Technologie als Kreativitätstreiber
Sind Daten der Tod der Kreativität? Eine zugegeben überspitzte Frage, die in diesem Jahr in einer Dmexco-Session besprochen wird. Im Zentrum der Diskussion steht die Frage nach der Relevanz von Technologie und Daten für kreative Kommunikation.
Marketing und Werbung haben sich im Zuge der Digitalisierung völlig verändert – das führt zu Unsicherheiten. Aber gerade die letzten Jahre und Jahrzehnte haben gezeigt, dass eine Gegenüberstellung von „Kreativität“ und „Technologie“ schon im Ansatz falsch ist. Denn die beiden haben sich jeher gegenseitig ergänzt und befruchtet.
Netflix macht es vor, mit einem subtilen und überraschenden Beispiel. Der Streaming-Dienst setzte – fast unbemerkt – hochgradig personalisierte Vorschaubilder für die erfolgreiche Serie „Stranger Things“ ein. Künstliche Intelligenz wertete dabei die Vorlieben und Gewohnheiten des jeweiligen Nutzers aus und zeigte ein dazu passendes Bild. Die Bandbreite reichte dabei von Porträts, Actionszenen und typografischen Motiven über Details bis zu Close-ups. So erreichten die Kreativen von Netflix eine individuelle Ansprache aller Nutzer, die zu 100 Prozent darauf abzielte, so relevant wie möglich zu sein. Eine Idee, die ohne die technischen Möglichkeiten undenkbar wäre – auf die aber kreative Menschen gekommen sind.
Die Kreativbranche ist durch Deadlines, Fristen und den Druck geprägt, auf Anfrage sofort gute Ideen liefern zu müssen. Eine KI kann die entscheidenden Impulse geben, damit der kreative Kopf Inspiration findet – ersetzen wird ihn das nicht.
Neue Gadgets, neue Touchpoints
Nicht nur die Inspirationsquellen der Kreativen, sondern auch die Wege zum Kunden haben sich durch Technologie verändert. Und neue Gadgets und Innovationen bieten eine Vielzahl neuer Touchpoints. Diese neuen Möglichkeiten und Innovationen erweitern die Machbarkeiten origineller Ideen und animieren zum kreativen Austoben. So entsteht völlig Neues.
Ein tolles Beispiel kommt von der irischen Agentur Rothco für den Kunden Times of London. Mit Audiodaten aus über 800 Reden von John F. Kennedy bauten die Kollegen mithilfe von künstlicher Intelligenz die Rede zusammen, die JFK in Dallas hätte halten sollen – seine Ermordung hatte das 1963 verhindert. Völlig zurecht wurde das Projekt im Rahmen der Times-Kampagne „Find Your Voice“ bei den vergangenen Cannes Lions mit dem Grand Prix ausgezeichnet – es zeigt, dass heute fast keine Idee, sei sie noch so herausfordernd, unmöglich umzusetzen ist. Hier werden Daten auf höchst kreative und überraschende Art genutzt, um Herz und Hirn gleichermaßen zu begeistern.
Ein weiteres überzeugendes Beispiel ist das Projekt „The Next Rembrandt“ aus dem Jahr 2016 , das J. Walter Thompson Amsterdam für die niederländische Bank Ing umgesetzt hat. Die Kreativen nutzten Machine Learning, um vielfältige Daten aus 346 Rembrandt-Gemälden auszuwerten. Sie wendeten Gesichtserkennung an, werteten Pinselstrich und -druck aus, und druckten 13 Farbebenen mithilfe eines 3D-Druckers, um den Farbauftrag des alten Meisters nachzubilden. So waren sie in der Lage, ein neues Bild zu erschaffen, das einem echten Rembrandt täuschend ähnlich sieht.
Die Botschaft: Ing steht für Innovation und den Einsatz modernster Technologien – aber nicht als Selbstzweck, sondern vor einem hochkarätigen kulturellen Hintergrund, der ideal zur Heritage der Marke passt. Der Effekt: Die Bank macht von sich reden und erzeugt Traffic zu ihren digitalen Touchpoints, wo sich die Besucher mit der Marke und ihren Botschaften auseinandersetzen.
Technologie von Anfang an einbeziehen
Die Definition von Kreativität als „die Fähigkeit vorher nicht da gewesenes, originelles und beständiges Neues zu kreieren“, zeigt schon, wie wichtig es ist, neue Technologien zu nutzen. Die vielfältigen Möglichkeiten der Technologie müssen daher bei der Entwicklung von Ideen und Konzeptionen von Agenturen berücksichtigt und von Anfang an in den Prozess eingebunden werden. Aber: Innovative Technologien zu nutzen, um der Technologie selbst willen wird kreative Arbeit kaum fördern. Die Neugier und die Leidenschaft der Kreativen bleiben das A und O – nur dann können sich Ideen entfalten. Durch das Spiel mit Technologie kann kreatives Potenzial ausgeschöpft werden. Im Ergebnis entstehen unerwartete Kreationen, die innovative Möglichkeiten miteinbeziehen.
Mehr Technologie führt zu mehr Kreativität
Es ist essenziell, dass das technische Know-how der Kreativen stetig gefördert wird. Sie benötigen immer das Wissen über die Werkzeuge, mit denen die Kreativität zum Einsatz kommt. Am Ende kommt es darauf an, den Absatz oder das Image der Kunden beziehungsweise der Marken zu steigern. Ob diese Ziele mithilfe einer kreativen Social-Media-Aktion in Echtzeit, einem Chatbot oder einer außergewöhnlichen AR-Anwendung erreicht werden und ob der Impuls für diese Idee vielleicht von einem Algorithmus gegeben wird, spielt keine Rolle. Hauptsache ist, dass die richtigen Konsumenten angesprochen und überzeugt werden. Für die Kreation stellt die Digitalisierung vor allem eine große Chance dar, die Kraft der Ideen zu fördern.