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MIT Technology Review News

Warum immer weniger Embryonen für die Forschung gespendet werden

Britische Forscher stellen fest, dass die Zahl der für die Forschung gespendeten Embryonen im Vereinigten Königreich stark zurückgegangen ist. Woran liegt das?

Von MIT Technology Review Online
4 Min.
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Für die Embryonenforschung gilt ein enges Zeitfenster, nämlich die sogenannte 14-Tage-Regel. (Foto: Tati9 / Shutterstock) 

Auf Netflix gibt es einen neuen Film über „In-vitro-Fertilisation“ (IVF), den in Reproduktionsmediziner-Kreisen jeder gesehen haben soll. „Joy“ ist ein schöner Film über die Entstehung des Fachgebiets der künstlichen Befruchtung, die den hartnäckigen Bemühungen der britischen Ärzte und Biologen Robert Edwards, Jean Purdy und Patrick Steptoe gegen erhebliche Widerstände zu verdanken ist.

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Weltweit über zwölf Millionen Babys durch IVF geboren

Das Team führte einen Großteil seiner wichtigen Forschungsarbeiten in den 1960er und -70er Jahren durch. Louise Brown, das erste „Reagenzglasbaby“ kam 1978 zur Welt. Es ist bemerkenswert, dass innerhalb von 40 Jahren nach diesem Meilenstein weitere acht Millionen Babys durch IVF geboren wurden. Heute schätzt man, dass über zwölf Millionen Babys durch IVF entstanden sind und dass der Einsatz der Reproduktionstechnologie mehr als zwei Prozent der Geburten in den USA ausmacht.

Die IVF ist auch eine Erfolgsgeschichte der Embryonenforschung. Inzwischen allerdings fehlen der Forschung Embryonen, sagen Wissenschaftler:innen, die Anfang dieser Woche auf der jährlichen Konferenz des Progress Educational Trust (PET) im Zentrum Londons zusammenkamen. Der PET ist eine im Vereinigten Königreich ansässige Wohltätigkeitsorganisation, deren Ziel es ist, die Öffentlichkeit über Genomik und Unfruchtbarkeit zu informieren.

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Die Bedeutung der Embryonenforschung

Die Embryonenforschung versucht, mehr darüber zu erfahren, wie sich der Mensch vor der Geburt entwickelt, warum es zu Fehlgeburten kommt, und um mögliche Behandlungsmethoden für Entwicklungsstörungen wie Spina bifida oder Herzfehler zu entdecken. Die Wissenschaftler:innen untersuchen dafür gespendete Embryonen, die in der Regel aus künstlichen Befruchtungen stammen, aber von den Eltern, aus deren Spermien und Eizellen sie erzeugt wurden, nicht mehr benötigt werden: Entweder, weil ihre Familien durch IVF bereits groß genug sind, oder weil sie die Embryonen aufgrund geänderter Lebensumstände nicht mehr einsetzen lassen können. Manchmal weisen die Embryonen auch genetische Anomalien auf, die es unwahrscheinlich machen, dass sie eine Schwangerschaft überleben.

Für die Forschung gilt ein enges Zeitfenster, nämlich die sogenannte 14-Tage-Regel. Diese wurde vor 40 Jahren im sogenannten Warnock-Bericht gebilligt und begrenzt das Wachstum von Embryonen im Labor auf eben diesen Zeitraum von zwei Wochen. Mit dieser Regel, die inzwischen weltweit übernommen wurde, soll verhindert werden, dass Wissenschaftler:innen – nach einer IVF gespendete – Embryonen bis zu dem Punkt wachsen lassen, an dem sie eine Primitivstreifen genannte Struktur entwickeln. Ab da beginnt die Entwicklung von Geweben und Organen, und der Embryo ist nicht mehr in der Lage, sich zu teilen und Zwillinge zu bilden.

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Die 14-Tage-Regel für die Embryonenforschung erweitern

Die Londoner Konferenz fand explizit anlässlich des 40. Jahrestages der Veröffentlichung dieses Warnock-Berichts statt, der auf eine Regierungsuntersuchung zur Behandlung von Unfruchtbarkeit folgte. Der Bericht gilt als erster Leitfaden für die Anerkennung des „besonderen“ Status des Embryos in der Gesetzgebung und trug zur Regulierung der im Entstehen begriffenen Technologie im Vereinigten Königreich bei. Inzwischen wollen die Wissenschaftler:innen aber weiter forschen und fordern eine Erweiterung der 14-Tage-Regel bis zu maximal 28 Tagen. „Die Forschung über 14 Tage hinaus würde zu anderen Erkenntnissen führen – zu einem Verständnis der frühen Embryonalentwicklung in der ‚Black Box‘-Phase, wodurch beispielsweise frühe Schwangerschaftsprobleme erkannt werden könnten oder wir besser verstehen, wie sich angeborene Krankheiten entwickeln“, erklärte Peter Thompson, Hauptgeschäftsführer der Human Fertility and Embryology Authority (HEFA) (auf Deutsch: Behörde für menschliche Fruchtbarkeit und Embryologie), die die Fortpflanzungstechnologie im Vereinigten Königreich regelt. Die Hoffnung sei natürlich, so Thompson, dass solche Entdeckungen wiederum zu neuen Behandlungsmöglichkeiten führen würden.

Lieber spenden als „zugrunde gehen“ lassen

Eine Umfrage der HEFA ergab, dass die Mehrheit der Patient:innen ihre Embryonen lieber für die Forschung spenden würde, als sie „zugrunde gehen“ zu lassen, erklärte Geraldine Hartshorne, Direktorin des Coventry Centre for Reproductive Medicine, dem Publikum.

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Trotzdem ist die Zahl der für die Forschung gespendeten Embryonen im Vereinigten Königreich in den letzten Jahrzehnten stark zurückgegangen: von 17.925 in 2004 auf 675 in 2019. Das ist ein überraschender Rückgang, wenn man bedenkt, dass die Zahl der durchgeführten IVF-Zyklen im gleichen Zeitraum stetig gestiegen ist.

Mögliche Gründe für den Rückgang an Embryonenspenden

Laut Hartshorne gibt es einige Gründe, warum Embryonen nicht in die Forschungslabors gelangen. Ein Teil des Problems besteht darin, dass die meisten IVF-Zyklen in Kliniken durchgeführt werden, die keine Verbindungen zu akademischen Forschungszentren haben. Derzeit werden die Embryonen in der Regel in den Kliniken gelagert, in denen sie gezeugt wurden.

Es kann allerdings schwierig sein, sie zu den Forschungszentren zu bringen – das Klinikpersonal hat nicht die Zeit, die Energie oder den Kopf, um die gesetzlich vorgeschriebenen Unterlagen auszufüllen, damit Embryonen für bestimmte Forschungsprojekte gespendet werden können, so Hartshorne. Es wäre sinnvoller, eine große, zentrale Embryonenbank einzurichten, in die Menschen Embryonen zur Spende für die Forschung schicken könnten, fügte sie hinzu.

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Ein Jahr, „um den erforderlichen Papierkram zu erledigen“

Ein besonderes Problem seien tatsächlich die umfangreichen Unterlagen. Zwar werde das Vereinigte Königreich zu Recht für seinen strengen Ansatz bei der Regulierung von Reproduktionstechnologien gelobt, der von Embryologen in aller Welt als „weltweit führend“ bezeichnet wird, aber es gäbe auch ein hohes Maß an Bürokratie zu bewältigen, so Hartshorne. „Wenn sich Patienten an mich wenden und sagen: ‚Ich möchte meine Embryonen oder Eizellen für Ihr Forschungsprojekt zur Verfügung stellen’‘ muss ich sie in der Regel abweisen, weil ich ein Jahr brauchen würde, um den erforderlichen Papierkram zu erledigen“, sagte sie.

Hier braucht es vielleicht ein neues Gleichgewicht. Die Forschung an Embryonen hat das Potenzial, sehr wertvoll zu sein. Wie uns der Film Joy vor Augen führt, kann sie die medizinische Praxis verändern und Leben verändern. „Ohne Forschung gäbe es keinen Fortschritt und keine Veränderung“, sagte Hartshorne. „Das ist definitiv nichts, was wir für die IVF und die Reproduktionswissenschaft anstreben sollten.“

Dieser Artikel stammt von Jessica Hamzelou. Sie ist Senior Reporter bei der US-amerikanischen Ausgabe von MIT Technology Review und schreibt über Biomedizin und Biotechnologie.

 

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