US-Wahl 2020 – welche Rolle Social-Media-Ads spielen

Donald Trump gegen Joe Biden. (Foto: kovop58 / shutterstock)
Auf Grundlage der durch das britische Unternehmen Cambridge Analytica gesammelten Daten konnten Mikrozielgruppen gebildet werden, die mit maßgeschneiderten Botschaften angesprochen wurden. Aus derartigen Datensätzen gewonnene Informationen können Wohnort, Geschlecht, Einkommen, religiöse Zugehörigkeit, Konsumvorlieben und mehr sein. Sie helfen – wie zum Beispiel im aktuellen Wahlkampf –, durch das Ausspielen gezielt negativer Inhalte die Nutzer und ihre Meinung in eine gewünschte Richtung zu lenken. Auch im analogen Wahlkampf wurde auf die gewonnenen Erkenntnisse zurückgegriffen. Die Wahlkampfhelfer Trumps sollen 2016 mit 32 Gesprächsleitfäden auf Stimmenfang geschickt worden sein. Jeder Leitfaden war auf eine andere Persönlichkeit ausgerichtet.
Basierend auf diesen Entwicklungen und der gesellschaftlichen Wahrnehmung haben mittlerweile einige Unternehmen, darunter beispielsweise Twitter, entschieden, politische Werbeinhalte nicht länger zu erlauben. Diese Bemühungen bleiben jedoch ein Strohfeuer, solange sich der größte Social-Media-Konzern Facebook mit der effektiven Regulierung politischer Anzeigen schwertut.
Mark Zuckerberg äußerte sich unlängst zwar selbst zur anstehenden Wahl und der Rolle von Facebook: „Diese Wahl wird nicht Business as usual sein. Wir haben alle eine Verantwortung, unsere Demokratie zu schützen.“ Andererseits wurden nur Anzeigen im Wahlkampf-Kontext gesperrt, die während der Woche vor der Wahl geschaltet wurden. Das bedeutet, beide Lager mussten lediglich rechtzeitig ihre Kampagnen planen und veröffentlichen, denn bereits geschaltete Anzeigen dürfen weiterhin veröffentlicht werden. So wird es den Kontrahenten lediglich ein wenig schwerer gemacht, vorschnelle Botschaften zu verbreiten. Eine wirkliche Konsequenz aus den Entwicklungen der letzten Jahre ist allerdings nicht erkennbar.
Wer sich daher fragt, weshalb Facebook trotz aller in diesem Kontext stehender Schwierigkeiten der letzten Jahre noch immer mit sich hadert, wenn es um ein Verbot oder zumindest die klare Regulierung politischer Inhalte mit teils fragwürdiger Qualität geht, muss verstehen, auf welchem Fundament solche Konzerne errichtet sind.
Gilad Edelman beschreibt die digitale Werbung sehr passend als das dem freien Internet zugrunde liegende Finanzmodell. Mit dieser auf den ersten Blick recht simplen Erkenntnis liefert er die Antwort auf all das Zögern und Winden vor Einschränkungen von politischer Werbung: Einige Unternehmen scheinen sich den Verzicht auf die so zu generierenden Einnahmen einfach nicht leisten zu wollen.
It’s all about the money, money, money
Der amerikanische Journalist McKay Coppins prognostizierte bereits im Februar, dass im Wahlkampf 2020 etwa eine Milliarde US-Dollar in Facebook-Anzeigen investiert werden wird. Dies geschieht sowohl über die Kandidaten der beiden großen Parteien als auch ihre Super-PAC (Political Action Committees). Das entspricht immerhin ungefähr 1,5 Prozent des Jahresumsatzes von Facebook. Zur Einordnung: Kein Unternehmen investiert mehr als 200 Millionen Dollar jährlich.
Ciara Torres-Spelliscy, eine Professorin der Stetson University in Florida, schrieb in einem Artikel für das Brennan Center for Justice zu den Facebook-Werbe-Budgets im April 2020 von Ausgaben jenseits der 36 Millionen Dollar aufseiten Trumps. Im Oktober 2020 lagt diese Summe laut Facebooks Ad Archive bei etwa 99 Millionen Dollar. Ein Plus von über 60 Millionen Dollar in fünf Monaten also.
Zum Vergleich: Allein in der Woche zwischen dem 8. und 14. Oktober hat das Team von Donald Trump rund fünf Millionen Dollar in Facebook-Werbeanzeigen investiert.
Joe Biden hingegen hat im gleichen Zeitraum sogar nahezu 6,5 Millionen Dollar investiert, jedoch „nur“ 78 Millionen Dollar im gesamten Werbezeitraum ausgegeben.

Die Aufteilung der verschiedenen Disclaimer, die für Trump (links) und Biden (rechts) Anzeigen auf Facebook schalten. (Screenshot: Facebook Ads Library (Trump) und Facebook Ads Library (Biden))

Die Grafik zeigt den erwarteten enormen Zuwachs des Budgets im Vergleich der Wahljahre 2016 und 2020. (Screenshot: opensecrets.org)
Facebook im Mittelpunkt der Wahlwerbung
Laut einer aktuellen Statistik war Facebook im Juni 2020 die Internetseite mit der zweithöchsten Besucherzahl in den USA. Allein in diesem Juni haben 223,21 Millionen Unique Visitors Facebook besucht. Mithilfe der vielen mittlerweile an das ursprüngliche Social Network angeschlossenen Produkte und Netzwerke ist es zudem sehr einfach, Nutzer aller Altersklassen entsprechend ihrer Nutzungspräferenz zu erreichen.
Die Möglichkeit, die richtigen Inhalte den passenden Personen fast beliebig skalierbar anzuzeigen, erklärt die Verlockung der Werbung im Facebook-Universum. Gleichzeitig führen die bereits angesprochenen Regeln und Verbote politischer Werbung der anderen Netzwerke nur zu einem weiteren Zufluss von Werbegeldern an Facebook. Ein Mangel an Alternativen sowie die vielfältigen Möglichkeiten, auf Facebook zu werben, ergänzen sich in den Augen von Advertisern einfach wunderbar. Bei den so zustande kommenden Budgetgrößen fällt es – nicht ganz unverständlich – schwer, eine verantwortungsvolle Regulierung zu forcieren.
Diese Botschaften sollen Amerika überzeugen
Die Anzeigenschaltung der beiden Kontrahenten (sowie ihrer Teams und Unterstützer) zeigt, dass sämtliche sich bietenden Möglichkeiten genutzt werden, um die richtigen Nutzer auf sich aufmerksam zu machen. Beide politischen Lager nutzen verschiedenste Anzeigenarten mit fein differenziertem Targeting, das auf geografischen Daten, dem Geschlecht, der Herkunft und weiteren Eigenschaften basiert. Insbesondere die Anzeigen, die der Facebook-Seite von Trump zugerechnet werden, nutzen dieses Targeting perfekt, um genau auf die jeweiligen Adressaten ausgerichtete Botschaften zu vermitteln.
Hier wird mit der Angst der Amerikaner gespielt – etwa, indem Biden vorgeworfen wird, der Polizei wichtige finanzielle Mittel entziehen zu wollen und so eine entsprechende Kontrolle und Eindämmung der Kriminalität unmöglich zu machen. Ein anderes Beispiel propagierte die Schuld Bidens daran, das Leben Tausender POC (People of Color) in den USA zu zerstören, da er für Beschlüsse verantwortlich sei, die deren Rechte beschneiden.

Beide Bilder zeigen Werbeanzeigen, die mit Ängsten der Bevölkerung oder politischen Reizthemen spielen. Beide hochemotionalen Anzeigen richten sich größtenteils oder ganz an ein weibliches Publikum. (Screenshots: Facebook Ads)
Eine mögliche Sperrung aufgrund einer Verletzung der Nutzungsrichtlinien schreckt Trump nicht ab: Die enormen Budgets, mit denen die Anzeigen von Beginn an versorgt sind, sorgen dafür, dass selbst bei einer Sperrung Impressionen in Millionenhöhe erzeugt werden.

Die Anzeige wurde von der Auslieferung ausgeschlossen, hat aber bereits mehr als eine Million Impressionen erreicht. (Screenshot: Facebook Ads Library)
Kim Sherk, Präsidentin der Georgia Federation of Republican Women, die sich im Video als Besitzerin eines kleinen Unternehmens darstellt.
Fern A. Smith, Kandidatin der Republikaner 2020. Im Video wird sie nicht vorgestellt, äußert sich als POC nur positiv zur Politik Donald Trumps.
Auch Biden verzichtet nicht darauf, Trump durch Hervorheben seiner politischen Fehlentscheidungen in ein möglichst schlechtes Licht zu rücken. Starke Verzerrungen der Tatsachen fallen aber, wie oben gezeigt, eher in das Repertoire des aktuell amtierenden Präsidenten.

(Screenshots: Facebook Ads Library/ Facebook Ads Library)

(Quelle: Facebook Ads Library)

(Screenshots: Facebook Ads Library/ Facebook Ads Library)

Spieler können über das Scannen der von Bidens Team veröffentlichten QR-Codes Wahlplakate mit der Nintendo-Switch-Online-App in das Spiel laden und auf ihren Grundstücken platzieren. (Screenshots: The Verge)
Damit konnte das Team von Joe Biden erfolgreich eine klassische Variante der Wahlwerbung Amerikas in die digitale Welt überführen. Nichtsdestotrotz sehen besonders die Spieler selbst diesen Schritt in vielen Fällen kritisch.
Nicht nur Trump und Biden nutzen Social-Media-Ads
Doch nicht nur die republikanische und demokratische Partei kämpfen mit Millionenbeträgen um Reichweite. Den amerikanischen Wahlkampf zeichnen seit jeher die vielen verschiedenen Werbetreibenden aus. Super PAC (Political Action Committees) – große Lobbygruppen für die Interessen einer Partei – geben so nicht einfach nur Parteispenden, sondern betreiben zusätzlich komplett eigenständige Kampagnen für ihre Kandidaten. Diese Kampagnen richten sich in der Regel gegen den politischen Widersacher, um die Botschaft des eigenen Wunschkandidaten nicht zu verwässern und den Kontrahenten zu diskreditieren.
Trump und Biden sind auf die Unterstützung der Super PAC angewiesen, da sie selbst nur alle vier Jahre maximal 2.800 Dollar von einem Einzelspender empfangen dürfen. Die Super PAC dürfen sich nicht mit den Kandidaten koordinieren, aber, anders als bei Direktspenden an die Kandidaten, können die Zuwendungen an Super PAC (mittelbar) verschleiert werden. Das erweitert das Spektrum der politischen Meinungsmache massiv.
Eine interessante Gruppierung ist beispielsweise das Lincoln Project. Die Organisation wurde von Republikanern gegründet, die sich gegen Donald Trump stellen und daher Joe Biden unterstützen. Ihre Anzeigen zeichnen sich durch schnelle Reaktion auf aktuelle Geschehnisse und die Provokation von Donald Trump aus. Handwerklich kann jeder Werbetreibende und Kreative viel davon lernen. Die Merkmale der Anzeigen sind ein Social-Media-Best-Practice, an das nahezu kein Unternehmen heranreicht, und können in ihrer Wirksamkeit eher mit Beiträgen von Influencern verglichen werden.
Das zeichnet die Video-Anzeigen des Lincoln Projects aus:
- Kurze Titel wie „Whispers“ oder „I’m smart“
- Kurze Clips, oft zwischen einer und eineinhalb Minuten lang
- Eindringliche, ruhige Erzählerstimme
- Untertitel, in der Regel sogar mit Wort-für-Wort-Einblendung
- Polarisierendes, reales Bildmaterial aus Amerika
- Die amerikanische Flagge als Symbol
- Ständige Wiederholung der Fehlleistungen Trumps
- Klassischer Aufbau mit Klimax
Die wichtigsten Botschaften hebt sich das Lincoln Project fast ausnahmslos für das Ende der Videos auf. Alle sind eindringlich und können einfach in den eigenen Sprachgebrauch übernommen werden: „We all make mistakes. Just don’t make them twice“, „Vote like your life depends on it“ oder „Choice between a man with good character and one without one“ sind typische, messerscharfe Formulierungen.
Mit Strategie und Geschick ins Weiße Haus
Politik ist wie eine gute Partie Schach. Oder besser Go, wenn man die Vielzahl der Winkelzüge und Möglichkeiten bedenkt. Gleiches gilt auch für die Social-Ads-Strategie rund um die anstehende US-Wahl. Joe Biden und Donald Trump bedienen sich dabei fünf elementarer Strategien.
1. Durch Testing versuchen beide Kandidaten mit ihren Botschaften ins Schwarze zu treffen. Dafür kommen verschiedene Texte, Bilder und Narrative zum Einsatz. Nach der ersten TV-Debatte zwischen Trump und Biden versuchte Donald Trump, das Gerücht eines heimlichen Ohrstöpsels zu säen. Mindestens 15 Varianten dieser Behauptung wurden getestet, um Biden wahlweise als fremdgesteuert oder alt zu positionieren.

(Screenshot: Facebook)
2. Die vielen öffentlichen Auftritte und Debatten bieten zudem den optimalen Nährboden für ein weiteres Element der Anzeigenstrategie: Rapid Response Campaigning. Eine Mischung aus dem Gespür für Geschichten und Geschwindigkeit führen hierbei zum Erfolg. Das TV-Duell zwischen Mike Pence und Kamala Harris war ein hervorragendes Beispiel dafür. Eine kleine, schwarze Fliege landete auf dem silbernen Haar von Mike Pence. Was im ersten Moment an Irrelevanz kaum zu überbieten war, war in Wirklichkeit die perfekte Gelegenheit: Keine 24 Stunden später hatte die Fliege einen eigenen Twitter-Account mit 120.000 Followern, eine Website unter www.flywillvote.com zur Wählerregistrierung, eigene Fliegenklatschen und Shirts als Merchandise und ging als Meme „Mike Pence’s only black friend“ um die Welt. Alles, um Spenden und mehr Daten in die Kampagne von Biden sprudeln zu lassen. Was anfangs keinen großen Zusammenhang erkennen ließ, diente später der gezielten Ansprache von Biden-Sympathisanten.

(Screenshot: Twitter)
3. Seit jeher ist der Wahlkampf in den USA aggressiv. Der Angriff des Kontrahenten mit Negative Marketing ist ein beliebtes Mittel. Kandidaten werden nicht selten als inkompetent, kriminell oder dumm dargestellt. Durch die Schwächen des Gegenübers erscheint man selbst im besseren Licht. Ein Paradebeispiel ist die oben erwähnte „I’m Smart“-Anzeige von The Lincoln Project. Das Video bedient sich an Versprechern und Fehlern von Donald Trump.
4. Besonders wichtig ist es, die Deutungshoheit über aktuelle Geschehnisse zu erlangen. Beim Swiftboating wird das Tagesgeschehen in den Kontext des eigenen Handels gesetzt – oder dem Gegner zu Lasten gelegt. So hat Donald Trump etwa die Corona-Pandemie unterschätzt, bis schließlich er selbst und seine engsten Verbündeten daran erkrankt sind. Über 200.000 Tote in Amerika dienen für Biden und seine Unterstützer demnach als Beleg für Trumps Fehlleistungen.
5. Die durchtriebenste Strategie ist das Marketing of One. Ganze Kampagnen verfolgen kein anderes Ziel, als den Kandidaten zu verunsichern. Sie richten sich nicht gegen politische Standpunkte oder an Wählergruppen. Vielmehr sind sie reine psychologische „Kriegsführung“. Das Video „Whispers“ soll Donald Trump das Gefühl vermitteln, dass er alleine und zurückgedrängt steht, und damit sein Vertrauen in Mitarbeiter und Verbündete schwächen. Nicht selten verlieren Politiker dadurch ihren Fokus und verstricken sich in Selbstverteidigung.
Die US-Wahl 2020 ist nicht nur der Kampf des einst mächtigsten Landes auf der Erde um den Erhalt dieser Rolle. Es ist auch ein Lehrstück in Marketing und Kommunikation – ohne Rücksicht auf Verluste, ohne Bandagen und ohne Netz und doppelten Boden.