Die Nichterteilung eines uneingeschränkten Prüfungstestats nach Abschluss der Prüfungshandlungen ist für gewöhnlich eine sehr klare Aussage, die Geprüfte und Prüfende stets zu vermeiden suchen. Nun ist nach Erkenntnissen des Handelsblatt indes genau dieser Fall eingetreten. Die Jahresbilanz 2017 der Wirecard Singapore Pie. Ltd. erhielt das Testat der Prüfungsgesellschaft Ernst and Young (EY) nicht.
EY kann nicht alle Unterlagen prüfen, erhält unzureichende Auskünfte
Dabei wählten die Prüfer nach Handelsblatt-Einschätzung „drastische Worte“. Das Blatt zitiert aus dem Bericht:
„Wir können weder die Angemessenheit, Vollständigkeit und Richtigkeit des Jahresabschlusses feststellen, noch können wir den Umfang möglicher Anpassungen abschätzen, die in Bezug auf den Jahresabschluss der Gesellschaft erforderlich sein könnten.“
EY nennt zwei Problembereiche: Zum einen hätten die laufenden Ermittlungen der Finanzaufsicht im asiatischen Stadtstaat dazu geführt, dass Unterlagen nicht für die Prüfung zur Verfügung gestanden hätten. Dabei sei unklar und entsprechend nicht zu beurteilen, ob und inwieweit sich aus diesen Ermittlungen Anpassungsbedarfe an der Bilanz ergeben würden.
Zum anderen habe eine hohe personelle Fluktuation bei Wirecard Singapore dazu geführt, dass teils keine qualifizierten Ansprechpartner zur Verfügung gestanden hätten, um offene Fragen zu einzelnen Unterlagen und Transaktionen zu beantworten.
Anleger reagieren verschnupft, Aktie verliert
Besonders bedenklich am verweigerten Testat wird bewertet, dass Wirecard seine Anleger darüber nicht aktiv informiert hatte. Der Konzern sieht sich dazu indes nicht verpflichtet und verweist darauf, dass er „sämtliche veröffentlichungspflichtigen Sachverhalte (…) ordnungsgemäß publik gemacht“ habe. Insbesondere sei der Gesamtabschluss des Konzerns für das betroffene Jahr ordnungsgemäß testiert. Der Abschluss der Tochter aus Singapur sei im Vergleich unbedeutend, aber auch dieser sei im örtlichen Unternehmensregister pflichtgemäß veröffentlicht worden.
Die besondere Sensibilität der Anleger gegenüber Wirecard erklärt sich teils auch daraus, dass ausgerechnet die Konzerntochter in Singapur schon seit Monaten im Fokus negativer Berichterstattung steht.
Entsprechend nahm die Börse den neuerlichen Negativbericht mit einer gewissen Unzufriedenheit zur Kenntnis. Die Aktie verlor rund 5,7 Prozent.
Wenn ein Unternehmen erstmal in die Schusslinie geraten ist, finden sich immer neue Schützen, die auch mal draufhalten wollen. Diesen Eindruck vermitteln die Vorgänge um Wirecard momentan. Bei nüchterner Betrachtung der Entwicklungen zeigt sich nämlich ein weitaus weniger desaströses Bild.
Schauen wir nur auf die Umsätze: Von 1,5 Milliarden Euro Konzernumsatz im Jahr 2017 entfallen 40 Millionen Euro auf die Konzerntochter in Singapur. Selbst wenn deren Umsätze komplett ausfallen würden, fiele das bei 1.460 Millionen Euro verbleibendem Umsatz praktisch nicht ins Gewicht. Von daher steht die negative Börsenreaktion aus betriebswirtschaftlicher Sicht in keinem Verhältnis zum möglichen Schaden.
Auch das reflexhafte „Schon wieder Singapur“ trägt in diesem Fall nicht. Immerhin haben ja gerade die bereits bekannten Probleme nun zur Verweigerung des Testats geführt. Das ist nur konsequent und keiner eigenen Aufregung wert.
Zudem kann eine Prüfungsgesellschaft ein uneingeschränktes Testat nicht erteilen, wenn Behörden Unterlagen zurückhalten und insgesamt gegen das Unternehmen in prüfungsrelevanten Bereichen ermittelt wird. EY wird nicht mit einem Testat vorgreifen und hinterher wie der Depp dastehen, wenn die Behörden in Singapur zu anderen Ergebnissen kommen.
Insofern ist die von EY gewählte Formulierung nur auf den ersten Blick „drastisch“, wie es das Handelsblatt nennt. Tatsächlich spiegelt sie lediglich die Problemlage, die sich aus den laufenden Ermittlungen ergibt, korrekt wider.
Dieter Petereit
Passend dazu: Girokonto mit 0,75 Prozent Zinsen: Wirecard steigt ins Bankgeschäft ein