Traum oder Träumchen? Vom Leben als Digital Nomad
Mehr und mehr werden Digital Nomads (DN) zum Thema. Mehr und mehr Zeitungen, Magazine, Blogs und TV-Reportagen berichten darüber. Die Zahlen darüber, wie viele Menschen bereits als DN leben und arbeiten und wie viele es in nur wenigen Jahren sein werden, gehen weit auseinander – zwischen einer Million bis hin zu 50 Millionen. In Folge denken mehr und mehr Menschen darüber nach, ein ortsunabhängiges Leben zu führen. Und stürzen sich dann Hals über Kopf in das große Abenteuer. Ist ja doch alles ganz einfach: Rucksack, Laptop und ab um die Welt. Ist doch einfach, machen viele so. Weit gefehlt …
Mal genauer hingeschaut
Digital Nomad ist mittlerweile ein Synonym für ortsunabhängiges Leben und Arbeiten. Hmmmm, also eigentlich nichts anderes, als ein Freelancer zu sein, oder? Gibt es schon seit Jahrzehnten (und Jahrhunderten, wenn man mal andere nicht-digitale Berufe einschließt). Als Freelancer habe ich viele Jahre für Agenturen in Deutschland überall gearbeitet – Frankfurt, München, Hamburg, Berlin und so weiter. Oder eben von zu Hause aus. Was unterscheidet also einen klassischen Freelancer von einem DN? Es ist nur der Ort? Nun ja, nicht ganz …
Kurze Definition
Digital Nomads haben alles in ihrer Heimat aufgegeben. Alle Verträge gekündigt, keine Wohnung mehr, nichts. Höchstens noch eine Postadresse bei einem Freund oder so. Sie leben aus einem Rucksack und reisen Jahre um die Welt, verbringen meist maximal drei Monate in einem Land aufgrund von Visa-Bestimmungen. Sie arbeiten von unterwegs, in ihrer Airbnb-Unterkunft, in einem Café oder einer Coworking-Station.
Digital Expats haben auch alles in ihrer Heimat aufgegeben. Allerdings haben sie sich eher eine Homebase im Ausland gesucht – sprich: Sie sind schlichtweg ausgewandert und arbeiten aber meist noch für Unternehmen in ihrer Heimat. Sie reisen auch gerne ein wenig in der Welt herum, aber sind eigentlich sesshaft. Aus welchen Gründen auch immer werden sie dennoch gerne als digitale Nomaden bezeichnet.
Digital Pretenders haben überhaupt nichts aufgegeben. Sie reisen zwar exzessiv und sind häufig in Coworking-Stations anzutreffen. Stets vorm Laptop, hochkonzentriert und hart am … Zocken. Digital Pretenders sind Menschen, die ein Gap-Year machen, ein Sabbatical – und dabei versuchen, ein Image als DN zu pflegen. Ein Jahr Weltreise ist nicht cool genug, nein, man muss so tun, als ob man einer dieser coolen DN ist. Arbeiten müssen sie ja auch nicht wirklich, alles finanziert von Mama und Papa.
Was denn nun?
Lange Rede, kurzer Sinn: Man sollte sich ernsthaft mit der Frage beschäftigen, was man eigentlich will. Als waschechter DN mit Rucksack dauerhaft um die Welt? Deutschland einfach nur den Rücken kehren und vom Ausland aus leben, aber die Sicherheit einer Homebase haben? Oder nur ein Sabbatical machen, dabei aber cool sein, um sich rechtfertigen zu können? Das mag befremdlich oder negativ klingen. Es hilft aber immens dabei, glücklich in seiner Entscheidung zu werden.
Das habe ich mir aber anders vorgestellt
Generelles Fernweh, Neid beim Betrachten der Bilder von glücklichen DN am Strand, Frust vom Alltag in Deutschland – was auch immer der Grund sein mag: Digital Nomad zu werden, ist eine Entscheidung mit enormer Tragweite. Viele unterschätzen das. Was das alleine formal und rechtlich bedeutet, dazu folgt eine ganze Reihe von Artikeln. Auch was das Soziale bedeutet, Herr im Himmel … Ich habe einige Menschen getroffen, die daran innerlich zerbrochen sind, weil sie sich das alles anders vorgestellt hatten. Sie dachten, hey, ich war mal drei Wochen mit Rucksack durch Mittelamerika, ich kann das! Was sie vergaßen, war, dass sie nach diesen drei Wochen erstmal drei Monate brauchten, um wieder auf die Füße zu kommen. Nach dem Urlaub urlaubsreif sein – nix Neues, oder?
Mal positiv betrachtet
Okay, das waren jetzt ein paar ernste und kritische Einschätzungen und Beschreibungen. Musste aber sein, schließlich will ich hier keine Schönfärberei betreiben. Das Leben als DN hat durchaus seine Vorteile – sonst würde ich diesen Lebensstil ja selber nicht verfolgen. Ich liebe ihn. Doch bevor ich das richtig konnte, musste ich durch eine harte Schule gehen. Es ist nicht einfach, aber es lohnt sich. Nachdem ich mich eingerichtet hatte, mental und strukturell, genieße ich jetzt ein schönes Leben. Und nein, ich liege gerade nicht in einer Hängematte mit Laptop am Strand und ich sitze auch nicht in einer coolen Coworking-Station, sondern in meiner Homebase. Ob ich das jedem empfehlen würde? Nein! Stattdessen:
Probieren geht über studieren
Hand aufs Herz: schon mal im Ausland gelebt und gearbeitet? So richtig? Also nicht nur Auslandssemester oder Praktikum, wo alles abgesichert war? Dann mal machen! Einfach mal ausprobieren, drei bis sechs Wochen reichen schon aus, um zu merken, ob das was für einen ist. Halt nur nicht mit Urlaub verwechseln. Ein Probedurchlauf sozusagen. Sagen wir mal sechs Wochen Süd- und Mittelamerika. Nicht länger als drei Tage an einem Ort. Und dabei arbeiten. Ernsthaft arbeiten. Entweder für seinen Arbeitgeber, der einem das ermöglicht, oder an einem konkreten Projekt, das man sich selber ausgesucht hat. Sabbaticals sind ja zum Glück heutzutage keine Ausnahme mehr. Also SIM-Karte raus (um einen echten Eindruck zu kriegen, wie es ist, in jedem Land eine neue SIM zu nutzen), Rucksack packen, Reiseroute grob planen (es läuft eh immer anders als gedacht) und los!
Alea iacta est
Sodele. Schon während dieser – sagen wir mal – sechs Wochen wird man schnell merken, was einem eher gelegen ist: DN on the Road oder Digital Expat mit Homebase, wo man sein Ei legen kann. (Oder ob überhaupt.) Wie auch immer, ab dann kann die Vorbereitung starten. Und die kann gut und gerne drei bis sechs Monate dauern – wenn man sich nicht blindlings ins Verderben stürzen will. Entscheidungen müssen getroffen werden, damit das Abenteuer nicht zum Albtraum wird. Recherche, Recherche und Gespräche … Das betrifft Steuern, Versicherungen, Visa-Bestimmungen, Equipment und natürlich Jobs.
Träum weiter
Nicht nur aus persönlichen Gründen verfolge ich ganz genau, wenn über Digital Nomads berichtet wird. Und das sind meist Stereotypen. Besagte hübsche, coole Leute in Hängematten und so. Und sie alle finanzieren dies mit coolen Jobs. Food-Blogger oder Programmierer oder was auch immer. Oft wird dabei suggeriert, dass es kein Problem ist, Jobs zu finden. Ich habe mal einen DN getroffen, der in der New York Times portraitiert wurde – als erfolgreich und sorgenfrei. Na ja, nach dem dritten Bier sah das alles etwas anders aus und er plauderte aus dem Nähkästchen: Er muss fast 20 Stunden am Tag arbeiten, sieben Tage die Woche, damit er sich gerade mal so über Wasser halten kann – in Vietnam … Sein Food-Blog läuft nur mäßig, die Coding-Jobs sind extrem unterbezahlt und viele Firmen haben eine Abneigung gegenüber DN, sie sind skeptisch – was die Akquise erschwert.
Träumen kann sich lohnen
Ich habe aber auch andere DN kennengelernt (auf die ich, ehrlich gesagt, etwas neidisch war). Die haben genau diesen tollen Lebensstil geführt. Der große Unterschied war, dass sie sich extrem gut vorbereitet hatten – sie hatten im Vorfeld einen großen Kundenstamm aufgebaut, (fast) alles bedacht und waren hochdiszipliniert und durchorganisiert. Und dadurch sehr erfolgreich – und glücklich. Was ich sagen will: Es ist nicht einfach. Aber machbar. Und dann klappt’s auch mit dem DN-Leben. Man darf sich nur nicht blenden lassen. Weder von Hochglanz-Bildern toller Menschen in Traumsituationen noch von Berichten, die nur an der Oberfläche kratzen. Deshalb hier meine ganz subjektiven Eindrücke und objektiven Erfahrungsberichte sowie Tipps und Tricks – aus dem realen Leben eines DN. Nicht mehr, nicht weniger.
Cheers, Rob
Du hast Lust, mehr über das Leben als digitaler Nomade zu erfahren? Kein Problem, bei Rob’n’Roll around the World liest du mehr!
Najaa…. also weng arrogant klingt der Beitrag ja schon. Man kann sich schon die Frage stellen, ob man in 4 Monaten Praktikum (also Arbeit in seinem Studienfach) in einem anderen Land nicht mehr über das Arbeiten in der Fremde lernt als in einem 3wöchigen Kurzausflug mit Aushilfsarbeiten. Ich meine, es sollte nicht unbedingt das Ziel sein, sich mit krass unterbezahlten Mistjobs nur dank der deutlich geringeren Lebenshaltungskosten irgendwie über Wasser zu halten.
Dann würde ich mal diese Idee mit „nach drei Tagen weiter“ vergessen. Echte Normaden ziehen ja auch nicht weiter, wenn ein willkürlich festgelegter Zeitraum um ist, sondern wenn sie müssen. Weil die Weideflächen abgegrast sind, weil Wetter oder sonstwas sie zwingen.
Das gilt dann auch für die drei Monate. Entsprechende Visabestimmungen lassen sich oft mit einem Kurzurlaub aushebeln. Und überhaupt: Wer sich nichtmal darum schert, dass er gar nicht arbeiten dürfte, muss wohl bei den restlichen Visabestimmungen jetzt nicht päpstlicher als der Papst sein.
Zuletzt die „Digital Pretenders“. Da, wie gesagt, die Idee sein sollte, eine gewinnbringende Beschäftigung aufzubauen, die überwiegend digital erledigt werden kann, sollte man, so man sie denn hat, unbedingt die Gelegenheit nutzen ein Weilchen vom Ersparten oder dem Geld der Eltern zu leben und etwas aufzubauen, statt sich kopfüber in prekäre Digitaljobs wie bei fiverr oder upwork zu stürzen. Übrigens etwas, was man durchaus mal nebenher von zuhause aus starten kann, dazu muss man nicht erst nach Vietnam. Womit wir beim letzten Punkt wären: Vorbereitung! Da stimme ich voll und ganz mit Rob überein. „Einfach mal versuchen“ kann man das vielleicht wenn man Phyton/Dataminingexperte ist oder etwas ähnlich gefragtes. Alle anderen sollten sich überlegen, ob sie die Risiken „Ausland ohne Arbeitserlaubnis, Steuern und Rückhalt“ wirklich *gleichzeitig* eingehen wollen mit dem Risiko „Freelancer rein übers Netz“, selbst wenn die Rechnung natürlich mit vietnamesischen Mieten und Lebensmittelpreisen schneller aufgeht.
Hallo,
danke für deinen Kommentar. Und gleich vorweg: Arrogant wollte ich echt nicht rüberkommen. Sorry, das sollte so nicht sein, werde in Zukunft mehr darauf achten. Das sind objektiv-subjektiv/subjektiv-objektive Meinungen. Und manchmal schreibe ich einfach runter, was mir begegnet, was ich erlebe, was ich sehe etc. Was ich zum Ausdruck bringen wollte, war, dass es eben kein Patentrezept gibt. Dass Menschen unterschiedlich sind, unterschiedliche Motivationen haben. Und dass sich angehende DNs einfach mal Gedanken machen sollten. Ich wollte niemanden auf die Füße treten oder beleidigen, neinneinnein. Okay?
Und wenns dan ins Rentenalter geht, lautstark nach Vater Staats (die doofen Steuerzahler) nach Hilfe schreien. Solchen gehört dann auch die Hilfe strikt verweigert.