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Was Taiwan im Kampf gegen die Coronakrise so erfolgreich machte

Taiwan verzeichnet auffallend wenige Covid-19-Infektionen. Die erfolgreiche Schadensbegrenzung hat viel mit der offenen, effizienten Nutzung von Datentechnologien zu tun.

Von Roman Maas
4 Min. Lesezeit
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(Foto: Shutterstock)

Als Anfang des Jahres bekannt wurde, dass sich ein neuartiges Virus rapide von China aus verbreitete, waren die Prognosen für Taiwan wenig hoffnungsvoll. Die Insel wird von China beansprucht, Millionen Menschen pendeln jährlich zum Festland und zurück. Während in China und weltweit jedoch die Infektionszahlen explodieren, hat Taiwan Anfang April mit seinen etwa 23 Millionen Einwohnern nur wenige Hundert Fälle zu verzeichnen. Das Land hat beim Sars-Ausbruch 2002/03 viel über Seuchenbekämpfung gelernt und kann dieses Wissen nun wieder anwenden. Was aber möglicherweise noch viel nützlicher ist, ist der offene Umgang mit Informationen innerhalb des Staates.

Taiwans Modell der radikalen Transparenz

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Was Taiwan von fast allen anderen Ländern unterscheidet, ist die Politik der radikalen Transparenz. Die datentechnische Durchsichtigkeit bezieht sich dabei in erster Linie auf die Regierungsorgane und den Prozess der Entscheidungsfindung und weniger auf die Durchleuchtung der Bürger. So werden in Taiwan beispielsweise aktuelle Problematiken über digitale Plattformen wie Polis diskutiert – unter Beteiligung von Regierung, Privatsektor und Bürgern. Mit dieser „Cross-Sector-Collaboration“, also branchenübergreifender Zusammenarbeit, können die verschiedenen Parteien die Sichtweisen der jeweils anderen besser nachvollziehen. Es lassen sich schneller und effizienter Konsense finden, bei denen alle Beteiligten Mitspracherecht haben. Öffentliche Datenbanken machen Regierungsdokumente und -beschlüsse für jeden zugänglich. Regierungs-Meetings und Konferenzen werden in Taiwan verstärkt publik abgehalten.

Innovationen aus dem Cyberministerium

Eine der wichtigsten Vordenkerinnen für die taiwanesische Art der transparenten Politik ist die Digitalministerin Audrey Tang. Ursprünglich ein Programmier-Wunderkind, hatte Tang schon mit 14 Jahren die Schule abgebrochen und sich stattdessen der Softwareentwicklung gewidmet. Die Open-Source-Verfechterin war aktiv in der Sonnenblumen-Bewegung, die 2014 zum Richtungswechsel der taiwanesischen Politik beigetragen hat. Tang lässt jedes ihrer Gespräche mitschneiden und als Transkript veröffentlichen. So kann jeder die Entscheidungsprozesse nachverfolgen und hat die Gelegenheit, auf Fehler oder Falschinformationen hinzuweisen. In diesen Tagen ist Tang eine gefragte Interview-Partnerin, wenn es um datentechnisches Krisenmanagement von Seiten der Politik geht.

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Taiwans Crowdsourcing-Maßnahmen in der Coronakrise

Eine der ersten Maßnahmen Taiwans nach dem Ausbruch des Coronavirus Sars-CoV2- war es, die ins Land eingereisten Menschen mithilfe von Immigrations- und Zoll-Datenbanken zu erfassen. Diese Daten wurden mit der nationalen Gesundheitsdatenbank abgeglichen. Wenn Menschen Symptome zeigten, konnten ihre Reiseverläufe und mögliche Kontaktpersonen leicht ausgemacht werden. Kliniken und Apotheken können auf die betroffenen Patientendaten zugreifen. Die Einhaltung der Quarantäne wird mithilfe von mobilen Ortungsdaten elektronisch überwacht.

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Generell werden die Menschen zu ehrlichen Angaben motiviert. Wer von sich aus bekannt gibt, dass er Symptome hat und möglicherweise in Quarantäne muss, erhält Hilfsangebote. Wer seinen Zustand verschweigt, ist auf sich selbst gestellt. Es gibt allerdings auch Strafmaßnahmen, wenn jemand seine Quarantäneauflagen verletzt oder Pflegeequipment bunkert.

Auch im häuslichen Bereich werden Anstrengungen unternommen, dass niemand allein gelassen wird. Mehrere Haushalte werden zu Sektionen mit jeweils einem Vorstand zusammengefasst, der in Kontakt mit Regierungsstellen steht. Ist jemand innerhalb einer Sektion in Quarantäne, können ihn die anderen leichter versorgen.

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Organisierten Datenflow gibt es auch bei der Verteilung von Schutzmasken. Neun Masken stehen jedem Einwohner alle zwei Wochen zu. Per App kann man jederzeit sehen, in welcher Apotheke wie viele Masken derzeit vorrätig sind und wann mit Nachschub zu rechnen ist.

Covid-19-Location-History-Tool

Damit die einzelnen Corona-Fälle und deren mögliche Infektions-Kontakte verfolgt werden können, braucht es im Idealfall GPS-Ortungsdaten von so vielen Menschen wie möglich. Das in Taiwan entstandene Covid-19-Location-History-Tool versucht dies abzubilden, mit größtmöglicher Rücksicht auf die Privatsphäre. Jeder kann damit abgleichen, ob er sich in letzter Zeit in einem Gebiet aufgehalten hat, in dem Infizierte gewesen sind. Lediglich die Location History von Google Maps muss hierfür aktiviert worden sein. Der User lädt sich tagesaktuelle Kartendaten herunter auf denen die Aufenthaltsorte bekannter Covid-Patienten vermerkt sind. Diese werden dann mit den eigenen Ortungsdaten verglichen und man erhält eine Meldung, ob laut diesen Informationen ein Ansteckungsrisiko besteht. Menschen in Taiwan, Südkorea und Israel nutzen dieses Tool derzeit.

Aufklärung statt Zensur

Nicht nur während globaler Krisen gehört die Verbreitung von unbestätigten Gerüchten und gezielten Falschinformationen zu den größten Problemen der digitalisierten Gesellschaften. Deutschland hat hier mit dem NetzDG die Vorlage für autoritäre Regimes geliefert, wie sich das Internet nach Belieben zensieren lässt. Während hier die Zensur „rechtswidriger Inhalte“ in die Hände von Facebook und Co. gelegt wird, setzt Taiwan auf eine Strategie der Aufklärung. Zwar haben soziale Medien dort auch Auflagen, aber gleichzeitig wird auf unabhängige Fact-Checker wie das TFC-Center gesetzt.

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Falschmeldungen werden allerdings nicht nur öffentlich gepostet, sondern machen vor allem in privaten Messenger-Chats die Runde. Gerade in Corona-Zeiten verbreiten besorgte Familienmitglieder häufig vermeintliche „Insider-Informationen“ von dubiosen Quellen oder gleich ganz ohne Referenz. Solche Halbwahrheiten sind gefährlich und können Paniken auslösen.

In Taiwan kommt seit einiger Zeit das Tool Cofacts zum Einsatz. Hiermit können Bürger fragwürdige Nachrichten, die sie über die Line-App (Asiens Whatsapp-Pendant) erhalten haben, anonym an ein Fact-Checker-Team weiterleiten. Das prüft die Informationen und antwortet umgehend mit klaren Fakten. So bleibt die Privatsphäre direkter Nachrichten erhalten und es braucht keine Denunzierung stattfinden.

Ein Vorbild für andere Demokratien?

Taiwan respektiert den persönlichen Datenschutz und behandelt seine Bürger als Menschen, die nach Aufklärung streben. Transparenz geht in erster Linie vom Staat aus und wird den Bürgern nicht zwangsweise auferlegt. Das demokratische System lässt produktive Zusammenkünfte zwischen Bürgern, Politkern und Unternehmen zu und ist offen und flexibel, wenn es um technologische Innovationen geht, die aktuelle Probleme angehen. Der Staat nimmt weniger eine kontrollierende, regulierende Rolle ein, sondern erfüllt eher organisierende und schützende Aufgaben innerhalb einer Gemeinschaft. Das erhöht das Vertrauen in ihn und ermutigt seine Bürger ebenfalls offener zu werden.

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Taiwan greift sicherlich bei der Pandemie auch auf harte Strafmaßnahmen und Kontrollen zurück, und Gesellschaften in Ostasien sind anders gewachsen als im Westen. Dennoch zeigt die bislang erfolgreiche Eindämmung des Coronavirus durch effizientes, schnelles Handeln und datentechnischer Hilfe, dass andere Länder viel von dem taiwanesischen Modell lernen können. Leider lässt aufgrund der Spannungen mit China die WHO nicht zu, dass Taiwan als unabhängiges Land seine Zahlen und Maßnahmen gesondert auf den Tisch legt.

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