erlebnis in einem sonst recht schlechten Tag hatte. Alles zielt darauf ab, worauf man sich fokussiert. Auf das Gute oder das Schlechte. Ich habe meine Entscheidung dahingehend getroffen. Ich werde mein Excel-Tagebuch wohl noch eine ganze Weile führen. Nicht nur, dass es mir den Tag versüßt. Es macht auch ungeheuren Spaß, darin rumzustöbern und sich an die ein oder andere Sache zu erinnern, die schon fast wieder in Vergessenheit geraten ist.
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Ein wirklich toller Beitrag, vielen Dank.
Alles hier beschriebene kann ich nur bestätigen! Ich war noch vor gut 10 Jahren ein eher negativ eingestellter Mensch, der genau durch diese Haltung auch immer negative Sachen angezogen hat. Eine gute Freundin hat mir damals ein Buch empfohlen, was mich um 180 grad drehen lassen hat. Das Buch handelte von positiven Gedanken und dem Universum, welches dein Leben auch positiv ausrichtet, wenn die Gedanken stimmen. Seit dem Lebe ich danach und ja auch ich lasse jeden Tag bevor ich zu Bett gehe Revue passieren und freu mich über meine kleinen Erfolge am Tag. Das baut auf und lässt den nächsten Tag besser beginnen!
VG
Daniel
Und noch ein Leser, der einen positiven Kommentar hinterlässt. Gerade wir Deutschen, die auf höchsten Niveau grübeln und jammern, helfen solche Reflexionen. Amis sind ja bekanntlich deutlich optimistischer… Cliché, aber es stimmt wohl.
Persönlich habe ich durch ein Buch mit Zielen gearbeitet, diese aufgeschrieben und nach Erreichbarkeit sortiert… überarbeitet, abgehakt, irgendwann weg gelegt. Zwei Jahre später waren 90% der Ziele erreicht. Selbstreflexion hilft sicher auf dem Wege dorthin.
Hallo, Herr Weck,
Hier haben Sie noch einen Kommentar, über den Sie sich abends freuen können. Ich finde den Artikel super. Etwas ganz ähnliches ist das Dankbarkeits-Tagebuch, dabei notiert man sich abends Dinge des Tages, für die man dankbar ist. Das kann etwas sein, was von einem selber ganz unabhängig ist, z.B. das schöne Wetter, ein leckeres Essen im Café oder ein besonders netter Mensch, der einem begegnet ist. So ein Dankbarkeits-Tagebuch kann man fantastisch um die eigenen Erfolge des Tages ergänzen, die von einem selbst abhängig sind.
VG,
Julia
Hallo Herr Weck,
vielen Dank für den spannenden und positiven Artikel :-)
Nur der Form halber: Man kann nicht bei einer Olympiade teilnehmen oder bei einer Olympiade gewinnen. Man kann beides bei den Olympischen Spielen tun. Denn eine „Olympiade“ ist der vierjährige Zeitraum zwischen zwei Olympischen Spielen ;-)
VG, Thomas