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MIT Technology Review News

So soll ein elektronischer Lutscher die virtuelle Realität schmackhaft machen

Dank eines medizinischen Verfahrens und einer Kombination aus verschiedenen Geschmacksstoffen sollen die Nutzer:innen von VR-Anwendungen schmecken können, was ihnen auf dem Bildschirm angezeigt wird.

Von Eike Kühl
3 Min.
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Demonstration des Lollis: in der virtuellen Realität und in der tatsächlichen Welt (oben links). (Screenshot vom Video: Lu et al, 2024/PNAS)

Zwischen 1957 und 1962 hatte der US-amerikanische Filmemacher und Erfinder Morten Heilig sein sogenanntes Sensorama entwickelt: Das „Erfahrungstheater“ sollte seinem Publikum nicht nur Bewegtbilder auf einer Leinwand zeigen, sondern sie mithilfe von Gerüchen und Wind in ihrem Gesicht mitten ins Geschehen hineinversetzen. Heute gilt Heiligs Sensorama als eine der frühesten Anwendungen der virtuellen Realität (VR).

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Geschmack und Geruch spielen in VR kaum eine Rolle – bisher

60 Jahre später ist die Technik um einiges weiter, jedenfalls was die Darstellung virtueller Welten betrifft. Doch wenn es um die Simulation von Sinneseindrücken jenseits von Augen und Ohren geht, hat sich erstaunlich wenig getan; Geschmack und Geruch spielen in VR kaum eine Rolle. Um das zu ändern, haben Forscherinnen und Forscher der City University of Hongkong einen „Lollipop“ entwickelt, der Nutzern die virtuelle Realität buchstäblich schmackhaft machen soll.

In einer Studie, die kürzlich in der Fachzeitschrift PNAS erschienen ist, beschreibt das Team um Yiming Liu den Prototypen eines „tragbaren, lutscherförmigen Geschmacksschnittstellensystems“, das bis zu neun verschiedene Geschmacksrichtungen abdecken kann. Nutzer und Nutzerinnen von VR-Anwendungen können den smarten Lolli in den Mund nehmen und in Echtzeit schmecken, was ihnen auf dem Bildschirm angezeigt wird.

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Geschmackserlebnis in der VR durch Iontophorese

Bei dem elektronischen Lutscher handelt es sich um ein circa acht Zentimeter langes, 3D-gedrucktes Gehäuse, an dessen Ende bis zu neun verschiedene Geschmackskanäle stecken. Hinter jedem steckt eine Kammer, die mit einem Hydrogel aus Agarose und verschiedenen Aromen – Zucker, Salz, Zitronensäure, Kirsche, Milch, grüner Tee, Passionsfrucht, Durian und Grapefruit – gefüllt ist.

Um die Aromen auf die Zunge zu bekommen, kommt ein Prozess namens Iontophorese zum Einsatz, der auch verwendet wird, um Arzneistoffe über die Haut zu verabreichen. Dazu wird ein schwaches Stromsignal an das Gel angelegt, wodurch die geschmacksgebenden Chemikalien innerhalb des Hydrogels an die Oberfläche steigen und sich dort mit dem Speichel im Mund vermischen. Je stärker das Stromsignal ist, desto mehr Chemikalien steigen auf und desto intensiver der Geschmack. Werden mehrere Kammern gleichzeitig aktiviert, lassen sich theoretisch unendlich viele Geschmackskombinationen simulieren.

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Die Steuerung der Intensität und die Auswahl übernimmt die jeweilige VR-Anwendung, sprich die Software. Um die Immersion noch weiter zu steigern, kann das System außerdem noch um sieben spezifische Geruchschemikalien erweitert werden.

Lutscher als Interface, statt Elektrodenpflaster auf der Zunge

Mit dem Ansatz unterscheidet sich die Arbeit der CityU von früheren Prototypen. 2016 hatte ein Team der National University of Singapore einen elektronischen Lutscher entwickelt, der elektrische Signale direkt auf die Zunge übertragen hat: Je nach Frequenz, Intensität und Richtung der Signale ließen sich verschiedene Geschmäcker simulieren. Der Nachteil: Damit die Signale die jeweils richtigen Geschmacksknospen erreichen konnten, musste die Probanden ein Elektrodenpflaster auf der Zunge tragen.

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Ein drittes Verfahren ist die chemische Stimulation, bei der Aromastoffe direkt auf die Zunge aufgetragen werden. Dieser Prozess ist allerdings schwer zu automatisieren, zudem wird der Geschmack bei diesem Ansatz nur mit Verzögerung wahrgenommen. Das ist etwa im medizinischen Bereich kein Problem, bei VR-Anwendungen, in denen alle Sinneseindrücke möglichst zeitgleich verarbeitet werden sollen, allerdings schon.

Drei Anwendungen für den elektronischen Lutscher

Die Wissenschaftler aus Hongkong sehen in ihrem Lolli Potenzial für verschiedene Anwendungsbereiche, „von Mensch-Maschine-Schnittstellen über die biomedizinische Wissenschaft bis hin zur Unterhaltung“, wie sie in der Studie schreiben.

Eine Anwendung könnte ein standardisierter Geschmackstest sein, analog zu Hör- oder Sehtests. Um Geschmacksstörungen erkennen zu können, seien bislang aufwendige und häufig sehr subjektive Testverfahren notwendig. Der smarte Lolli könnte für solche medizinischen Zwecke angepasst werden, damit Betroffene schneller Feedback über ihre Geschmackserfahrungen geben können.

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Im Bereich der virtuellen Realität könnte das Gerät „immersives Online-Shopping“ ermöglichen: Man stellt sich etwa einen virtuellen Supermarkt vor, in dem man Lebensmittel nicht nur anfassen, sondern auch gleich probieren kann. Im gleichen Sinne könnte das Gerät den Forscherinnen und Forschern zufolge auch genutzt werden, um Kinder spielerisch an neue Geschmäcker und Lebensmittel heranzuführen.

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