Twitter: Der Vogel ist frei – und jetzt? - t3n

Elon Musks erratischer Start als neuer Twitter-Chef hat Folgen. Mastodon verzeichnet Rekordzuwächse und die Werbeindustrie verschiebt ihr Budget auf andere Kanäle. Eine Bestandsaufnahme. Erst teilt er höchstpersönlich Fake News, dann entlässt er einen großen Teil der Twitter-Belegschaft, und überlegt es sich in einigen Fällen dann doch wieder anders. Elon Musks Start als Twitter-Chef wirkt chaotisch – und das hat Folgen. Der Bot-Analyse-Dienst Bot Sentinel schätzt anhand eigener Daten, dass alleine zwischen dem 27. Oktober und dem 1. November 2022 mehr als 800.000 Menschen Twitter verlassen haben. Das entspräche mehr als dem Doppelten der erwartbaren Zahl. Bei 237 Millionen Nutzer:innen ist das zwar erst mal nicht dramatisch, die Reaktion der Werbeindustrie aber umso mehr. Laut Musk verliert Twitter täglich vier Millionen US-Dollar, weil sich große Werbekunden von der Plattform zurückgezogen hätten. Tatsächlich wollen einige große Werbekunden wie Volkswagen, Pfizer oder General Motors erst einmal abwarten, bis sie wieder aktiv auf Twitter werben. Musk schiebt die Schuld auf Aktivist:innen – und ignoriert die Fakten „Die Aktivistengruppen haben erfolgreich einen massiven Rückgang der Werbeeinnahmen bei Twitter verursacht“, behauptete Musk vor wenigen Tagen im Rahmen eines Podiumsauftritts. „Ich denke, dass dies offen gesagt ein Angriff auf den ersten Verfassungszusatz ist“, fügt Musk hinzu. Die Werbebranche sieht das allerdings anders. „Die Werbetreibenden werden nicht von Aktivistengruppen manipuliert, sondern von den etablierten Grundsätzen über die Art der Unternehmen, mit denen sie Geschäfte machen können, gezwungen“, erläutert Lou Paskalis auf Twitter. Paskalis vertritt als Präsident der Werbervereinigung MMA Global Mitgliedsfirmen von Coca-Cola über Meta bis hin zu Google. Dass große Werbekunden eine Weile lang keine Anzeigen auf Twitter mehr schalten wollen, ergibt durchaus Sinn. Ersten Untersuchungen zufolge gab es einen deutlichen Anstieg an Hatespeech seit der Musk-Übernahme. Nicht unbedingt die Art von Umfeld, in dem ein Großkonzern die eigene Marke sehen will. Zumal die Massenentlassungen bei Twitter kaum dazu führen dürften, dass die Unterbindung markenschädlicher Inhalte verbessert wird. Auch Nutzer:innen wenden sich ab Ein gewisser Überdruss zeigt sich auch auf der Seite der Twitter-Nutzer:innen. Seit der Übernahme hat bereits eine – wenngleich überschaubare – Gruppe von Stars angekündigt, der Plattform den Rücken zu kehren. Außerdem verzeichnet die offene Twitter-Alternative Mastodon ein massives Wachstum. [crosslinks ids="758621,1509538,1510089"] Laut Mastodon-Gründer Eugen Rochko hat sich die Zahl der Nutzer:innen innerhalb weniger Tage verdoppelt. Mehr als eine Millionen Menschen sind für das offene Netzwerk zwar ein eindeutiger Erfolg, von einem Massenexodus kann derzeit aber keine Rede sein. Aber vielleicht liegt das Heil der Twitter-Gemeinde ja auch nicht in dem freien Klon, sondern ganz woanders. Ein Leben ohne Twitter ist möglich Musk bezeichnet Twitter zuweilen als globales „Townhall“-Meeting. Das impliziert freilich, dass hier alle Menschen mehr oder weniger gleichberechtigt eine Stimme haben. In der Realität sieht das allerdings anders aus. Twitter war, ist und wird auch immer vor allem ein Ort für Elitendiskussionen sein. Wer auf dem Netzwerk viele Follower hat, der würde in aller Regel auch ohne Twitter in der Medienlandschaft vorkommen. Vielleicht wäre es daher angebracht, das aktuelle Unbehagen mit dem neuen Twitter-Chef dafür zu nutzen, mal ganz grundsätzlich das eigene Social-Media-Verhalten zu hinterfragen. Machen die Diskussionen auf der Plattform wirklich Freude? Oder haben sie wenigstens irgendeinen anderen nennenswerten positiven Effekt? Wenn ihr diese Fragen für euch mit nein beantwortet, dann ist die Alternative vielleicht gar nicht Mastodon oder die Hoffnung, dass Musk seinen Zukauf bald mit Verlust veräußert. Vielleicht macht es sogar mehr Spaß, die eigene Aphorismen im direkten Umfeld statt auf Twitter zu teilen. Und wer unbedingt gemeinsam über #Tatort oder #DHDL lästern will, der könnte einfach Freunde einladen. Aber bleiben wir realistisch. Der durchschnittliche Twitter-Junkie wird das genauso wenig machen wie einen dauerhaften Umzug auf Mastodon.