Wasserstoffkraftwerke: Warum ohne sie die Klimaziele nicht zu erreichen sind
Die Idee ist wirklich verlockend: Neu gebaute, derzeit aber noch klimaschädliche Erdgaskraftwerke sollen eines fernen Tages auf die Verbrennung von Wasserstoff umgestellt werden. Doch das grüne Gas, von Klima- und Umweltminister Robert Habeck als Schlüsseltechnologie für die Energiewende bezeichnet, gibt es noch gar nicht. Niemand weiß bisher, wann es verfügbar sein wird, und niemand fand bisher heraus, wie es sicher und kostengünstig in großen Mengen transportiert werden kann. Denn die Produktion von grünem Wasserstoff ist sehr energieintensiv und teuer.
Ihn zu verbrennen, lohnt sich erst, wenn sehr viel überschüssiger Wind- und Solarstrom vorhanden ist, der nicht für wichtigere Dinge genutzt werden muss, wie Wärme, Mobilität oder Kommunikation. Die Energieökonomin Claudia Kemfert, Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen, bezeichnete Wasserstoff deshalb schon vor Jahren als „Champagner unter den Energieträgern“.
Mehr als 20 neuer Gaskraftwerke sind derzeit in Deutschland geplant. Sie sollen „H2-ready“ oder gar „wasserstofffähig“ sein. Versorgt werden sollen sie zunächst mit Importerdgas über moderne Flüssiggasterminals an der Küste und ein 9.600 Kilometer langes Pipeline-Netz. Auch die Verladeanlagen und die Pipelines sollen eigentlich so ausgelegt sein, dass sie irgendwann auch Wasserstoff transportieren können.
Bereit für Wasserstoff
Das ist nicht trivial. Denn Wasserstoff muss bei minus 253 Grad verflüssigt werden, was die Möglichkeiten der heutigen Flüssigerdgasschiffe bei Weitem übersteigt. Außerdem ist er hoch explosiv und so aggressiv, dass er das Metall von üblichen Pipelines versprödet. Auch ist das H2-Molekül so klein, dass es durch winzigste Undichtigkeiten entweicht.
Natürlich lässt sich Wasserstoff auch in Form von flüssigem, aber giftigem Ammoniak importieren, einer Verbindung aus Wasserstoff und Stickstoff.
In jedem Fall müssen aber zahlreiche Komponenten von Erdgasterminals, -leitungen und -kraftwerken nachgerüstet oder ersetzt werden, darunter Regelventile, Brand-, Gas- und Durchflusssensoren, wie das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI analysiert hat.
„H2-ready“ sind laut Bundeswirtschafts- und -klimaministerium solche Anlagen, die vor einem Betrieb mit Wasserstoff erst noch umgerüstet werden müssen. Ein „wasserstofffähiges“ Kraftwerk dagegen muss technisch nicht mehr geändert werden. Doch in ihrer Kommunikation verwenden Politiker und Unternehmen diese beiden Begriffe synonym – und öffnen damit dem Greenwashing Tür und Tor. Unter dem Schlagwort „H2-ready“ lassen sich über Jahre hinweg immer noch Erdgasinfrastrukturen für Milliarden von Euro bauen, bei denen der Wasserstoffbetrieb auf sich warten lässt.
Faktencheck statt „H2-ready“
So wie beim angeblich ersten „wasserstofffähigen“ Kraftwerk, das die Stadtwerke Leipzig im Oktober 2023 eröffnet haben. Das ist noch nicht einmal „H2-ready“, wie das Faktencheck-Unternehmen Correctiv nachgewiesen hat. Dabei soll schon ab nächstem Jahr dem Erdgas etwas grüner Wasserstoff beigemischt werden.
Doch wo der herkommen soll, ist noch offen. Eine Elektrolyseanlage zur Gewinnung von Wasserstoff in Leipzig ist erst im Planungsstadium, und für den Bau einer Wasserstoffpipeline zum Chemiestandort Leuna läuft noch die Bewerbung um Fördermittel. In Leuna entstehen nämlich gerade große Elektrolyseanlagen für grünen Wasserstoff.
Das leere PR-Label „H2-ready“ bestimmt die Debatte um den besten Weg zur Klimaneutralität. Es verhindert oder verzögert die Ernte tief hängender Früchte, nämlich von Lösungen, die bereits jetzt gebaut und schnell eingesetzt werden können. Dazu gehören beispielsweise Geothermieanlagen, Großwärmepumpen für Stadtteile oder die Förderung von Haushaltswärmepumpen.
Erst Ende Januar 2024 warnte der Direktor der Internationalen Energieagentur (IEA), Fatih Birol, in einem Interview mit dem Handelsblatt, dass Deutschlands Optimismus in Bezug auf grünen Wasserstoff unangebracht sein könnte.
Frühe Phase bei vielen
Nach Angaben seiner Behörde sind in Westeuropa weniger als vier Prozent derjenigen Projekte verwirklicht, die bis 2030 eine emissionsarme Wasserstoffversorgung ermöglichen könnten. Mehr als 95 Prozent befinden sich gerade erst in der Phase von Konzepten oder Machbarkeitsstudien.
Um das zu ändern, hat das Bundeskabinett vor wenigen Tagen, am 29. Mai, das Wasserstoffbeschleunigungsgesetz beschlossen. Wird es verabschiedet, soll der Auf- und Ausbau der Infrastruktur für Erzeugung, Speicherung und Import von Wasserstoff noch schneller vorankommen.
Einen Tag zuvor hatte die EU-Kommission am 28. Mai ihr viertes Milliardenpaket genehmigt, um Forschung, Innovation und den ersten industriellen Einsatz einer Wasserstoffwertschöpfungskette zu fördern. Im Fokus der genehmigten 1,4 Milliarden Euro steht die Wasserstoffmobilität – für die zwei Wochen vorher in Deutschland noch das Geld fehlte. Auch Anträge auf Subventionen für die dafür notwendigen Elektrolyseanlagen musste das Bundesministerium für Digitales und Verkehr aus Geldmangel ablehnen, wie eine kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag zutage förderte.
Dabei hat es mit den Wasserstoffsubventionen sowieso eine besondere Bewandtnis, wie Correctiv herausgefunden hat: Normalerweise müssen Unternehmen Subventionen zurückzahlen, wenn sie das Geld nicht in einem bestimmten Zeitraum zweckmäßig ausgegeben haben. Doch die Empfänger von Förderungen der Wasserstoffprojekte wissen nicht, bis wann sie eigentlich ihr Ziel erreicht haben müssen, an dem ihre Anlagen zu 100 Prozent mit Wasserstoff laufen.