Was passiert mit dem Körper bei langen Reisen in den Weltraum? Astronaut Scott Kelly weiß es

Der lange Aufenthalt Scott Kellys im Weltraum von 2015 bis 2016 bot Mediziner:innen die Möglichkeit, Effekte von Weltraumreisen genauer zu studieren. Als „Kontrollgruppe“ auf der Erde diente eine physiologisch sehr ähnliche Person: Scotts eineiiger Zwillingsbruder Mark, der ebenfalls Astronaut ist. Im Interview mit Technology Review spricht Scott Kelly über seine Zeit im Weltall.
MIT Technology Review: Nach einem Jahr im All sind Sie inzwischen wieder mehr als zwei Jahre auf der Erde. Nun liegen erste medizinische Erkenntnisse über die Folgen vor. Wie geht es Ihrem Körper?
Scott Kelly: Mein Körper hat einige strukturelle Änderungen behalten. In der Aderhaut meiner Augen haben sich beispielsweise Riefen gebildet, aber sie beeinträchtigen mein Sehvermögen nicht. Außerdem hat sich meine Gen-Expression verändert. Sieben Prozent meiner Gene sind noch nicht wieder zurück auf dem Status vor dem Start. Keine Ahnung, ob das gut oder schlecht ist. Ich spüre jedenfalls nichts davon.
Dieses Interview erschien zuerst in der Ausgabe 2/2019 von MIT Technology Review erschienen. Hier könnt ihr das Heft als pdf bestellen.
Ihr eineiiger Zwillingsbruder blieb unterdessen zum Vergleich auf der Erde. Gibt es schon Ergebnisse aus der Gegenüberstellung?
Es gab bei mir einen gewissen Rückgang der geistigen Fähigkeiten im Vergleich zu meinem Bruder, aber das kann auch daran gelegen haben, dass ich nach der Rückkehr durch den vollen Terminplan sehr erschöpft war. Zudem haben sich meine Telomere verbessert [Enden der Chromosomen, die für das Altern der Zellen verantwortlich sind; Anm. d. Red.].
Einfluss auf die Gene
Sie sind im All also genetisch jünger geworden?
Ja, ein wenig. Eigentlich hatte man eher das Gegenteil erwartet.
Wie lang haben Sie gebraucht, um sich an die Schwerelosigkeit zu gewöhnen?
Ungefähr acht Monate, aber die Anpassung kommt in Schüben. Nach einer Woche hat man das Schlimmste hinter sich, nach einem Monat fühlt man sich langsam wieder normal.
Mit 342 Tagen auf der ISS ist er der Amerikaner mit dem längsten Raumflug. Während dieser Zeit war er auch Kommandant der Raumstation. Seine Erfahrungen hat er in seiner Autobiografie „Endurance. Mein Jahr im Weltall“ zusammengefasst.
Veränderungen im Körper
Welchen Einfluss hat die Dauer eines Raumflugs darauf? Hat der Körper sich nach einer gewissen Zeit vollständig angepasst?
Zumindest nicht in den 342 Tagen, die ich dort war. Selbst am Ende meiner Mission habe ich mich immer noch nicht normal gefühlt, ich hatte immer noch zu viel Flüssigkeit im Kopf. Aber je länger man in der Schwerelosigkeit bleibt, desto besser passt man sich an. Entsprechend länger braucht auch die Rückgewöhnung an die Schwerkraft. Mein erster Flug dauerte eine Woche, die Umgewöhnung auf der Erde brauchte etwa drei Tage. Der zweite dauerte zwei Wochen, da brauchte ich schon länger. Beim dritten Flug von 159 Tagen waren es schon fünf bis sechs Monate, bis ich mich wieder normal fühlte. Und jetzt eben rund acht Monate.
Was haben Sie im All am meisten vermisst?
Familie, Freunde – und das Wetter. Nach draußen gehen zu können, in die Sonne, in den Regen, in den Wind, viele Optionen zu haben statt in einer relativ kleinen und kontrollierten Umgebung zu leben.
Und umgekehrt – was fehlte Ihnen am meisten, als Sie wieder zurück auf der Erde waren?
Meine Kollegen und meine Arbeit. Diese technisch sehr komplizierten Aufgaben, die man nur im Team lösen kann – und die die ganze Mission gefährden, wenn man sie vermasselt. Es war eine sehr bereichernde Erfahrung.
„Würde mich definitiv für die Schwerkraft entscheiden“
Die Schwerelosigkeit gehört nicht dazu? Geht Ihnen die Gravitation hier nicht manchmal auf die Nerven?
Wenn man zurückkommt, ist es natürlich erst einmal schmerzhaft. Die Mikrogravitation im All macht zunächst einmal Spaß. Es ist einfach cool, wie Superman herumfliegen zu können. Aber sie macht viele Sachen auch schwerer. Einen Koffer zu packen ist ungefähr so, als wäre er an der Decke festgenagelt. Hätte ich die Wahl, den Rest meines Lebens mit oder ohne Schwerkraft zu verbringen, würde ich mich definitiv für die Schwerkraft entscheiden. Gar keine Frage.
Ihre 342 Tage im All hätten in etwa für eine Reise zum Mars und zurück gereicht. Würden die Wohn- und Lebenserhaltungssysteme der ISS für so eine Reise ausreichen?
Die Systeme sollten noch etwas robuster werden, aber immerhin haben wir es geschafft, sie die ganze Zeit am Laufen zu halten. Theoretisch könnte man damit auch zum Mars fliegen, solange man genug Ersatzteile an Bord hat. Man bräuchte zudem noch einen besseren Schutz vor Strahlung.
Wenn Sie eine Forschungsraumstation von Grund auf neu designen könnten – was würden Sie anders machen als bei der ISS?
Wenn man ein gigantisches Wissenschaftslabor haben möchte, würde wohl wieder so etwas Ähnliches wie die ISS herauskommen. Aber idealerweise sollte es weniger Wartung brauchen, vor allem weniger Außeneinsätze, um Dinge zu reparieren. Wenn ich eine neue Raumstation bauen sollte, würde ich mehr Komponenten innen statt außen anbringen, sodass sie leichter zu ersetzen sind.
Karriere: Astronaut mit Traummission
Sie sind nun 20 Jahre lang ins All geflogen. Auf welche Weise hat sich der Job als Astronaut in dieser Zeit verändert? Ist es immer noch der gleiche Beruf?
Eine große Veränderung war der Wechsel vom Space Shuttle zur Raumstation. Die Shuttles waren sehr vielseitig, sehr kompliziert, sehr riskant, sehr herausfordernd zu fliegen. Die ISS hingegen fliegt man nicht, da hat die Crew Zeit für andere Dinge, etwa für wissenschaftliche Experimente oder Wartungsarbeiten. Das Space Shuttle ist mehr wie ein Flugzeug, die ISS eher wie ein ferngesteuertes Schiff.
Nach all diesen Erfahrungen – was wäre Ihre Traummission?
Ich würde gern der erste Mensch auf dem Pluto werden.
Oha. Das ist ein großes Ziel.
Das war ein Witz. Ich denke, jede Raumfahrtmission ist eine gute Mission. Wenn ich die Wahl hätte: Die erste Person auf dem Mars wäre großartig – wenn man sicher wieder nach Hause kommt.
Das sind die 18 besten Bilder aus dem Weltall: