
Es fühlt sich gut an, nach einem großen Ziel zu streben und zu wissen, dass die Kolleginnen und Kollegen das Gleiche wollen. Gemeinsame Ideale, Werte, Ziele – sie alle machen das Arbeitsleben leicht. Nur sollte arbeiten eben nicht leicht sein. Nicht so leicht.
Wollen wir vorankommen, dann braucht die Arbeit Reibung. Streit. Unterschiedliche Zielvorstellungen, unterschiedliche Wege zum Ziel und ja: Auch die heilige Kuh der eigenen Ideale muss damit leben, dass auf der Allmende noch ein paar andere Rinder grasen.
Naturgemäß fühlen sich die eigenen Werte an, als wären sie eine objektive Wahrheit. Aber das sind sie nicht. Deshalb werde ich in diesem Artikel auch keine Beispiele für gute, schlechte oder fragwürdige Werte nennen. Sie würden in der Debatte sofort vom eigentlichen Problem wegführen. Das eigentliche Problem: Sind sich alle einig, dann fehlt die Reibung, um einen geilen Job zu machen.
Dabei sind Werte heute ein zentraler Faktor des Employer-Branding. Unternehmen brauchen eine Mission, Ziele, ein Leitbild, sie sollen Gutes tun und nicht nur an ihr Firmenergebnis denken. Dem gegenüber stehen zwar die Interessen der Anteilseigner, aber ungeachtet dieses kleinen Widerspruchs: Werte gehören zu den Faktoren, nach denen Menschen ihre Arbeitgebenden wählen.
Niemand will für die Bösen arbeiten. Das ist gut, weil gerade jetzt in Zeiten der Great Resignation und des Fachkräftemangels Menschen so darauf einwirken können, dass Unternehmer zurückkehren zum Unternehmensgeist: Eigentum verpflichtet. Aber wenn daraus eine zu starke Homogenität entsteht, dann züchten wir uns das nächste große Problem heran.
Die Gefahr der guten Werte
Schlechtes Arbeitsklima bedroht die Leistung und die psychische Gesundheit der Mitarbeitenden. Aber homogene Teams hat die Unternehmenswelt über Jahrzehnte hinweg ausprobiert – hat auch nicht funktioniert. Dass wir unsere Ideale heute am Wohl der Allgemeinheit ausrichten, ändert an dieser Tatsache nur wenig. Denn was gut und richtig ist, das ändert sich. Auch heute noch.
Abteilungen brauchen Diversität auf allen Ebenen – auch bei den Werten. Das muss man sich trauen, aber es lohnt sich. Die Arbeitsforschung hat sich sehr ausführlich mit Team-Zusammensetzungen beschäftigt.
Gemeinsame Ideale und ein allzu friedliches Klima bringen mehrere Probleme mit sich. Zum Beispiel:
- Was als gut und richtig gilt, wird nicht mehr hinterfragt. Warum auch? In einem homogenen Umfeld dürfen sich alle im Recht fühlen.
- Fehler und Fehlverhalten werden mit größerer Wahrscheinlichkeit vertuscht. Dieser Effekt ist ganz spannend. Kennen Menschen einander, dann kennen sie auch besondere Beweggründe, Ursachen, Belastungen. Deshalb sind wir unseren Freunden gegenüber nachsichtiger als bei Fremden. Gleichzeitig könnten kleine Mauscheleien einem großen Ziel untergeordnet werden – und aus solchen Mauscheleien können sich bald größere Betrügereien entwickeln.
- Wer anderer Meinung ist oder nur zweifelt, gerät in Gefahr, ausgegrenzt zu werden. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.
Homogenität ist bequem, aber sie birgt immer die Gefahr des Stillstands. Bleibt ein Team stehen, während sich die Gesellschaft weiterentwickelt, dann schadet das dem Ergebnis. Sind Mitarbeitende zum Beispiel bei Herkunft oder Geschlecht zu homogen, dann verlieren die Unternehmen Geld. Eine soziologische Studie spricht vom Business Case for Diversity. Zu den Anforderungen an heterogene Teams müssen wir die Grundwerte, nach denen Menschen leben, hinzufügen. Denn wer die eigenen Überzeugungen im Alltag nicht mehr hinterfragt, der entsagt jeder persönlichen Entwicklung.
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Ich habe heute leider keine Liste für euch
Was sich gut und richtig und wichtig anfühlt, das geht Menschen über alles. Und das ist schön. Werte geben uns Kraft, sie machen Mut und sie tragen uns durch harte Zeiten: Was ich mache, das macht Sinn. Dieser Gedanke tut gut. Wer seine eigenen Werte schützt, kann aber – wie automatisch – die Werte anderer für problematisch halten. Die Psyche schützt sich so vor Zweifeln.
Und ein sehr homogenes Umfeld kann dazu beitragen, dass dieser Selbstschutz so stark wird, dass wir anfangen, Fehler zu übersehen, überholte Annahmen nicht korrigieren oder schädliches Verhalten im Licht der eigenen Überzeugungen zu rechtfertigen.
Und übrigens: All das ist vollkommen überflüssig. Diversere Teams mögen zwar unbequemer sein – eine Forschungsgruppe hat aber beobachtet, dass Menschen das Konfliktpotenzial überschätzen. So schlimm sind abweichende Meinungen nun also auch wieder nicht.
An dieser Stelle des Textes wäre der Moment gekommen für eine kleine Liste mit Lösungsvorschlägen. Aber so einfach wird das nicht. Es muss ein Teil unserer Identität werden, zu zweifeln – auch an unseren eigenen Überzeugungen. Was wäre, wenn das Gegenteil wahr wäre? Es geht nicht darum, aus Prinzip dagegen zu sein. Dafür sein ist großartig, es bringt uns voran. Aber nur Zweifel halten uns davon ab, munter in die völlig falsche Richtung zu laufen.
Sehr schöner Artikel.