So sollte sich Arbeit am Leben orientieren
Leisten, wenn du leisten willst
Du bist jung. Du kommst frisch von der Uni oder hast deine Ausbildung erfolgreich beendet – bist hoch motiviert und hast kaum Verpflichtungen. Der erfolgreiche Start ins Berufsleben steht ganz oben auf deiner Agenda – und deine Karriere im Vordergrund. Eine 40-Stunden-Woche ist in dieser Phase nicht so entscheidend. Wichtiger ist dir jetzt ein hoher Wirkungsgrad und die Möglichkeit, gestalten zu können. „In dieser energiereichen Phase sollten junge Menschen mit voller Kraft arbeiten und Karriere machen können“, so Dr. Philip Wotschak vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Es mache wenig Sinn, Projekt- und Führungsverantwortung auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Unternehmen sollten sich auf das hohe Energielevel in dieser Phase einstellen und es nutzen. Auslandseinsätze, der Aufbau eines neuen Standortes oder die Hochdruckvermarktung des innovativen Produktes lassen sich gut mit diesen Leistungsträgern realisieren – idealerweise mit einem Coaching durch erfahrene Mitarbeiter.
Zeit nehmen, wenn du Zeit brauchst
Mit der Gründung einer Familie ändern sich die Bedürfnisse. Jetzt stehen die Kinder im Vordergrund. „Traditionell hat die Frau die Kinder versorgt und den Haushalt übernommen“, so Wotschak. „Der Mann hat das Geld verdient.“ Das entspräche nicht mehr den Wünschen der Menschen. Heute seien Modelle gefragt, mit denen beide Elternteile ihre Arbeitszeiten absenken können, sodass sie sich den wichtigen familiären Aufgaben widmen und dennoch so viel Geld verdienen können, dass die Arbeit den Haushalt trägt. Neben der Kindererziehung werde im familiären Rahmen die Pflege immer wichtiger, so Prof. Dr. Gerhard Bosch, Uni Duisburg-Essen. Sie bekäme im Spektrum der privaten Aufgaben einen zunehmend hohen Stellenwert. Wenn ein Arbeitnehmer einen Angehörigen pflegt, braucht er dafür einen verlässlichen zeitlichen Rahmen. Möglicherweise muss der Partner dann das Arbeitsvolumen erhöhen, und die Kinderbetreuung wird neu geregelt. Auch dieser notwendigen Flexibilität müssten Arbeitsmodelle Rechnung tragen.
Lernen erfordert Zeit und Geld
„Der Strukturwandel, der schon stattgefunden hat und immer weiter für Veränderung sorgt, verlangt ein hohes Maß an Weiterbildung“, ist Dr. Ulrich Walwei, Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung, überzeugt. Die Notwendigkeit zu lernen und sich für neue Aufgaben zu qualifizieren, begleitet Arbeitnehmer heute ihr gesamtes Arbeitsleben. Für den erhöhten Bedarf an berufsbegleitender Bildung brauche es Zeit – und die Möglichkeit, parallel Geld hinzu zu verdienen.
Langsam runterfahren
Nicht nur, dass wir heute im Schnitt länger arbeiten müssen, weil die Sozialsysteme es nicht anders hergeben. Der knallharte Schnitt im Arbeitsleben befindet sich ebenfalls auf dem Rückzug. „Von heute auf morgen in den Ruhestand zu gehen und das Arbeitspensum von Hundert auf Null zurückzufahren, entspricht nicht mehr den Bedürfnissen der Arbeitnehmer“, so Walwei. Vielmehr sei ein fließender Übergang gefordert. So coacht vielleicht der erfahrene Tüftler das Entwicklerteam im Unternehmen. Die Chirurgin geht mit 65 noch für drei Vorlesungen pro Woche in die Uni und gibt ihr riesiges Wissen an die Studenten weiter. Der Profi-Trainer engagiert sich im Kinder- und Jugendsport. Und die Lehrerin hilft für ein paar Stunden in der Schule aus. Es wäre nicht nur grob fahrlässig, auf die Erfahrungen und Kapazitäten dieser Menschen zu verzichten. Es würde auch ihren Lebensentwurf im Alter unnötig einschränken. Schließlich ist Nichtstun kein „Glücklichmacher“. Auch nicht im Alter. „Das Modell der Lebensphasenorientierung probiert, im Laufe eines längeren Lebens die verschiedenen Phasen mit dem Arbeitsleben handvernäht zu verbinden“, erklärt Dr. Hans-Peter Klos, Institut der Deutschen Wirtschaft Köln, den Ansatz. Ziel sei es, Arbeit und Leben derart miteinander zu kombinieren, dass insgesamt ein längeres Arbeitsleben möglich sei. „Wir müssen im Lebensverlauf adäquate Zeitangebote machen, um den Menschen in ihrer spezifischen Lebenssituation zu helfen“, bestätigt Mückenberger.
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