Vorladen statt unterstützen – warum Zielgespräche oft zur Farce werden
„Nicht schon wieder…“ Wütend steht sie vor mir, meine zwölfjährige Tochter. Der Grund: Das Zielvereinbarungsgespräch in der Schule steht an. Alle sechs Monate setzen sich Klassenlehrer, Eltern und Schüler zusammen. Auf Basis einer Selbsteinschätzung soll sich der Schüler die eigenen Schwächen vor Augen führen und sich Ziele setzen, die ihn aus dieser Schwäche rauskatapultieren.
Mal abgesehen davon, dass in solchen Gesprächen leider niemand nach den Stärken fragt, ist es meiner Tochter zuwider, sich Ziele aus den Fingern zu saugen, die den beiden vor ihr sitzenden Lehrern genehm sind. Denn das ist die Crux: An diesem Tisch treffen verschiedene Interessen aufeinander. Die beiden Pädagogen wollen an die Schwächen ran. Das sind jedoch nicht die Motive meiner Tochter.
Woran Zielgespräche scheitern
Dabei hat sie durchaus Ziele. Auch schulische. Doch die will sie den Lehrern nicht auf die Nase binden. Und so führen wir Vier alle sechs Monate das gleiche Stück auf: Die Lehrer heben das Ziel vom letzten halben Jahr auf die Bühne und dann geht’s los. Der Plot rankt sich mehr oder weniger um das Thema „Rechtfertigung“:
- Was meinst du, hast du das Ziel erreicht?
- Wenn nicht, warum nicht?
- Was hast du unternommen, um das Ziel zu erreichen?
Und meine Tochter? „Rechtfertigung“ ist sowas von überhaupt nicht ihr Thema. Wobei mir eigentlich niemand einfällt, der darauf begeistert anspringen würde. Mich eingeschlossen. Meine Tochter jedenfalls spielt in diesem Stück die Bockige. Das Repertoire reicht von Schulterzucken, über „weiß nicht“ bis „mir egal“.
Für das Ende des Stückes gibt es zwei Versionen:
- Würfel raus. Neues Ziel, neues Glück.
- Altes Ziel. Neue Maßnahmen.
Eins ist klar: Fortsetzung folgt in sechs Monaten. Ein Blockbuster sieht anders aus.
Auf Biegen und Brechen
Auf unser Nachfragen, ob wir uns das Theater nicht sparen könnten, denn auch die Lehrer machen dabei keinen glücklichen Eindruck, kommt die Ansage: „Nein. Diese Gespräche sollen unsere Schüler schließlich auf das Berufsleben vorbereiten.“ Ach ja, richtig. Das hört ja nicht auf. Wenn ich mir vorstelle, was da trainiert wird: Energie aufwenden auf Gefälligkeitsziele, auf Hinbiegen, auf Argumentesammeln und auf Punkten, was das Zeug hält. Energie, die an anderer Stelle so viel besser aufgehoben wäre. Nicht nur beim Kunden. Das sowieso. Doch selbst das Bepflanzen der Balkonkästen vor der Cafeteria ist sinnvoller als das Theater im Chefbüro.
Zielgespräche unter Fremden
Warum um alles in der Welt verkommt das, was doch in guter Absicht entwickelt wurde – nämlich ehrliches Feedback auszutauschen und den Mitarbeiter in seiner Weiterentwicklung zu unterstützen – zu einer politischen Farce?
Mitarbeitergespräche, wie wir sie kennen, gehen davon aus, dass eine Führungskraft am besten weiß, was der Mitarbeiter leistet – und wo seine Entwicklungspotentiale liegen. Aber genau das tut sie eben nicht. Kann sie gar nicht. Sie ist ja in der Regel viel zu weit weg und weiß deshalb nicht, welches Feedback dem Mitarbeiter gerade wirklich helfen würde. Auch seine Leistung kann sie kaum realistisch einschätzen.
Und so statten wir die Führungskraft mit einem Bewertungsraster aus – den Zielen. Diese werden zwischen Mitarbeiter und Führungskraft vereinbart. Jeder kennt Aussagen wie: „Zu meinen Zielen gehört die Einkaufspreisreduktion für Hydraulikkomponenten um durchschnittlich fünf Prozent bis Ende 2017.“ Eine Krücke mit verheerenden Folgen. Spätestens jetzt beginnt eine gefährliche Beschränkung der unternehmerischen Verantwortung. Denn ab diesem Moment ist der Mitarbeiter in erster Linie daran interessiert, seine Ziele umzusetzen. Ob das, was er dann tut, dem Unternehmen dient, spielt keine Rolle mehr.
Ziele ja, aber doch nicht so
Klar braucht ein Unternehmen, brauchen Mitarbeiter Ziele. Sonst weiß ja niemand, wo es lang geht. Aber Ziele dürfen nicht zur Dressur verkommen. Es reicht vollkommen, wenn sie die grobe Richtung vorgeben. Denn Menschen streben von Natur aus danach, das Richtige zu tun. Alles andere wäre ja auch vollkommen sinnfrei und freudlos. Die kurze Leine braucht es nur, wenn der Mitarbeiter nicht ins Unternehmen und zur Aufgabe passt. Aber dann hat das Unternehmen sowieso ein ganz anderes Problem. Numerische Ziele helfen kein Stück weiter. Im Gegenteil: Sie befeuern nur das Schauspielertum im Team.
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Wow! Toller Beitrag, vielen Dank!
Der Artikel ist wirklich eine gelungene Beschreibung des Problems. Die Über-Formalisierung des Zielgesprächs durch viele HR-Abteilungen tun ihr übriges dazu.
Ich finde lediglich, die Empfehlung, auf numerische Ziele zu verzichten, greift etwas zu kurz. Denn die Richtungs-Vorgabe wird ja schon von Vision und Strategie eines Unternehmens beschrieben.
Würden Ziele im echten Wortsinn „vereinbart“ und nicht nur vorgegeben, dann wäre aus meiner Sicht schon viel gewonnen. Dann bekommt eine Führungskraft nämlich auch mit, ob ein Mitarbeiter sich selbst richtig einschätzt, sich schont oder überfordert.
Außerdem ist das Koppeln von Zielen an irgendwelche Vergütungssysteme äußerst schädlich für ein Gelingen des Konzepts „Führen mit Zielen“. Denn in diesen Fällen wird von allen Parteien nur die Zielvorgabe optimiert und nicht das gewünschte (positive) Resultat fokussiert.
Professor Dr. Fredmund Malik beschreibt den Begriff Führung grob als „Ressourcen in Ergebnisse umwandeln“. Ich bin der Meinung, dass alle am Prozess beteiligten Personen das gleiche Verständnis über die Ergebnisse (also die Ziele) haben müssen. Eine ansatzweise Messbarkeit ist also wichtig, denn zu viel Interpretation tut den Zielgesprächen ganz sicher nicht gut.
Zumindest muss besprochen werden, woran Mitarbeiter, Chef und Organisation denn merken würden, dass ein Ziel erfolgreich verfolgt worden ist.
Die Differenzierung zwischen einzelnen Berufsgruppen darf ebenfalls nicht außer Acht gelassen werden. Während man einen Mitarbeiter im Vertriebsaußendienst noch eher mit numerischen Zielen führen kann, wird das bei einem Buchhalter schon schwieriger sein.
Ein sehr komplexes Thema, bei dem wir Führungskräfte und die Unternehmen sicher noch viel lernen können (und müssen).