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Interview

Jurist Thomas Schwenke: „Bei der Rechtslage heute werden sich AR-Brillen nicht durchsetzen“

Thomas Schwenke ist technikbegeistert – und Jurist. Im Interview erklärt er uns, warum die Spectacles von Snap verboten werden könnten und wie Datenschutz in Zeiten von Augmented Reality aussieht.

Von Lisa Hegemann
7 Min.
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Jurist Thomas Schwenke. (Foto: Thomas Schwenke)

Manch einer, der ihm auf der „Rock the Blog“-Konferenz begegnete, wird sich überetwa auf dem Klo.

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Schwenke liebt digitale Technologien, hat schon die Google Glass ausprobiert und verbindet seine Neugier gerne mit seinem Beruf: Auf Snapchat erklärt er Datenschutz in Kurzvideos, auf seinem Blog schreibt über komplexe Rechtsthemen. Als Rechtsanwalt weiß er aber auch, wo die Probleme mit der Snap-Brille und Augmented-Reality-Anwendungen wie Google Glass liegen. Schon in seiner Promotion hat er sich mit den Rechtsproblemen von Smartglasses auseinandergesetzt. Im Interview auf der Cebit hat er uns erklärt, warum die Spectacles verboten werden könnten und weshalb die Privatsphäre die Demokratie erhält.

Thomas Schwenke: „Mit den Spectacles wird Videoüberwachung möglich“

t3n.de: Thomas, du nutzt selbst die Spectacles und kannst damit Videos von Menschen erstellen, ohne dass sie das merken. Ist das rechtlich überhaupt zulässig?

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Thomas Schwenke: Das ist ein schwieriges Thema. Es gibt viele Vorschriften, mit denen der Gesetzgeber die Spectacles verbieten könnte.

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t3n.de: Wie sehen die aus?

Thomas Schwenke: Das härteste Gesetz ist das Verbot von sendefähigen Anlagen. Das kennt kaum jemand, findet sich aber im Paragraph 90 des Telekommunikationsgesetzes. Dieser bezieht sich auf Gegenstände, die heimlich Bilder machen oder Gespräche aufnehmen und versenden können. Wenn eine solche Anlage als Gegenstand des täglichen Gebrauchs getarnt und damit zur Abhörung geeignet ist, dann ist sie verboten. Und zu den Gegenständen des täglichen Gebrauchs zählt eine Sonnenbrille.

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t3n.de: Darf Snap die Brille dann überhaupt verkaufen? 

Thomas Schwenke: Das kommt auf die Auslegung des Gesetzes an. Würdest du erwarten, dass jemand mit einer Sonnenbrille gleichzeitig ein Video von dir macht, wenn du keine Tech-Spezialistin wärst? Eher nicht. Damit könnte der Nutzer mit der Brille heimlich Menschen aufnehmen. Und dann wäre sie in der Tat verboten. Da der Nutzer aber immer noch einen Knopf am Bügel drücken muss, bevor die Spectacles ein Video aufnehmen, wäre das eine sehr harte Auslegung. Ich fände das zu weitgehend. Deswegen halte ich sie nicht generell für verboten. Aber wir dürfen die Risiken trotzdem nicht unterschätzen.

t3n.de: Was meinst du damit?

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Thomas Schwenke mit den Spectacles auf der Cebit. (Foto: Thomas Schwenke/Facebook)

Thomas Schwenke: Mit den Spectacles wird Videoüberwachung möglich. Wenn wir optisch-elektronische Geräte besitzen, die dazu dienen, Menschen zu beobachten, ist das nichts anderes. Wenn ich im Café sitze, die Brille aufsetze, jederzeit auf den Auslöser drücken kann und jemanden längere Zeit anschaue – egal ob ich Angst vor der Person habe oder ob ich sie attraktiv finde –, dann beobachte ich sie. Das ist vollkommen ausreichend, um von Videoüberwachung zu sprechen. Deswegen fällt die Snap-Brille meines Erachtens nach unter diesen Begriff. Und Videoüberwachung ist nur dann zulässig, wenn ich sie besonders rechtfertigen kann, etwa in Gefahrensituationen. Sonst ist sie nicht erlaubt.

t3n.de: Was für eine Handhabe habe ich dagegen, wenn jemand gegen meinen Willen Bilder oder Videos von mir mit einer solchen Brille aufnimmt?

Thomas Schwenke: Du hast eine Menge an Möglichkeiten – von Gewalt bis zum Gang zur Behörde.

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t3n.de: Gewalt?

Thomas Schwenke: Das ist natürlich das äußerste Mittel. Aber theoretisch ja.

t3n.de: Das musst du erklären.

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Thomas Schwenke: Wenn ich unerlaubt Aufnahmen mit meinen Spectacles erstelle, kannst du von mir verlangen, das zu unterlassen. Wenn ich ‚Nein‘ sage, kannst du mir die Brille wegnehmen. Und wenn ich mich wehre, darfst du mir auch eine verpassen. Rechtlich wäre das Notwehr. Aber: Das wäre ein extremer Fall.

t3n.de: Allerdings. Was wären moderatere Möglichkeiten, mich gegen Videoaufnahmen zu wehren?

Thomas Schwenke: Du kannst Auskunft einfordern. Wenn du merkst, dass ich dich mit meiner Brille filme, kannst du von mir verlangen, die Aufnahmen zu Gesicht zu bekommen. Und du kannst verlangen, dass ich sie vor deinen Augen lösche. Wenn die Aufnahmen schon im Netz sind, kannst du auch zu einer Polizeibehörde gehen und einen Strafantrag stellen. Denn wenn ich dich allein filme und das Material ohne dein Wissen ins Netz stelle, dann ist das eine Straftat. Das kann bis zu einer Abmahnung und einer Unterlassungserklärung führen. Aber bisher machen Privatpersonen dieses Recht gegenüber anderen Privatpersonen eher selten geltend.

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t3n.de: Warum? 

Thomas Schwenke: Der Aufwand ist immens. Deswegen fragen sich viele erst einmal: Ist mir das Video oder das Bild peinlich? Und wenn ja: Ist es den Aufwand und das Risiko wert, dagegen vorzugehen? Stell dir vor, die Person, die du verklagst, ist insolvent. Dann bleibst du auf den Anwaltskosten sitzen.

t3n.de: Vielen Nutzern ist auch gar nicht klar, dass sie ein Recht am eigenen Bild haben. Wie können wir Menschen dafür sensibilisieren?

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Thomas Schwenke: Die Frage ist eher: Wollen wir Menschen dafür sensibilisieren?

t3n.de: Warum sollten wir das nicht wollen?

Thomas Schwenke: Weil es die technische Entwicklung verhindert. Denken wir mal in die Zukunft: Bei der heutigen Rechtslage werden sich Augmented-Reality-Brillen nicht durchsetzen können. Denn Menschen zu filmen und Informationen über sie einblenden zu lassen, wäre schlicht strafbar. Das müsste man schon dürfen.

t3n.de: Aber sollte man das überhaupt dürfen?

Thomas Schwenke: Ich bin da sehr gespalten, weil ich zum einen Jurist und zum anderen technikbegeistert bin. Ich fände es schön, wenn die Hersteller den Menschen entgegenkommen und einen Mittelweg anbieten würden.

t3n.de: Wie könnte der aussehen?

„Bisher haben die Hersteller die Tür der Privatsphäre eher eingetreten.“

Thomas Schwenke: Zum Beispiel, indem die Hersteller Personen automatisch anonymisieren. Bei Youtube können wir schon heute Gesichter verpixeln, die nicht explizit gezeigt werden sollen. Warum sollte das nicht auch bei einer Spectacles oder einer Augmented-Reality-Brille so aussehen? Jeder Nutzer müsste dann explizit einwilligen, dass er aufgenommen werden will. Bisher haben die Hersteller die Tür der Privatsphäre eher eingetreten. Google Glass zum Beispiel, indem jeder mit einem Augenblinzeln Aufnahmen erstellen und potentiell Informationen über alle abrufen konnte. Die Hersteller sollten aber erst einmal vorsichtig an die Tür klopfen. Dann gibt es vielleicht auch mehr Bereitschaft, sich mit der Technologie auseinanderzusetzen. Die Anonymisierung wäre solch ein vorsichtiges Anklopfen.

t3n.de: Privatsphäre und Datenschutz zählen auch zu den Aufgaben der Politik. Was kann sie machen, um die beiden Punkte stärker zu verteidigen? Was wäre dein Wunsch? 

Thomas Schwenke: Ich würde mir wünschen, dass sie einen solchen Mittelweg fördern würde. Ich könnte mir beispielsweise ein Zertifizierungsverfahren für Augmented-Reality-Geräte vorstellen. Die Hersteller müssen eine automatische Anonymisierung nachweisen, die hinreichend zuverlässig ist. Und bekommen ähnlich wie Autos eine Art TÜV-Zulassung. Allerdings würde das andere Probleme mit sich bringen.

t3n.de: Welche?

Thomas Schwenke: Die Geräte werden dadurch teurer, der Fortschritt verzögert sich.

t3n.de: Also doch kein guter Weg?

Thomas Schwenke: Doch, ich glaube schon. Weil ein Verbot nicht praktikabel ist. Jede Technik, die Menschen nützlich ist, wird sich durchsetzen. Die Spectacles sind mehr Spaß, das ist eine einfache Videobrille. Aber eine Augmented-Reality-Brille wie Google Glass ist unheimlich praktisch. Ich finde es großartig, durch die Stadt zu laufen und eine Karte vor den Augen zu sehen. Oder meine Nachrichten, sodass ich nicht ständig auf das Smartphone gucken muss. Das sind Vorteile, die uns einen Vorsprung gegenüber Menschen verschaffen, die diese Technologie nicht nutzen.

t3n.de: Wie das?

Thomas Schwenke: Über Google Glass haben viele geschrieben, dass sie sich anderen Menschen überlegen fühlten. Mir ging das auch so. Dein Gegenüber wiederum fühlt sich unterlegen, und das löst Ängste aus. Deswegen werden sich die Brillen meiner Meinung nach verbreiten: Weil sich niemand unterlegen fühlen will. Wenn die Brillen den Massenmarkt erreichen, können die Hersteller alle Grenzen der Privatsphäre brechen, ohne Rücksicht auf Verluste. Wenn wir aber einen Übergang bereiten, können wir diese Verluste vielleicht vermeiden.

t3n.de: Übergang klingt danach, als gebe es irgendwann keine Privatsphäre mehr.

„Privatsphäre ist die Grundlage der Demokratie.“

Thomas Schwenke: Nein, das wäre fatal. Datenschutz und Privatsphäre sind schon deshalb essentiell, um uns vor dem Staat zu schützen. Er kämpft zwar gegen Facebook und Google, weil sie Daten sammeln. Aber er ist selbst nicht besser, er will die Daten auch haben. Das heißt, wir müssen uns und unsere Daten schützen können. Privatsphäre ist die Grundlage der Demokratie. Wenn ich nicht das Gefühl habe, mich heimlich mit jemandem austauschen zu können, über merkwürdige Gedanken oder Ideen, werde ich mich nur konform verhalten. Und wenn sich alle konform verhalten, haben wir keine Meinungsvielfalt mehr. Dann können wir die Demokratie auch gleich verabschieden.

t3n.de: Wie wird der Datenschutz und die Privatsphäre der Zukunft deiner Meinung nach aussehen?

Thomas Schwenke: Der Datenschutz wird stärker technisch und weniger juristisch reguliert sein. Wie bei Facebook besteht der Datenschutz aus den Privatsphäre-Einstellungen, die dir zur Verfügung stehen. Wenn ich mit meiner Datenbrille aus dem Haus gehe, könnte ich beispielsweise einstellen, dass ich heute nicht gesehen werden will. Dann werde ich automatisch verpixelt, wenn mich jemand mit seiner Datenbrille anschaut. Wenn ich hingegen auf einer Veranstaltung bin, schalte ich die Funktion vielleicht ein. Da kann mich jeder filmen. Oder man sagt: Wenn du andere filmen willst, musst du dich auch selbst freischalten. Wichtig finde ich, dass meine Einwilligung auch protokolliert wird, sodass ich sehe, wer mich filmen kann und wer nicht.

t3n.de: Wenn Datenschutz und Privatsphäre technisch reguliert werden, haben dann am Ende nicht wieder die Hersteller das letzte Wort darin, wie viel ich preisgebe? 

Thomas Schwenke: Ja, das ist der Nachteil. Letztlich werden die Hersteller aufzeichnen, wo ich bin und was ich mache. Und das sorgt wieder für das Architektenproblem. Die Privatsphäre wird nur so weit gehen, wie die Plattformen das erlauben – genau wie bei Facebook heute. Derjenige, der die Regularien aufstellt, bestimmt deine Privatsphäre.

t3n.de: Wie können wir dieses Monopol aufbrechen?

Thomas Schwenke: Wir brauchen an dieser Stelle starke Kontrollinstanzen, die dafür sorgen, dass die analoge Privatsphäre digital Niederschlag findet. Wir brauchen eine Bestandssicherung der virtuellen Privatsphäre. Trotzdem sollten wir nicht in Panik verfallen. Klar wird es nicht einfach sein. Aber es gab auch vor 100 Jahren Leute, die sagten, dass sie lieber auf ihrem Pferd bleiben und nie in ein Auto steigen würden, weil das gefährlich sei und stinke. Aber auch da stellen wir den Nutzen über die Gefahr. Und genauso wird das mit Datenbrillen sein: Wenn der Nutzen höher ist, nehmen wir die Gefahr hin.

t3n.de: Thomas, vielen Dank für das Gespräch.

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