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Stromleitende Bakterien: Neu entdeckte Art eröffnet neues Potenzial für Bioelektronik

Im US-Bundesstaat Oregon haben Mikobiolog:innen eine neue Art von stromleitenden Bakterien entdeckt. Gegenüber ihren bereits bekannten Vertretern hat Candidatus Electrothrix yaqonensis ein weitreichenderes Potenzial.

Von Veronika Szentpétery-Kessler
4 Min.
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Stromleitende Bakterien klingen nach Science-Fiction, es gibt sie aber wirklich. Mit ihrer Superkraft überleben sie in schwierigen Lebensräumen und könnten neue Bioelektronik ermöglichen. (Foto: Oregon State University)

Bakterien, die Strom leiten – das klingt schon nach Science-Fiction, es gibt sie aber tatsächlich. Die sogenannten Kabelbakterien transportieren mithilfe spezieller Filamenten Elektronen und können dadurch in schwierigen Lebensräumen überleben. In einem solchen Habitat, den brackigen Sedimenten der Yaquina-Bucht in Oregon, haben Forschende aus den USA und Europa eine neue stromleitende Spezies mit neuen Eigenschaften entdeckt. Wie sie im Fachjournal Applied and Environmental Microbiology schreiben, hat ihnen diese neue Art nicht nur mehr über die erst vor 25 Jahren entdeckten Bakteriengruppe verraten, sondern könnte auch neue bioelektronische Lösungen inspirieren.

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Bakterien-Zusammenhalt: So bilden die Kabelbakterien Brücken

Die stäbchenförmigen Kabelbakterien sind nur wenige Mikrometer lang. Lagern sich aber zu Zehntausenden zu einer vertikalen Kette zusammen, können sie mehr als einen Zentimeter überbrücken. Bei anderen Arten wurden bis zu fünf Zentimeter lange Ketten beobachtet. Damit kommen die Mikroben an die Substanzen, die sie zur Energiegewinnung brauchen, die aber im Sediment für die einzelnen Mikroben zu weit auseinander liegen. Weiter unten im Erdreich der Bucht, das heißt in etwa ein bis zwei Zentimetern Tiefe, kommen energiereiche Schwefelverbindungen, wie Schwefelwasserstoff (H2S) vor, dessen Aufschließen Elektronen freisetzt und Energie liefert.

Hier unten steht allerdings kein Sauerstoff zur Verfügung, der die Elektronen effizienter als andere Moleküle wie Nitrat aufnehmen kann. Also übernehmen die untersten Bakterien nur die Elektronenfreisetzung und gewinnen dabei Energie. Die Ladungsträger leiten sie über Fasern, die einen Nickel-haltigen Proteinkomplex enthalten, zu den oberen Kollegen weiter, die Zugang zu Sauerstoff haben.

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Hier entsteht aus Sauerstoff, Elektronen und den weiter unten ebenfalls freigewordenen Wasserstoff-Ionen nun Wasser. Ob bei diesem Prozess ebenfalls Energie entsteht, oder ob die oberen Bakterien eine Zeit lang von Energiereserven leben und zum Auffüllen der Reserven nach unten sinken und das Elektronenfreisetzen übernehmen müssen, ist noch nicht abschließend geklärt.

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Wie die Bakterien Strom leiten

Fest steht aber, dass die Kabelbakterien gleichsam einen mehrzelligen Organismus bilden, in dem spezialisierte Zellen verschiedene Aufgaben übernehmen. Die elektronenleitenden Filamente, die als Kabel für die Elektronen fungieren, verlaufen dabei zwischen der individuellen Zellmembran und einer zweiten, von allen geteilten Außenmembran. In elektronenmikroskopischen Aufnahmen sind die Filamentbündel als längsverlaufende Rippen sichtbar und lassen die Bakterien wie Saguaro-Kakteen in Kleinform aussehen.

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Unter dem Elektronenmikroskop gut sichtbar: das Filament von Candidatus Electrothrix yaqonensis, der neu entdeckten Art von Kabelbakterien.

Unter dem Elektronenmikroskop gut sichtbar: das Filament von Candidatus Electrothrix yaqonensis, der neu entdeckten Art von Kabelbakterien.
(Foto: Oregon State University)

„Es ist eine Art elektrischer Schnorchel, der den Bakterien erlaubt, tiefer zu ‚atmen‘“, erklären die Co-Autoren Anwar Hiralal von der Universität Wien und seine Kollegen Philip Ley und Jesper van Dijk von der Universität Antwerpen. „Das gibt ihnen einen großen Vorteil gegenüber anderen Bakterien.“ Mikrobiolog:innen bezeichnen den Prozess des Sauerstoffverbrauchs als Zellatmung, dabei geht es nicht wie bei unserer Atmung um Gasaustausch. Man könnte also auch sagen, die unteren Bakterien „essen“ und die oberen „atmen“.

Die Forschenden haben für das neue Kabelbakterium den klingenden Namen Candidatus Electrothrix yaqonensis vorgeschlagen, zu Ehren des Yako’n-Stammes der amerikanischen Ureinwohner, deren angestammtes Land einst die Yaquina-Bucht umfasste. Die Besonderheit von Candidatus Electrothrix yaqonensis: Sie kann sich mithilfe eines Enzyms wohl auch an wechselnde Salzgehälter im Wasser anpassen, wie es im Gezeitenwatt der Yaquina-Bucht typisch ist.

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Der Zusatz „Candidatus“ gibt an, dass diese Gattung noch nicht im Labor vermehrt werden konnte. Das gilt für alle bisher entdeckten Kabelbakterien, von denen es bisher zwei Gattungen gibt. „Electrothrix“-Spezias leben in marinen und brackigen Habitaten, während „Electronema“-Arten in Süßwasser-Sedimenten vorkommen.

Warum die Kabelbakterien so wichtig sind

Die Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie (VAAM) wählte letztes Jahr die „Electronema“ kollektiv zur „Mikrobe des Jahres 2024“. Sie wollte damit auch auf die wichtige Rolle von Kabelbakterien für verschiedene Ökosysteme aufmerksam machen. So verändert etwa ihr Abbau des – für viele marine Lebewesen giftigen – Schwefelwasserstoffs den pH-Wert des Sediments solcherart, dass oxidierte Eisenverbindungen entstehen, die Schwefelwasserstoff binden und als „Firewall“ fungieren.

Zudem haben dänische Forscher:innen in Gewächshausversuchen mit Reispflanzen gezeigt, dass sich durch die Zugabe von Kabelbakterien die Methanemissionen des Reisanbaus um mehr als 90 Prozent senken lassen. Beim Sulfid-Abbau entsteht nämlich Sulfat, das Sulfat-nutzende Bakterien gedeihen lässt. Die wiederum verdrängen die um Reispflanzen üblichen Methanproduzenten. Vermutlich zapfen die Bakterien die Sauerstoffversorgung der Reiswurzel an. Die Kabelbakterien könnten möglicherweise im Reisanbau und auch in Mooren angesiedelt werden, um dort den Ausstoß des Treibhausgases zu verringern.

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Zudem finden sich Kabelbakterien häufig auch in Gewässern, die mit Benzin oder Öl kontaminiert sind. Hier könnten Kabelbakterien den Schadstoffabbau erheblich ankurbeln, schreibt das VAAM. Weil sie den Abbau solcher aromatischen Kohlenwasserstoffe und auch organischer Stoffe wie Faulschlamm in den Sedimenten von überdüngten Seen steigern, gibt es bereits Ideen, Kabelbakterien gezielt zur Wiederaufarbeitung kontaminierter Standorte zu nutzen. Beispielsweise lässt sich die Wirkung der Kabelbakterien gezielt durch Elektroden im Sediment stimulieren.

Bioabbaubare Kabel dank Bakterien?

Die Entdecker von Candidatus Electrothrix yaqonensis sehen die Bakterien auch als Ideengeber für technologische Lösungen. „Ihr Design eines hochleitfähigen Nickelproteins könnte möglicherweise als Inspiration für neue Bioelektronik-Anwendungen dienen“, sagte Cheng Li von der Oregon State University dem Technologiemagazin „Wired“.

Dazu könnten zum Beispiel bioabbaubare Kabel gehören, ergänzt das VAAM, schließlich würden weltweit nur ein Fünftel der jährlich über 50 Millionen Tonnen Elektroschrott recycelt. Dänische Forschende haben bereits 2013 die leitfähigen Strukturen der Kabelbakterien zum Patent angemeldet, kommerzielle Lösungen gibt es bisher aber noch keine.

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Zumindest künstlerisch kamen die lebenden Stromleiter aber bereits zum Einsatz. So nutzt etwa die Spanierin Anna Pasco Bolta die elektrische Leitfähigkeit der Mikroben in ihren Projekten. Sie hat etwa ein Mikrofon und Verstärker mit Canditatus Electronema-Filamenten verbunden und liest Gedichte mithilfe von Kabelbakterien vor.

 

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