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MIT Technology Review Feature

Warum unsere Computer-Tastaturen eigentlich imperialistisch sind

Computer wurden von Grund auf für Benutzer mit lateinischem Alphabet konzipiert, Ländern in Asien und dem Nahen Osten hat das jahrzehntelang Schwierigkeiten gemacht. Warum sich das nicht so schnell ändern wird.

Von MIT Technology Review Online
5 Min.
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Tastatur mit QWERTY-Anordnung. (Bild: Lenovo)

Hast du schon einmal über die scheinbar wundervolle Tatsache nachgedacht, dass trotz der unzähligen Unterschiede zwischen den Weltsprachen praktisch alle Menschen die gleiche Tastatur verwenden, die links oben, unter der Ziffernreihe, mit QWERT beginnt? Viele Sprachen haben mehr oder weniger als 26 Buchstaben in ihrem Alphabet – oder gar kein „Alphabet“, wie das Chinesische, das Zehntausende von Zeichen hat. Und doch benutzen alle dieselbe Tastatur, um miteinander zu kommunizieren.

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Im neuen Buch The Chinese Computer geht es darum, wie dieses Problem in der Volksrepublik gelöst wurde. Nach Generationen von Bemühungen, chinesische Schriftzeichen zu sortieren, Computer passend dafür zu modifizieren und Tastaturanwendungen zu entwickeln, die automatisch das nächste Zeichen vorhersagen, ist es nun endlich für jeden Chinesisch sprechenden Menschen bequem möglich, eine QWERT-Tastatur zu benutzen.

Aber das Buch hört damit nicht auf. Es endet mit einer größeren Frage, was das alles bedeutet: Warum ist es notwendig, dass Sprecher von Sprachen ohne lateinische Schriftzeichen moderne Technologien für ihren Gebrauch anpassen müssen? Und was tragen ihre Bemühungen zur Computertechnologie bei?

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MIT Technology Review hat mit dem Autor des Buches, Tom Mullaney, einem Historiker an der Stanford University, gesprochen. Im Interview ging es um Tastaturen, Computer, das englischsprachige Design, das allen Computertechnologien zugrunde liegt, und sogar darüber, wie Tastaturen neue Technologien wie die virtuelle Realität beeinflussen. Hier sind einige von Mullaneys faszinierendsten Antworten, die der Klarheit und Kürze halber leicht gekürzt wurden.

Ein großes Experiment

Mullaneys Buch behandelt viele Experimente über mehrere Jahrzehnte hinweg, die letztlich das Tippen von Chinesisch auf einer QWERT-Tastatur möglich und effizient gemacht haben, aber ähnliche Prozesse haben sich überall auf der Welt abgespielt. Viele Länder mit eigenen Zeichensätzen mussten herausfinden, wie sie einen westlichen Computer für die Eingabe und Verarbeitung ihrer eigenen Sprachen nutzen konnten.

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Mullaney: „Im Falle des Chinesischen – aber auch im Japanischen, Koreanischen und vielen anderer nicht-westlichen Schriftsystemen – geschah das ja nicht zum Spaß. Es geschah aus purer Notwendigkeit, weil das vorherrschende Modell der tastaturbasierten Datenverarbeitung, das in der englischsprachigen Welt entstanden und groß geworden ist, mit dem Chinesischen nicht kompatibel ist. Es funktioniert nicht, weil der Tastatur der notwendige Platz fehlt. Die zentrale Frage: Ich habe hier ein paar Dutzend Tasten, aber 100.000 Zeichen. Wie kann ich das eine auf das andere abbilden?“

Einfach ausgedrückt: Die Hälfte der Weltbevölkerung verwendet die QWERT-Tastatur auf eine Art und Weise, für die die QWERT-Tastatur nie gedacht war, was zu einer völlig anderen Art der Interaktion mit Computern führt. Die Wurzel all dieser Probleme ist, dass Computer mit Englisch als Standardsprache entwickelt wurden. Die Art und Weise, wie Englisch funktioniert, ist also genau die Art und Weise, wie Computer heute funktionieren.

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Probleme in der arabischen DTP

Mullaney: „Jedes Schriftsystem, das es in der Geschichte der Menschheit gab, ist modular aufgebaut, das heißt, es besteht aus kleineren Teilen. Aber die Informatik hat sorgfältig, brillant und verständlicherweise an einer ganz bestimmten Art von Modularität gearbeitet: Modularität, wie sie im Englischen funktioniert.“

Und dann mussten sich alle anderen in diese Modularität einfügen. In südasiatischen Schriften verändert die Kombination eines Konsonanten und eines Vokals die Form des gesamten Buchstabens – so funktioniert die Modularität im Englischen nicht. Die englische Modularität ist in der Informatik so grundlegend, dass Menschen, deren Alphabet nicht das lateinische ist, trotz jahrzehntelanger Bemühungen um eine Änderung noch heute mit den Auswirkungen zu kämpfen haben.

Mullaney erzählt von einer Beschwerde, die Arabisch sprechende Menschen im Jahr 2022 über Adobe Indesign, die beliebteste DTP-Software für das Verlagswesen, vorbrachten. Noch vor zwei Jahren konnte das Einfügen eines arabischen Textes in die Software dazu führen, dass der Text auseinandergerissen wurde und die diakritischen Zeichen, die für die Anzeige der phonetischen Merkmale des arabischen Textes wichtig sind, nicht mehr richtig angezeigt wurden. Es stellt sich heraus, dass man eine spezielle Version der Software für den Nahen Osten installieren und erst einige Tricks anwenden muss, um das Problem zu vermeiden.

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Mullaney: „Die Dominanz des lateinischen Alphabets ist nach wie vor ungebrochen; sie ist noch nicht überwunden. Und es stellt sich die beunruhigende Frage, ob sie jemals gestürzt werden kann. Es wurde eine Wendung vollzogen, ein Weg eingeschlagen, der bestimmte Schriftsysteme auf einer tiefen strukturellen Ebene begünstigt und andere benachteiligt hat.“

Dieses tief verwurzelte englischsprachige Design ist der Grund dafür, dass die gängigen Eingabemethoden nie allzu weit von den Tastaturen abweichen, die wir alle kennen und lieben oder hassen. In der englischsprachigen Welt hat es zahlreiche Versuche gegeben, die Art und Weise der Texteingabe neu zu gestalten. Technologien wie die T9-Telefontastatur oder das Palm-Pilot-Handschriftenalphabet haben sich aber nur kurzzeitig durchgesetzt. Aber sie haben sich nie lange gehalten, weil die meisten Entwickler bei der ersten Gelegenheit wieder zu QWERT-Tastaturen zurückkehren.

Immer wieder neue Versuche

Mullaney: „T9 entstand im Zusammenhang mit Technologie für behinderte Menschen und wurde in die ersten Mobiltelefone eingebaut, weil der Platz auf den Tasten ein großes Problem darstellte (vor der Wiedereinführung der QWERT-Tastatur durch Blackberry). Es war eine Notwendigkeit; [die Entwickler] mussten tatsächlich anders nachdenken. Und wenn genügend Platz da ist, kehren sie zu QWERT zurück.“

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Alle zehn Jahre oder so verkündet irgendein westliches Technologieunternehmen oder ein Erfinder: „Leute! Ich habe endlich einen fortschrittlicheren Weg gefunden, um Englisch mit viel höherer Geschwindigkeit als mit der QWERT-Tastaturen einzugeben.“ Und immer wieder ist das Interesse des Marktes gleich null.

Wird es die QWERT-Tastatur eines Tages sterben? Es sieht nicht danach aus. Selbst in VR-Headsets wird sie den Nutzern vorgesetzt. Sie bleibt die Norm, selbst für Menschen mit nicht-lateinischen Alphabeten.

Mullaney: „Es ist lustig, denn jetzt, wo es um Augmented und Virtual Reality geht, fragen sich die Unternehmen im Silicon Valley: ‚Wie können wir das Schnittstellenproblem lösen?‘ Denn man kann alles verkleinern, außer der QWERT-Tastatur. Und was westliche Ingenieure nicht verstehen, ist, dass es kein technisches Problem ist, sondern ein technisch-kulturelles Problem. Und das kapieren sie einfach nicht. Sie glauben, wenn sie nur die passende Technik erfinden, wird sie sich durchsetzen.“

Dieser Artikel stammt von Zeyi Yang. Er ist Reporter bei der US-amerikanischen MIT Technology Review. Yang deckt Technologien in China und Ostasien ab.
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