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Reportage
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Belauscht Facebook unsere Gespräche? Ein Experiment

Man bespricht etwas, und prompt erscheint passende Werbung auf dem Smartphone. Steckt ein Lauschangriff von Facebook dahinter? Der Konzern dementiert. Doch Anhaltspunkte gibt es, zeigt ein Selbstversuch.

Von Annelie Naumann
7 Min. Lesezeit
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Lauscht Facebook mit? Welt und t3n haben ein Experiment durchgeführt. (Foto: dpa)

Seit zehn Jahren besitze ich ein Profil auf Facebook. 1.233 Freunde habe ich dort mittlerweile. Ich chatte, veröffentliche Artikel, kommentiere Fotos. Notwendig ist das alles nicht. Harmlos, fand ich lange.

Das erste Mal stutzte ich, als ich an einem Wochenende mit Freundinnen einen Ausflug zu einem „Detox“ für die Füße unternahm. Dabei stellt man seine nackten Beine in ein Bassin mit Basen und sieht dabei zu, wie das Wasser dunkler wird. „Das sind die Gifte, die aus dem Körper geschwemmt werden“, erklärte uns die Kosmetikerin. Auf dem Weg hatten wir uns darüber unterhalten, was passieren würde. Ein Flyer hatte uns aufmerksam gemacht, den Termin hatte eine Freundin telefonisch vereinbart.

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Wir waren deshalb sehr verwundert, als wenige Stunden nach der Anwendung eine von uns auf ihrem Handy ein Angebot fürs Fuß-Detox angezeigt bekam. Es handelte sich dabei auch nicht etwa um jene Freundin, die den Termin gebucht hatte. Wir waren erstaunt: Hatte Facebook unsere Gespräche belauscht – und auf dieser Grundlage passende Werbung angezeigt?

Der Verdacht

Dass Facebook meiner Freundin diese Werbung angezeigt hat, ist inzwischen mehr als zwei Jahre her. Freunde berichteten im Laufe der Zeit ähnliche Anekdoten: Urlaubsziele, über die man gesprochen hatte, tauchten kurze Zeit später in der Facebook-App auf, Gleiches bei Supermarktketten oder Steuerkanzleien. Auch auf Reddit, einem Internetforum, das vor allem in den USA beliebt ist, finden sich haufenweise Erlebnisberichte zu diesem Verdacht.

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Im Juni 2016 reagierte das US-Unternehmen auf die Kontroverse im Netz. In einem kurzen Statement erklärte Facebook, dass man seine Nutzer nicht für Werbezwecke abhöre, was die Diskussion aber nur kurzzeitig unterbrach. Denn schon da stand fest, dass Facebook zumindest Umgebungsgeräusche mitschneiden kann, um bestimmte TV-Serien oder Lieder zu erkennen.

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Das waren die Social Networks vor Facebook
Six Degrees war das erste soziale Netzwerk. (Screenshot: Six Degrees)

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Bei 2,13 Milliarden aktiven Nutzern, davon 30 Millionen allein in Deutschland, sammelt das Unternehmen einen umfangreichen Datenschatz. Und der Konzern baut seine Kontrolle weiter aus: 2012 kaufte er Instagram, einen Dienst, auf dem vor allem Fotos und Videos geteilt werden. 2014 kam der Kurznachrichtendienst Whatsapp hinzu.

Es gibt Länder auf der Erde, in denen der Konzern heute so vorherrschend ist, dass Facebook dort quasi das Internet bedeutet, wie zuletzt das Fachmagazin Wired schrieb. Das Geschäftsmodell dahinter: Die Nutzer informieren teils bereitwillig über ihr Leben. Im Gegenzug kann Facebook seinen Werbepartnern durch passgenaues Tracking seiner Nutzer – so zum Beispiel durch Ortungsdienste und geräteübergreifende Daten – gewährleisten, dass deren Anzeigen die richtige Zielgruppe erreichen. Am Wochenende war bekannt geworden, dass das umstrittene Datenanalyseunternehmen Cambridge Analytica bis zu 50 Millionen Facebook-Profile illegal ausgewertet haben soll – ohne Wissen und Zustimmung der Nutzer.

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Grundsätzlich spricht also einiges dafür, dass Facebook mitlauschen könnte. Auf der anderen Seite jedoch: Welchen konkreten Nutzen sollte das Unternehmen davon haben, heimlich die Daten seiner App-Nutzer zu sammeln und auszuwerten? Facebook würde mit dem Abhören ohne Kenntnis und Einwilligung der Betroffenen eine Straftat begehen, vom damit einhergehenden Vertrauensverlust ganz zu schweigen.

Was also ist dran an dem Gerücht? Sind die Anzeigen nur Zufall und wir, die Nutzer, wollen an eine reizvolle Verschwörung glauben?

Im Herbst 2017 schreibe ich dem Hamburger Datenschutzbeauftragen eine E-Mail. Weil Facebook seinen deutschen Dienstsitz in der Hansestadt angemeldet hat, ist Johannes Caspar für das Unternehmen zuständig. Die Antwort seiner Behörde kommt schnell: Ja, es seien bereits mehrere Eingaben von Bürgern mit „Indizien und damit einhergehenden Vermutungen“ eingegangen. Es sei aber für seine Behörde sehr schwer, klare Antworten zu finden – auch weil es schlicht an Personal fehle.

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Das Experiment

Hier könnte die Geschichte zu Ende sein. Doch was wäre, wenn wir den Vorwürfen genauer nachgehen würden? Zusammen mit der Welt und Axel-Springer-Akademie starten wir Ende 2017 ein Experiment.

Fünf Journalisten erhalten je zwei Smartphones, sechs typengleiche iOS- und vier Android-Geräte. Zuvor haben wir alle zehn Geräte auf die Werkseinstellungen zurückgesetzt. Die frischen Handys bespielen wir mit drei Apps des Unternehmens: Facebook, Instagram und Messenger, dem Nachrichtendienst des Konzerns.

Wir fünf Tester richten auf unseren je zwei Geräten jeweils ein neues, ausgedachtes Facebook-Profil ein. Jeder Tester schafft sich also zwei Alter Egos mit denselben Interessen, demselben Geschlecht, denselben Freunden in derselben Stadt, mit dem Geburtstag im identischen Geburtsjahr und im selben Monat.

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„Facebook erstellt keine Mikrofonaufnahmen, um Werbung oder Beiträge im News Feed in irgendeiner Weise zu beeinflussen.“

Auch die Aktivitäten der zwei Profile gleichen sich von der ersten Minute an: Gefällt einem User etwas, gefällt es zeitgleich auch dem anderen. Nur die hinterlegten E-Mail-Adressen, die Namen und die Profilbilder unterscheiden sich. Meine fiktiven Accounts heißen Annegret T. und Christina S., beide gleich alt, beide haben ein Faible für den Tierschutz und die Berliner Eisbären.

Die Geräte fahren mit zur Arbeit, begleiten die Tester an den Wochenenden. Wir surfen nicht im Internet, bestellen nichts bei Ebay oder Amazon, laden die Geräte nur an Steckdosen und nicht über den USB-Anschluss des Computers. Störende Einflüsse sollen, so gut es geht, vermieden werden. Tag für Tag sind die Geräte den gleichen Bedingungen ausgesetzt – bis zu den entscheidenden Testreihen, mit denen wir feststellen wollen, ob Facebook unsere Gespräche auswertet.

Für ein paar Minuten am Tag trennen wir deshalb die Smartphones. Für unser Experiment liegt jeweils ein Handy jeder Testperson vor uns, während wir über all das sprechen, was wir glauben, besitzen zu müssen, erleben zu wollen, oder tatsächlich zum Leben brauchen: Urlaubsziele und Reiseanbieter, Computerzubehör und Kreditvermittler, Babywindeln – und natürlich Katzenfutter.

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Das jeweils andere Handy, das Kontrollgerät mit dem dazugehörigen Zwillingsprofil, liegt in einem anderen Raum. Unsere Überlegung dahinter: Wenn Facebook tatsächlich unsere Gespräche für Werbezwecke abhören sollte, dann müsste das bei dieser Versuchsanordnung auf dem einem Gerät geschehen – und auf dem anderen nicht.

Über vier Wochen führen wir vier solcher Versuchsreihen mit jeweils drei Tests durch. Zuerst testen wir, ob Facebook mithört, obwohl die App nicht geöffnet ist. Wir reden über Golfequipment, Onlinecasinos oder edle Schwangerschaftsöle. In der ersten Woche beobachten wir nichts Auffälliges.

Mit jeder weiteren Experimentierwoche machen wir es Facebook leichter mitzuhören. In der zweiten Projektwoche öffnen wir die App während des Versuchs. Dabei tragen wir weiter unsere imaginären Einkaufslisten vor: Bitcoin, Versicherungen, Kinderbekleidung. Und tatsächlich stellen wir dann eine Unregelmäßigkeit bei einem der Android-Testgeräte fest: Am Abend werden zwei Pflegeprodukte für Frauen auf Facebooks Tochterunternehmen Instagram ausgespielt. Über beide hatten wir zuvor am Nachmittag gesprochen. Auf dem Gerät dagegen, das beim Gespräch im Nebenraum lag, gab es bis zuletzt keine Werbung für diese Produkte – obwohl der „Zwilling“ in die gleiche Zielgruppe fällt.

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In der dritten Woche schrauben wir die Hürden für einen möglichen Lauschangriff erneut hinunter: Wir tippen eine beliebige Statusmeldung ein, nennen dabei mögliche Reizwörter – und warten. Tatsächlich wird dann noch einmal eines der bereits aufgetauchten Pflegeprodukte angezeigt, dieses Mal auf einem der iOS-Geräte. Zum Schluss telefonieren wir über den Facebook-Messenger miteinander und erwähnen Produkte. Dabei entdecken wir aber nichts Auffälliges.

Ist an den Gerüchten also etwas dran? Ein durchschlagender Beweis gelingt uns nicht. Und doch sind wir auf Anhaltspunkte gestoßen.

Die Konfrontation

Im März bitten wir Facebook um eine Stellungnahme. Eine Sprecherin weist den Vorwurf zurück und erklärt: „Facebook erstellt keine Mikrofonaufnahmen, um Werbung oder Beiträge im News Feed in irgendeiner Weise zu beeinflussen.“

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Dem Hamburger Datenschutzbeauftragten Caspar sind ähnliche Erklärungen aus anderen Fällen wohlbekannt. „Ein Verdacht wie der vorliegende löst kaum mehr als ein qualifiziertes Dementi des Unternehmens aus“, sagt der Datenschützer.

Viel mehr als die Möglichkeit nachzufragen gibt es bei einem Anfangsverdacht aber auch für ihn nicht. „Nach wie vor akzeptiert Facebook nicht die aufsichtsrechtliche Zuständigkeit unserer Behörde“, kritisiert Caspar. Wenn seine Behörde Informationen erhalte, sei dies „nicht auf die Rechtspflichten, sondern eher auf den ‚guten Willen‘ des Unternehmens zurückzuführen“. Man könnte auch sagen: Die deutsche Kontrollbehörde ist dem Unternehmen offenbar herzlich egal.

So sieht es in Facebooks Rechenzentrum in Schweden aus

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Die Vergangenheit zeigt: Facebook bewegt sich rechtlich immer wieder an der Grenze und überschreitet sie bisweilen. So wurde Facebook die Speicherung der Whatsapp-Daten deutscher Nutzer beim Mutterkonzern in den USA untersagt – das Unternehmen hatte die Menschen hierzulande schlichtweg nicht um Erlaubnis gefragt. Das Bundeskartellamt wiederum warf dem Konzern vor, darauf zu bestehen, Nutzerdaten aus allerlei Quellen mit dem Facebook-Profil verbinden zu dürfen.

Auch Jan Philipp Albrecht, Verhandlungsführer des Europäischen Parlaments bei der Datenschutzgrundverordnung, fordert mit Blick auf Facebook deutlich bessere Kontrollmöglichkeiten: „Das Beispiel zeigt, wie nötig eine bessere Ausstattung der Datenschutzaufsichtsbehörden ist.“ Es sei ein handfester Skandal, dass dieser „mögliche, massenhafte Rechtsbruch“ zulasten der Privatsphäre nicht ordentlich ermittelt werden könne, erklärt der Grünen-Politiker. Der Staat dürfe sich nicht weiter aus der Rechtsdurchsetzung im digitalen Raum zurückziehen – „und diese gerade jenen übertragen, die wie Facebook ganz offensichtlich die eigenen wirtschaftlichen Interessen über Recht und Gesetz stellen“.

Facebook ist nur schwer zu kontrollieren – und nur schwer zu enträtseln. Um zu ergründen, welche Daten Facebook tatsächlich an seine Server sendet, müssten die übertragenen Informationen entschlüsselt werden dürfen. Ob Facebook unsere Gespräche aufzeichnet, wissen wir also weiterhin nicht. Und das wird auch wohl bis auf Weiteres so bleiben.

Mitarbeit: Manuel Bewarder, Stephan Dörner, Isabell Finzel, Florian Gehm, Alexej Hock, Kaja Klapsa

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Dein t3n-Team

KommissarSchneider

Moin,

die Frage ist doch, warum sollte Facebook nicht mithören?
Die wollen schließlich nur unser Bestes, unser Geld.
Technisch gesehen kein Problem, nur schwer zu beweisen.
Jetzt weiß ich wieder, warum keinen Account habe …

Antworten
Okkarator

Nun, ich denke nicht, dass sie es zwangsläufig tun, auch wenn sie es technisch gesehen könnten (zumal die meisten Leute ja ihre Einwilligung geben, dass die App das Mikrofon generell benutzen darf (natürlich eigentlich (!) nur für Sprachnachrichten/Videoaufnahmen).

Aber mein Verdacht ist eher, dass die vielen passenden Werbeanzeigen eher daher kommen, dass viele Nutzer ebenso im Browser bei Facebook eingeloggt sind, da sie schlicht vergessen haben, sich irgendwann einmal wieder auszuloggen. Durch die Facebook Social-Plugin-Integration in inzwischen fast jeder Website kann Facebook damit sehr genau verfolgen, auf welchen Seiten wir uns bewegen. Und häufig sucht man ja, wenn auch nur nebenbei aus Langeweile z.B. in der Bahn auf der Rückfahrt nachhause oder abends auf der Couch, nach Begriffen, über die man sich kürzlich unterhalten hat.

Da spricht man abends bei einem Treffen mit freunden eben über Katzenfutter, ein Reiseziel etc. und sucht so beiläufig und kurz nach solchen Begriffen, dass man sich eventuell gar nicht mehr bewusst daran erinnert oder zumindest nicht mehr in Verbindung mit Werbeanzeigen bringt, die man Tage oder Wochen später angezeigt bekommt.

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