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Die Startup-Uhr zeigt, wo Unternehmen im Medienwahrnehmungs-Zyklus stehen

Das Image von Tech-Unternehmen ist Schwankungen unterworfen. Nicht jede davon hat direkt damit zu tun, was das Unternehmen tut. Wie du als Gründer:in oder Presseverantwortliche:r mit der Startup-Uhr umgehen solltest.

Von Stephan Dörner
4 Min. Lesezeit
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Tech-Unternehmen unterliegen gewissen Zyklen. (Bild: chayanuphol / shutterstock)

Menschen erzählen sich Geschichten – schon immer. Wir denken in Geschichten. Sie konstruieren die subjektive Realität, in der wir leben. Die komplexe, widersprüchliche, chaotische Welt – am gemeinsamen Lagerfeuer ergibt plötzlich alles Sinn! Warum haben wir das vorher nur nicht gesehen?

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Geschichten müssen spannend sein. Und damit sie spannend sind, brauchen wir Helden, Bösewichte, Gewinner und Verlierer. Kein Mensch folgt einer langweiligen Geschichte, in der der strahlende Sieger alle Widrigkeiten mühelos übersteht. Deshalb haben die Geschichtenerzähler der Antike die Heldenreise erfunden: Unser Held folgt dabei zunächst dem Ruf des Abenteuers, doch schon bald treten Herausforderungen auf. Ein Weg der Prüfungen liegt vor ihm – antike Helden sind fast immer männlich. Es folgen Drama, Versöhnungen, Rettung, bis der Abenteurer nach der Rückkehr seiner beschwerlichen Reise voller Herausforderungen belohnt wird.

Nun sind Journalist:innen keine Geschichtenerzähler:innen. Ihr Anspruch wird auch heute noch dem gesamten journalistischen Nachwuchs nahegebracht: „Schreiben, was ist“ gab Spiegel-Gründer Rudolf Augstein seiner Redaktion als Mission mit auf den Weg. Allerdings – und das sage ich bewusst als ehemaliger Journalist – reicht das nicht. Journalist:innen müssen filtern. Sie müssen einordnen und interpretieren. Am Ende müssen sie eine Geschichte erzählen – nur eben keine ausgedachte, sondern eine, die auf Fakten beruht.

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Die Heldenreise von Startups

Und das, was berichtet und wie berichtet wird, ist auch eine Geschichte: Geht es rauf oder runter? Ist ein Unternehmen angesagt oder auf dem absteigenden Ast? Ist es beliebt, cool, innovativ und steht grundsätzlich auf der Seite der Guten? Oder erlahmt es, verliert an Innovationskraft, hat ein angestaubtes Image, seinen Kompass verloren und ist kulturell fragwürdig? Es ist auffällig, dass diese Fragen bei Tech-Unternehmen gewissen Zyklen folgen.

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Als einer der ersten hat sie der Tech-Kommunikator Aaron Zamost aufgeschrieben und 2015 einen Artikel über die „Silicon-Valley-Uhrzeit“ von Tech-Unternehmen geschrieben. Anhand verschiedener Beispiele beschreibt er in dem Artikel den immer gleichen Zyklus in der öffentlichen und medialen Wahrnehmung.

Von der „Startup-Uhr-These“, schreibt Zamost, habe er zuerst in der Kommunikation von Google gehört. Demnach beginnt die Reputation von Tech-Unternehmen um Mitternacht und bewegt sich von einer positiven Berichterstattung zwischen dem Morgen und Mittag zur negativen Berichterstattung am Abend und in der Nacht. In vielen Fällen haben die Unternehmen dann noch ein zweites mediales Leben und die Geschichte beginnt um Mitternacht wieder von vorne. Für den Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels 2015 sah Zamost Microsoft an diesem Punkt.

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Die Startup-Uhr tickt: Vom Erfinder coolen Spielzeugs über den Disruptor zum Bösewicht

Die Grundidee dieser „Startup-Uhr“ hat Zamost weiter ausgebaut und die einzelnen Uhrzeiten anhand seiner Beobachtungen benannt und ausgeführt. Natürlich durchläuft nicht jedes Technologieunternehmen alle Uhrzeiten. Oft werden eine oder mehrere Uhrzeiten übersprungen, und nicht wenige Startups überleben gar nicht lange genug, um alle Uhrzeiten zu durchlaufen. Viele bleiben auch zu unbedeutend, um die erste Phase zu verlassen.

Die Geburt um Mitternacht verläuft bei fast jedem Unternehmen gleich: Wenn die Gründer:innen nicht schon zuvor erfolgreich waren, stehen die Chancen sehr gut, dass die Gründung niemanden interessiert. Ist diese Phase der Bedeutungslosigkeit überwunden und der Zeiger springt auf 1 Uhr, beginnt die Zeit, in der das Unternehmen und sein Produkt zwar noch nicht ernst genommen, aber durchaus positiv als cooles, neues Spielzeug wahrgenommen werden.

Die meisten Startups schaffen es nicht weiter – aber wenn doch, dann wandelt sich das Image vom aufstrebenden Startup um 2 Uhr zum Disruptor um 3 Uhr, um zwischen 4 und 5 zum heißesten aufstrebenden Tech-Unternehmen der Stadt oder des Landes zu werden. Jetzt berichtet auch die Wirtschafts- und Tagespresse regelmäßig und das presse@-Postfach läuft über. Erstmals findet nun auch nicht-intendierte Berichterstattung statt.

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Wie verdient ihr eigentlich Geld?

Schon um 6 Uhr am Morgen hat das Unternehmen den medialen Gipfel erreicht – und damit gibt es von nun an zunächst nur noch eine Richtung: abwärts. Ab 6:01 beginnen laut Zamost Schlagzeilen wie „Innovationen bleiben aus“,„Monetarisierungsprobleme“, „Abwanderung von Mitarbeiter:innen“ oder die allseits gefürchteten Datenschutzprobleme. Ab 7 Uhr ändert sich auch die Wahrnehmung des Produkts. Irgendwie ist es Mist, so mehren sich dann häufig die Stimmen. Ab 8 Uhr wird die Frage gestellt, wie das Unternehmen mit alledem eigentlich jemals Geld verdienen soll. Und ab 9 wird fast alles, was im oder um das Unternehmen herum passiert, zu einer Negativ-Schlagzeile.

Ab 10 Uhr verlassen Manager:innen das Unternehmen, das Recruitment wird beschwerlich, was wiederum das Wachstum behindert. Ab 11 Uhr beobachtet Zamost vermehrt Fragen nach dem Datenschutz – für deutsche Unternehmen und Medien setzt diese Phase sicher häufig früher ein. Um 12 Uhr ist das Image des Unternehmens am Boden. Es hagelt Boykott-Aufrufe, die Motivation und die Fähigkeiten des oder der Gründer:in werden infrage gestellt: Wachstumstreiber ja, aber CEO eines mittelständischen Unternehmens eher nicht.

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Die Phase der Wiedergeburt

Natürlich passiert all das nicht unabhängig davon, welche Entscheidungen Unternehmen treffen, wie gesund oder ungesund ihre Unternehmenskultur ist und welche tatsächlichen Fehler sie sich erlauben. Aber vieles, was in frühen Phasen des Unternehmens verziehen oder übersehen wird, wird später zum Problem. Die niedrigen Erwartungen, die am Anfang übertroffen werden, schwanken proportional zum Unternehmenswert.

Doch wie sollen Gründer:innen und Presseverantwortliche mit alledem umgehen? „Man ist nie so gut, wie alle sagen, wenn man gewinnt, und man ist nie so schlecht, wie sie sagen, wenn man verliert“, zitiert Zamost den American-Football-Trainer Lou Holtz und rät dazu, sich mit der Uhr zu arrangieren. Wichtigste Regel: Nicht wütend werden und dem Druck widerstehen, in der Krise mit Schnellschüssen die Story drehen zu wollen. Wer sich dann noch bescheiden gibt und sich auf Produkt sowie Team fokussiert, übersteht die tickende Startup-Uhr meist gut. Alles, was es dann dafür braucht, ist Zeit.

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