Teile oder stirb! Warum wir wirklich so viele unserer Daten freiwillig preisgeben
Auf Google stellt man schnell fest, dass es Unkenrufe zum Ende des Datenschutzes schon seit Jahrzehnten gibt. Aber die Lage ist heute besonders paradox.
Das Vertrauen in Unternehmen ist generell auf einem Tiefpunkt, wenn man dem 2017-Edelman-Trust-Barometer Glauben schenken darf. Eine Umfrage von KPMG fand zudem heraus, dass sich 56 Prozent der Befragten „besorgt“ oder „sehr besorgt“ zeigten über die Art und Weise, wie Firmen mit ihren Daten umgehen. Eine jüngste PwC-Studie ergab sogar, dass 79 Prozent der Online-Nutzer weniger bereit sind als noch vor einem Jahr, ihre Daten mit anderen zu teilen.
Jedoch folgen den Worten nur selten Taten. Die freiwillige Bereitstellung von persönlichen Daten hat entgegen aller Absichtserklärungen keinen Abbruch erlitten. Das Geschäft von digitalen Datensammlern- und Auswertern wie Amazon, Google oder Facebook boomt wie nie zuvor. Digitalen Assistenten wie Alexa flüstern wir unsere persönlichsten Daten nun sogar direkt ins Ohr. Warum?
3 Gründe, die auf der Hand liegen
Zum einen ist es unsere pure Ignoranz als Verbraucher. Viele von uns wissen einfach nicht, was mit unseren Daten geschieht, dass wir zum Beispiel Facebook das Recht zur übertragbaren, gebührenfreien und weltweiten Nutzung unserer persönlichen Fotos übertragen, wenn wir sie hochladen.
Zum anderen neigen wir, wie ja auch das Beispiel Klimawandel zeigt, zu kurzfristigem Denken und blenden die langfristigen Konsequenzen unseres Handelns aus. Da uns der Wert der oft als Interaktion getarnten Transaktion nicht unmittelbar bewusst ist, willigen wir wegen des augenblicklichen Nutzens oft allzu schnell ein. Die Folgen unserer impulsiven Online-Entscheidungen bleiben uns lange oder oft auch komplett verborgen.
Schließlich ist der Umgang mit unseren persönlichen Daten natürlich auch von den Werten verschiedener Generationen geprägt. Für Digital Natives wie zum Beispiel die Mitglieder der Millennials-Nachfolger Generation Z (geboren zwischen 1995 und 2015) ist es normal, ihre Daten freiwillig anzubieten. Sie sind damit aufgewachsen und nichts anderes gewohnt. Studien belegen, dass sie deswegen ihre sozialen Profile aber eben auch entsprechend bewusster managen und mit größerer Selbstverständlichkeit zwischen ihren diversen digitalen Identitäten wandeln.
Sehnsucht nach Unsterblichkeit
Unwissenheit, kognitive Muster und verschiedene Werte verschiedener Generationen – all dies sind einleuchtende rationale Erklärungen. Die eigentliche Triebfeder für unseren Datenteilungsdrang ist dennoch eine anderere: der Wunsch, uns durch das Datenteilen mitzuteilen. Dahinter steckt die Sehnsucht, Spuren zu hinterlassen, eine digitale Geschichte unseres Lebens, die uns überdauert und unsere persönlichen Daten unter Umständen sogar zu einem größeren algorithmischen Netz zusammenwebt. Im Grunde geht es dabei um den Evergreen unter den menschlichen Grundbedürfnissen: unseren Wunsch nach Unsterblichkeit.
Ob Quantified-Self-Apps, die unser Verhalten quantifizieren, um es zu optimieren, Life-Logging (also die kontinuierliche digitale Aufzeichnung des eigenen Lebens), oder ein Service wie Ghost Writer, der „algorithmische Autobiographien“ erstellt: Das freiwillige Teilen unserer persönlichen Daten entspringt unserer Sehnsucht danach, einen Feedback-Beweis zu haben für die eigene Existenz. Daten sind unsere Lebenszeichen. Data ergo sum.
Wir ahnen, dass wir wohl keine Wahl haben. Natürlich könnten wir uns entscheiden, ein völlig analoges Leben zu führen und uns der digitalen Gesellschaft zu entziehen. Dies kann allerdings in der sozialen Isolation enden und auch Karrierechancen mindern. Unsere Identitäten sind nunmal inzwischen zu einem Großteil digital.
„Digiphrenie“ in der Grauzone
Unser Datenmitteilungsdrang ist ein unersättliches Monster, das keine moderaten Haltungen zulässt. Entweder wir koppeln uns komplett ab vom digitalen Datenstrom oder wir springen voll hinein. Denn teilen wir erst einmal Daten, dann wollen wir auch ein möglichst komplettes Selbst projezieren, und je mehr Daten wir teilen, desto vollständiger wird dieses öffentliche Bild von uns. Zum einen atomisieren soziale Medien unsere Identität – der Autor Douglas Rushkoff nennt das „Digiphrenie“. Zum anderen sind sie eben genau die Kanäle, um die Einheit, unsere Identität, wiederherzustellen: indem wir noch mehr teilen. Wenn schon „Matrix,“ dann bitte voll und ganz mit uns!
Allerdings sind wir nun vernetzter und kommunikativer als je zuvor, und doch einsamer und sozial isolierter. Vielen von uns fehlt echte menschliche Bindung, und Experten beklagen eine Krise der Freundschaft in unseren westlichen Gesellschaften. Die Rückzugsräume für Intimität werden knapper, und Privatsphäre gilt zwar als heilig, ist aber vor allem ein rechtliches Konstrukt, das sich in der digitalen Realität kaum noch durchsetzen lässt. Ganz anders war die Wahrnehmung im alten Athen. Dort galt Privatheit als unsozial: Die Teilnahme an der Polis, am öffentlichen Leben, qualifizierte einen als Bürger.
Das Problem scheint heutzutage darin zu bestehen, dass wir weder richtig öffentlich, noch jemals mehr richtig privat sind. Stattdessen weilen wir in einer Grauzone, in der wir uns entweder in Pseudo-Öffentlichkeiten exponieren, ohne tatsächlich aktiv am gesellschaftlichen Diskurs teilzunehmen. Auf der anderen Seite können wir uns eben auch nie ganz von den digitalen Foren lossagen. Alleinsein ist gesellschaftlich, praktisch und moralisch unmöglich.
Es bleibt festzuhalten:
- Die Angst, unsere Identität zu schwächen, ist größer als die Angst vor der digitalen Ausbeutung.
- Die Sehnsucht nach Anerkennung ist stärker als das Bedürfnis nach Privatheit.
- Die Sehnsucht nach einer Datenbiografie, einem digitalen Vermächtnis, das uns überdauert, ist größer als der Wunsch unser Leben kontrollieren zu können.
Die Zukunft gehört exponentiellen Identitäten
Diese Dynamiken werden durch das Internet of Things noch einmal exponentiell zunehmen. Schon bald soll es mehr zwischenmaschinelle als zwischenmenschliche Kommunikation geben. 20 Milliarden Geräte werden bis 2020 mit dem Internet verbunden sein, sagt Analystenfirma Gartner.
Somit wird das Internet of Things zwangsläufig auch zum Internet of People. Dinge werden zu Käufern, Kunden und Personen werden, Daten produzieren und eigene Identitäten annehmen. Umgekehrt mutieren wir selber immer mehr zu Dingen, objektiviert und auf Datensätze reduziert. Wer glaubt, dass unsere digitalen Aktivitäten heute schon einen Großteil unserer Identität ausmachen, well, you ain‘t seen nothing yet.
All dies bedeutet, dass wir uns von einer Knowledge- zu einer Identity-Economy bewegen, in der eine Vielzahl an parallelen Identitäten kultiviert, expandiert, gemanagt und gehandelt werden. Digitale Plattformen, die Zugriff auf hunderte Millionen solcher Identitäten haben und als deren Marktplätze fungieren, werden weiterhin zu den Gewinnern zählen, aber auch Anbieter von spezialisierten Identity-Management-Lösungen.
„Mehr als eine Identität zu haben ist ein Zeichen mangelnder Integrität“ – so hat das Mark Zuckerberg einmal formuliert. Gegen diese Haltung gilt es anzukämpfen. Unsere digiten Menschenrechte fußen auf einem zentralen Prinzip: mehr als nur ein Datensatz zu sein. Ob es unser Facebook-Graph ist oder unser Profil bei anderen digitalen Plattformen, wir dürfen es nie zulassen, auf nur eine Identität reduziert werden. Wir müssen den Raum und die Mittel haben, um unsere digitalen Identitäten selber ständig erweitern und kontrollieren zu können.
Dabei helfen offene Plattformen wie Respect Network, Citizenme, Mydex oder Jolocom, die Qiy Foundation, die es Nutzern ermöglicht, ihre Datenpakete an den meistbietenden zu verkaufen, oder natürlich auch die Bitcoin-Technologie Blockchain, die verspricht den Mittelsmann ganz auszuschalten und Datenaustausch Peer-to-Peer zu regeln.
Fest steht: Wir werden auch in Zukunft weiter freiwillig und fleißig unsere Daten teilen, um uns unsterblich machen zu wollen. Aber ohne die Freiheit, mehrere, unter Umständen auch widersprüchliche Identitäten zu unterhalten und verschiedene digitale Leben zu führen, werden wir uns immer weniger lebendig fühlen.
„Allerdings sind wir nun vernetzter und kommunikativer als je zuvor, und doch einsamer und sozial isolierter. Vielen von uns fehlt echte menschliche Bindung…“ erinnert mich an die Voträge von Prof. Dr. Gerald Hüther, über Ersatzbebfriedigungen weil wir das was wir brauchen nicht bekommen.
(z..B. https://www.youtube.com/watch?v=M6EjBvAlw2U&feature=youtu.be&t=1245)