Seit nun mehr sechs Wochen wird über sexuelle Belästigung debattiert. Und wie sich zeigt auch zu Recht: Zum einen hat die #Metoo-Kampagne in sozialen Netzwerken einmal mehr gezeigt, welchen Übergriffen sich Frauen im Alltag ausgesetzt sehen. Zum anderen gibt es belastbare Studien, die das Ausmaß versuchen in Zahlen zu fassen. Jeder zweite Beschäftigte hat beispielsweise sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz bereits erlebt oder zumindest beobachtet, wie eine Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zeigt.
Während Männer jedoch vor allem verbalen Attacken in Form von anzüglichen Inhalten in E-Mails oder zweideutige Bemerkungen erhalten, erleben Frauen häufiger physische Belästigung. Die Erhebung zeigt, dass jede fünfte Frau schon einmal ungebührend von Kollegen berührt worden war. Zum Vergleich: Von unerwünschten körperlichen Annäherungen berichten zwölf Prozent der Männer. Nur ein Fünftel der Befragten wusste, dass ihr Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet ist, sie vor Belästigung zu schützen.
Was Firmen gegen sexuelle Belästigung tun können
Doch wie können Empörungswellen und wissenschaftlich erhobene Zahlen zu konstruktiven, verbindlichen Aktionen im Arbeitsumfeld führen? Dieser Frage sind Wissenschaftler der Charité in Berlin in Kooperation mit der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung nachgegangen. Zusammen hat man untersucht, was Arbeitgeber gegen die Missstände unternehmen können und dafür 120 betriebliche Vereinbarungen aus dem öffentlichen Dienst, der Industrie und dem Dienstleistungssektor ausgewertet.
Die Untersuchung hat ergeben, dass bereits bei der Definition, was sexuelle Belästigung ist, zunächst angesetzt werden sollte. Denn die wenigsten Fälle sind überhaupt unter dem Stichwort zusammengefasst. Viel häufiger laufen verbale und körperliche Übergriffe unter Kategorien wie partnerschaftliches Verhalten, Mobbing, Diskriminierung und Konfliktmanagement zusammen. Den Begriff der sexuelle Belästigung in Vereinbarungen ganz genau zu definieren, sorge für Handlungssicherheit.
„Zu oft bleibt sexuelle Belästigung ungeahndet, weil sie im Alltag nicht ausreichend ernstgenommen wird.“
Unternehmen sollten, so die Studienführer, dabei die Definition des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes übernehmen. Darin seien beispielsweise auch unerwünschte Berührungen, anzügliche Bemerkungen oder Witze, sexuelle Gesten oder das Zeigen von pornografischen Darstellungen abgedeckt. Die Regelung sieht zudem vor, dass die Betroffenen bestimmen, ob sexuelle Belästigung empfunden wurde. Außerdem werde das Thema darin auch klar von einem beiderseitigen Flirt unterschieden.
Für erforderlich halten die Experten zudem ein transparentes und strukturiertes Beschwerdeverfahren, das von konkreten Ansprechpartnern geleitet wird. Niederschwellige Angebote wie anonyme Meldungen seien bei ausgeprägten Hierarchien effektiv. Die Entscheidung, ob ein Beschwerdeverfahren eingeleitet wird, sollten aber immer die Betroffenen fällen. Dabei sei es ratsam, auf den Schutz mutmaßlicher Täter hinzuweisen, solange ein Vorwurf sich nicht bestätigt hat. Klare Regeln und Sanktionen zahlen sich aus.
Zu guter Letzt sollten Vorgesetzte als Vorbild dienen. Sie haben die Aufgabe, die Beschäftigten vor sexuellen Übergriffen zu schützen. Dazu zählt auch, regelmäßige Pflichtfortbildungen zum Thema sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zu organisieren, um dem Thema präventiv zu begegnen. Vielen Mitarbeitern fehle es schlicht an der nötigen Sensibilität. Die Studienführer raten aber auch Arbeitnehmervertretern dazu, derartige Schulungen vehement einzufordern, falls sie bislang noch nicht stattfanden.
Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz: Das Thema ernstnehmen
Aus den vier Kernpunkten „Definition von sexueller Belästigung“, „Transparentes und strukturiertes Beschwerdeverfahren“, „Klare Regeln und Sanktionen“ und „Vorgesetzte als Vorbild“ entwickeln die Wissenschaftler derzeit eine Richtlinie für die Berliner Charité. Dass auch andere öffentliche Einrichtungen und private Unternehmen sie als Orientierung nutzen, ist wünschenswert. Denn viel zu oft bleibt sexuelle Belästigung ungeahndet, weil sie im Alltag nicht ausreichend ernstgenommen wird.