Strom für E-Lastwagen: Ladesystem ist fertig – doch ein Problem gibt es noch
Stecker, groß wie Kinderköpfe; Kabel, die kaum mit Daumen und Zeigefinger zu umfassen sind; Buchsen mit dem Durchmesser von Zwei-Euro-Münzen – keine Frage, hier soll viel Strom fließen. Bis zu 3.000 Ampere bei 1250 Volt, um genau zu sein. Macht rechnerisch also 3,75 Megawatt. Zum Vergleich: Die schnellsten CCS-Ladesäulen für Pkw schaffen bis zu 400 Kilowatt.
Die Mega-Stecker sind Teil des „Megawatt Charging Systems“ (MCS). Es hat zum Ziel, auch den Schwerlast-Langstreckenverkehr zu elektrifizieren. Die Hardware wurde schon 2022 auf der Nutzfahrzeugmesse IAA vorgestellt, aber jetzt ist der Standard praktisch fertig. Nur beim Protokoll für die Datenübertragung ist noch etwas Feinschliff nötig. „Das war damals bei CCS aber auch so“, sagt Norbert Vierheilig, bei Siemens für Smarte Infrastruktur zuständig.
Wo der Stromanschluss bei Lkws sein soll
Ein nicht ganz unwesentlicher Teil des Standards: Die Steckdose soll sich einheitlich links hinter der Kabine befinden. Bisher war es jedem Hersteller selbst überlassen, wo er den Stromanschluss platziert. Die Vereinheitlichung ermöglicht es jetzt, passende Ladestationen für Lkws zu bauen. Das Herumhantieren mit langen Kabeln ist bei MCS keine Option mehr, dazu sind sie zu schwer und zu unhandlich. Ihre Länge ist deshalb auf 2,5 Meter begrenzt.
Bis 1.000 Kilowatt wurde das System schon getestet. „Aber ob die Stifte wirklich die 3,75 Megawatt mitmachen, wage ich als Techniker zu bezweifeln“, meint Vierheilig. Aber schon ein Megawatt würde für fast alle Szenarien elektrischer Langstreckenfahrten reichen. Nach 4,5 Stunden müssen Fahrerinnen und Fahrer nämlich ohnehin eine Pause von mindestens 45 Minuten machen. In dieser Zeit ließen sich mit einem Megawatt Ladeleistung theoretisch 750 Kilowattstunden laden – deutlich mehr, als etwa in die Batterie des neu vorgestellten Mercedes eActros passt.
Solange es keine MCS-Fahrzeuge gibt, baut niemand MCS-Ladestationen
Bis es so weit ist, muss das MCS allerdings noch ein Henne-Ei-Problem überwinden: Solange es keine MCS-Fahrzeuge gibt, baut niemand MCS-Ladestationen – und umgekehrt. Alle großen Lkw-Hersteller haben zwar angekündigt, in den nächsten Monaten MCS-fähige Maschinen ausliefern zu können. Doch der Ausbau der Ladeinfrastruktur beginnt gerade erst. Milence, ein Joint Venture von Daimler Truck, Traton und Volvo, will beispielsweise MCS-Stationen in den Niederlanden, Schweden und am Hermsdorfer Kreuz in Thüringen aufbauen. Und auch das Hola-Konsortium plant mehrere Hochleistungsladepunkte in Deutschland. Doch solche Ladeparks sind aufwendig, denn sie erfordern den Anschluss ans Mittel- oder Hochspannungsnetz.
Doch damit elektrischer Schwerlastverkehr in Schwung kommt, sind Ladeleistungen im Megawattbereich oft gar nicht nötig. „Meist reichen 400 kW locker“, meint etwa Jonas Bohlender vom Energieversorger E.on. Das plausibelste Szenario sieht er darin, dass Lkws ihre Akkus nachts im Depot füllen oder tagsüber beim Be- und Entladen an Logistikzentren – idealerweise mit Solarstrom von dortigen Photovoltaikdächern. Das spart Geld und entlastet das öffentliche Netz.
Muss trotzdem in freier Wildbahn zwischengeladen werden, ist oft nicht die Ladeleistung, sondern der Platz der begrenzende Faktor. Schließlich kann man mit einem Sattelschlepper meist nicht einfach an einer Pkw-Ladesäule vorfahren. Deshalb schreibt unter anderem die bundeseigene Now GmbH 350 „Schnellladestandorte“ für Lastwagen aus. Mit „Schnellladen“ ist in diesem Fall aber nicht das MCS-System gemeint, sondern zunächst CCS mit 400 Kilowatt.