Virtual Reality: In der Medizin bald nicht mehr wegzudenken
Virtual Reality im Gesundheitswesen
VR-Brillen versetzen ihre Anwender durch die erlebte künstliche Umgebung in die sogenannte „gefühlte Immersion“, wo sie Lernerfahrungen sammeln, mit Ängsten oder Problemen konfrontiert werden können, die sehr nah an der Realität sind. Gerade in der Medizin sind hier also Anwendungsfälle vorstellbar, wo Ärzte oder Krankenschwestern an virtuellen Objekten üben und lernen können. Doch auch die Konfrontation mit Ängsten der Patienten ist denkbar und wird aktuell erforscht.
Virtuelle Konfrontation mit Phobien
Virtuelle Therapien gegen Phobien werden zum Beispiel am King’s College in London erforscht. Sei es die Konfrontation mit Arachnaphobie (Angst vor Spinnen), Klaustrophobie (Angst vor Enge) oder soziale Phobien. Das Anwendungsfeld ist groß.
Aktuell findet eine Feldstudie zur Paranoia-Therapie statt, in der Patienten in eine virtuelle Bar gehen sollen, wo sie mit den Avataren der künstlichen Umgebung interagieren müssen. Die Avatare sind bewusst künstlich dargestellt, besprochen werden sie jedoch über Mikrofone von echten Psychologen. Während man mit diesen übt, alltäglichen Smalltalk zu führen, hört man im Hintergrund, wie andere Gäste über einen reden oder sich lustig machen. „Dies soll zur Konzentration dienen und den Umgang in gesellschaftlichen Rahmen fördern. Wir versuchen herauszufinden, ob eine künstliche Umgebung zur Bewältigung von sozialen Ängsten förderlich sein kann, um Menschen auf reale Situationen vorzubereiten.“ meint Prof. Thomas Craig vom King’s College Institute of Psychiatry (IoP).
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt die niederländische Firma IgnisVR. In einem virtuellen Raum werden die Anwender mit digitalen Spinnen konfrontiert. „Wir haben es hier mit einem Effekt des Uncanny Valley zu tun. Die virtuelle Konfrontation ist bewusst künstlich gehalten, um den Anwender klar zu zeigen, dass diese Situation nicht real ist, wenngleich sie durch die virtuelle Umgebung realer wirkt als bei der Betrachtung einer echten Spinne in einem normalen 2D-Film. So ist eine bessere Lernerfahrung möglich.“ ist Martijn Segers, CEO von IgnisVR überzeugt.
Virtual Reality für Medizinisches Training
Virtuelle Realität ermöglicht aber auch das risikofreie sammeln praktischer Erfahrungen von lebensrettenden Prozeduren. Next Galaxy und das VR HealthNet versuchen hier beispielsweise virtuelle Räume zu schaffen, die möglichst realistische Erfahrungen an virtuellen Patienten ermöglichen. Sei es eine schwierige Operation am Gehirn oder der einfache Zahnarztbesuch, überall finden sich bereits erste Feldversuche. Auch die Steuerung von Operations-Robotern, welche Bewegungen vollziehen, die teilweise für menschliche Hände unmöglich geworden sind, können so trainiert und durch eine VR-Brille besser gesteuert werden.
Auch Zahnärzte fangen an, die virtuelle Umgebung zu schätzen. Anhand von 3D-Modellen von Zähnen oder menschlichen Köpfen können in Trainingssituationen verschiedene Techniken erlernt werden, die sonst nur an plastischen Figuren ohne Sensoren und Feedback erlernbar waren. Ein Zahnarztstuhlsystem mit dem Namen „HapTEL“ (Haptics Technology Enhanced Learning) ermöglicht es verschiedene Situationen der Patienten nachzuerleben. Durch die haptische Erfahrung des Bohrers lässt sich der physische Druck nachempfinden. Der Stuhl zeigt an, wann der Druckpunkt erreicht ist, der bei einem durchschnittlichen Patienten zu Schmerz führen kann.
Auch Gesundheits- und Krankenpfleger lernen den Umgang mit Patienten in virtuellen Umgebungen kennen. Die Nursery University of Texas at Arlington hat sich auf Erfahrungen mit Second Life spezialisiert, setzt seit 2015 aber auch auf die Erforschung von Anwendungsfällen mit VR-Brillen zum Erlernen eines korrekten Umgangs mit Patienten.
Hier ist die spanische Firma Indra schon weiter: Zusammen mit der Rafael del Pino Foundation aus Madrid konzentrieren sich diese mit ihrem Forschungs-Projekt Toyra auf Rehabilitations-Anwendungen mit Patienten. Toyra ermöglicht durch die Interaktion mit virtuellen Objekten das leichtere Wiedererlernen von realen Bewegungsabläufen in alltäglichen Situationen. Diese Art der elektronischen Therapie ermöglicht nicht nur eine bessere Erfassung von Daten sondern auch die Analyse dieser, um den Patienten auf normale Situationen vorzubereiten.
Jon Hindmarsh, ebenfalls Professor am Londoner King’s College und zuständig für interaktive Lernerfahrungen ist davon überzeugt, dass die möglichen Anwendungsfelder sich gerade erst abzeichnen. „Jeden Tag kommen neue Ideen und Forschungsfelder von Studierenden hinzu. Wir sind gerade erst am Anfang. In einigen Jahren wird das virtuelle Erlernen in der Medizin aber nicht mehr wegdenkbar sein.“
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Technische Fortschritte in der Medizin sind zwingend notwendig, um Innovationen zu schaffen, Fortschritte festzuhalten und neue Wege zu finden, schwer bis kaum heilbare Krankheiten einzudämmen. Und die Arbeitswelt ist ebenfalls im Wandel: neben klassischen Ärzten und Pflegefachkräften werden Medizintechniker, IT-ler und andere technische Berufe mit Bezug zur Medizin immer wichtiger (vgl. https://www.stellenonline.de/medizin-pflege-stellenangebote ).
In den nächsten Jahrzehnten wird es vor allem darum gehen, Produkte auf den Markt zu bringen, die wirklich hilfreich für die Menschen sind und ich lobe die bisherige Entwicklung der Medizintechnik. Allerdings habe ich das Gefühl, dass Profit und Wirtschaftlichkeit doch in der Unternehmensphilosophie stecken. Das ist auch nicht schlecht, wenn der Gewinn in Innovationen und Forschung gesteckt wird. Und nicht ohne Grund werden auch betriebswirtschaftliche Tätigkeiten in der Medizin ausgeschrieben (vgl. https://www.medizin.career/suche/?Campaign=9&name=Medical+manager&plz=&order )