Warum wir Schutz gegen genetische Diskriminierung brauchen
Vor ein paar Jahren spuckte ich in ein kleines Plastikröhrchen, steckte es in ein Päckchen und brachte es zur Post. Dann wartete ich darauf, dass ein Unternehmen Marker auf meiner DNA analysierte, um zu schätzen, wie alt ich biologisch gesehen bin. Es war nicht das erste Mal, dass ich meine genetischen Daten für eine Geschichte weitergegeben habe. Vor mehr als zehn Jahren hatte ich eine DNA-Probe an ein Unternehmen weitergegeben, das mir versprach, mir Auskunft über meine Abstammung zu geben.
Zig Millionen Menschen haben wie ich ihre DNA an Unternehmen geschickt, die ihnen Hinweise auf die Gesundheit oder die Abstammung ihrer Kunden geben oder sogar maßgeschneiderte Ernährungs- oder Sporttipps geben wollten. Dazu kommen all die Menschen, die sich aus medizinischen Gründen unter ärztlicher Aufsicht genetischen Tests unterzogen haben. Zählt man das alles zusammen, kommt man auf eine ziemlich große Menge an genetischen Daten.
Es ist nicht immer klar, wie sicher diese Daten sind oder wer sie in die Hände bekommen könnte – und wie diese Informationen dann das Leben der Menschen beeinflussen könnten. Ich möchte zum Beispiel nicht, dass mein Versicherungsanbieter oder mein Arbeitgeber auf der Grundlage meiner Gentestergebnisse möglicherweise benachteiligende Entscheidungen über meine Zukunft trifft. Expert:innen in der Wissenschaft, Ethik und des Rechts versuchen immer noch, zu definieren, was genetische Diskriminierung bedeutet und wie wir uns dagegen wehren können.
Denn wenn wir uns vor genetischer Diskriminierung schützen wollen, müssen wir verstehen, worum es sich dabei handelt. Leider weiß niemand genau, wie weit verbreitet sie ist, sagt Yann Joly, Direktor des Centre of Genomics and Policy an der McGill University in Quebec. Das liegt zum Teil daran, dass Wissenschaftler:innen diese Art von Diskriminierung immer wieder anders definieren. In einem Fachartikel in „Nature“ aus dem vergangenen Monat haben Joly und seine Kolleg:innen zwölf verschiedene Definitionen aufgelistet, die in verschiedenen Studien seit den neunziger Jahren verwendet wurden.
Was ist genetische Diskriminierung?
„Ich sehe genetische Diskriminierung als ein Kind der Eugenik“, sagt Joly. Bei der modernen Eugenik, die im späten 19. Jahrhundert aufkam, ging es darum, die Fähigkeit bestimmter Menschen, ihre Gene an künftige Generationen weiterzugeben, einzuschränken. Diejenigen, die als „schwachsinnig“ oder „geistig behindert“ galten, konnten in Anstalten eingewiesen, vom Rest der Bevölkerung isoliert und zu medizinischen Eingriffen gezwungen oder genötigt werden, damit sie niemals Kinder bekamen. Beunruhigenderweise haben einige dieser Praktiken überlebt. In den Steuerjahren 2005 bis 2006 und 2012 bis 2013 wurden 144 Frauen in kalifornischen Gefängnissen sterilisiert, viele von ihnen ohne ihre Einwilligung.
Diese Fälle sind zum Glück selten. In den letzten Jahren haben sich Ethiker:innen und Entscheider:innen aus der Politik mehr Sorgen über den möglichen Missbrauch genetischer Daten durch Ärzte und Versicherungen gemacht. Es gab Fälle, in denen Menschen aufgrund eines genetischen Ergebnisses, das beispielsweise den Ausbruch der Huntington-Krankheit vorhersagt, eine Kranken- oder Lebensversicherung verweigert wurde. Im Vereinigten Königreich, wo ich lebe, dürfen Anbieter von Lebensversicherungen nicht nach einem Gentest fragen oder dessen Ergebnisse verwenden – es sei denn, die Person wurde positiv auf Huntington getestet.
Joly sammelt beim Genetic Discrimination Observatory, einem Netzwerk von Forscher:innen, die sich mit diesem Thema befassen, Berichte über mutmaßliche Diskriminierung. In einem der jüngsten Berichte erzählte eine Frau von ihren Erfahrungen, nachdem sie an einen neuen Arzt überwiesen worden war. Sie hatte zuvor einen Gentest gemacht, der ergab, dass sie auf bestimmte Medikamente nicht gut ansprechen würde. Ihr neuer Arzt teilte ihr mit, dass er sie nur dann als Patientin aufnehmen würde, wenn sie zuvor eine Verzichtserklärung unterzeichnete, die ihn von jeglicher Verantwortung für ihr Wohlergehen entbindet, falls sie die Empfehlungen ihres Gentests nicht befolgt.
„Das ist inakzeptabel“, sagt Joly. „Warum sollte man eine Verzichtserklärung wegen einer genetischen Veranlagung unterschreiben? Wir verlangen das ja auch nicht von Menschen mit Krebs. Sobald man anfängt, Menschen aufgrund genetischer Faktoren unterschiedlich zu behandeln, ist das genetische Diskriminierung.“
Schutz durch Gesetze?
Viele Länder haben Gesetze erlassen, um Menschen vor dieser Art von Diskriminierung zu schützen. Aber auch diese Gesetze können sehr unterschiedlich sein, sowohl was die Definition von genetischer Diskriminierung angeht als auch die Art und Weise, wie sie dagegen schützen. Das kanadische Gesetz konzentriert sich zum Beispiel auf DNA-, RNA- und Chromosomentests. Aber man braucht nicht immer einen solchen Test, um zu wissen, ob man ein Risiko für eine genetische Krankheit hat. Es kann sein, dass eine Krankheit in der Familie vorkommt oder dass man bereits Symptome davon zeigt.
Dazu kommen neuere Technologien. Nehmen wir zum Beispiel die Art von Test, die ich gemacht habe, um mein biologisches Alter zu ermitteln. Viele Alterungstests messen entweder chemische Biomarker im Körper oder epigenetische Marker auf der DNA – nicht unbedingt die DNA selbst. Diese Tests sollen zeigen, wie nahe eine Person dem Tod ist. Vermutlich möchten Betroffene nicht, dass der jeweilige Lebensversicherer die Ergebnisse eines solchen Tests kennt und darauf reagiert.
Joly und sein Team haben eine neue, weiter gefasste Definition für genetische Diskriminierung erarbeitet. Denn „je enger die Definition ist, desto einfacher ist es, sie zu umgehen“, sagt er. Die Forscher:innen wollten möglichst alle Erfahrungen von Menschen, die das Gefühl haben, genetische Diskriminierung erfahren zu haben, einschließen. Die neue Beschreibung lautet so:
„Genetische Diskriminierung bedeutet, dass eine Person oder eine Gruppe aufgrund tatsächlicher oder vermuteter genetischer Merkmale im Vergleich zum Rest der Bevölkerung negativ behandelt, ungerechtfertigt in eine Schublade gesteckt oder geschädigt wird.“
Es wird an den politischen Entscheidungsträgern liegen, zu entscheiden, wie die Gesetze zur genetischen Diskriminierung aussehen sollen und es wird nicht einfach sein. Je nachdem, welche Technologien zur Verfügung stehen und wie sie eingesetzt werden, werden die Gesetze in den einzelnen Ländern unterschiedlich aussehen müssen. Vielleicht wollen einige Regierungen sicherstellen, dass die Einwohner Zugang zu den Technologien haben, während andere den Zugang einschränken wollen. In manchen Fällen muss ein Gesundheitsdienstleister Entscheidungen über die Behandlung einer Person auf der Grundlage ihrer genetischen Ergebnisse treffen.
Was kann man selbst tun?
In der Zwischenzeit hat Joly einen Rat für alle, die sich Sorgen über genetische Diskriminierung machen. Erstens: Lasst Euch nicht von solchen Bedenken davon abhalten, einen Gentest zu machen, den du vielleicht für deine eigene Gesundheit brauchst. Derzeit ist das Risiko, aufgrund dieser Tests diskriminiert zu werden, noch recht gering.
Bei Gentests für Verbraucher:innen lohne es sich zudem, die Geschäftsbedingungen des Unternehmens genau zu lesen, um herauszufinden, wie die Daten weitergegeben oder verwendet werden könnten. Es ist auch sinnvoll, sich über die Datenschutzgesetze im eigenen Land oder Staat zu informieren, damit du weißt, wann du das Recht hast, die Weitergabe deiner Daten zu verweigern.
Kurz nachdem ich die Ergebnisse meiner Gentests erhalten hatte, habe ich die beteiligten Unternehmen gebeten, meine Daten zu löschen. Das ist kein 100-prozentig sicherer Ansatz, schließlich haben Hacker letztes Jahr die persönlichen Daten von 6,9 Millionen 23andMe-Kunden gestohlen. Aber es ist immerhin etwas. Trotzdem denke ich nach wie vor darüber nach, ob ich den neuen Gentest machen will, der mir vor kurzem angeboten wurde.