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Wie Cyberpunk die Welt verbessern kann: Sci-Fi-Forscher Lars Schmeink im Interview

Cyberpunk – das steht für düstere Zukunftsvisionen getaucht in grelles Neonlicht und den Clash zwischen Mensch und ­Maschine, übermächtigen Konzernen und Outsidern. Sci-Fi-­Forscher Lars Schmeink erklärt, warum das Genre so aktuell wie nie wirkt und sogar die Welt zum Besseren verändern kann.

6 Min. Lesezeit
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Leben wir bereits im Cyberpunk und erleben den „Futureshock“? Sci-Fi-Experte Lars Schmeink sieht dafür Anzeichen: Der Aufstieg des Populismus in der Politik sei etwa eine Form des Futureshocks, der weniger mit der Technologie an sich als mit der Komplexität dahinter zusammenhänge. (Abbildung: CD Projekt Red)

t3n: Hightech versus Low Life gilt als die Formel für das Genre Cyberpunk. Was steckt konkret dahinter, Herr Schmeink?

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Lars Schmeink: Der Autor Bruce Sterling hat das in den 1980ern in einem Vorwort zur Mirrorshades-Anthologie so definiert: Hightech bedeutet, dass der Mensch mit der Technologie verschmilzt, immer mehr eins mit ihr wird. Diese technologisierte Welt wird von Corporations, großen Firmenkonglomeraten, beherrscht. Viele Cyberpunk-Geschichten haben einen Film-Noir-Touch und handeln von den Menschen, die bei diesen Machtstrukturen außen vor sind, die keine Chance haben beim Spiel ums große Geld. Es geht also um den Hacker, das Gangmitglied, die Menschen auf der Straße, die versuchen zu überleben – Low Life.

t3n: Heute scheint der Computerchip fürs Gehirn in greifbarer Nähe, auf Demos soll Gesichtserkennung eingesetzt werden, auf Instagram werben virtuelle Influencer: Leben wir bereits in der Welt des Cyberpunks?

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Absolut, ganz viel, was der Cyberpunk vorausgesehen hat, erleben wir inzwischen: Auf der einen Seite gibt es die Informa­tions­technologie, die überall um uns herum ist. Wir verschmelzen ja quasi mit unserem Smartphone. Auf der anderen Seite haben wir mit dem Internet eine virtuelle Parallelwelt geschaffen, eine ­Matrix, wie sie bereits der ­Cyberpunk-Begründer William Gibson in den 1980ern beschreibt. Auch die Idee eines digitalen Selbst, das parallel zu unserem materiellen Selbst existiert, ist durchaus gegeben. Das Bild, das ich auf ­Instagram vermittele, ist ja nicht das, was ich wirklich bin. Das ist schon mein Avatar.

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t3n: Zu den Symptomen unserer Zeit gehören Handysucht und Depressio­nen durch zu viel Konsum von Social Media. ­Leiden wir alle bereits unter „Technoshock“?

Oder auch Futureshock. Die Fake-Welt von Instagram ist das eine, es gibt ja auch schon große Influencerinnen, die die Realität ungeschminkt und ohne Pose zeigen. Viel problematischer ist die gesellschaftliche Ebene, der Aufstieg des Populismus in der ­Politik. Das hat alles damit zu tun, dass die Menschen nicht mehr verstehen, wie Politik, Gesellschaft, Globalisierung funktionieren. Das ist eine Form des Futureshocks, die weniger mit der Technologie an sich als mit der Komplexität dahinter zusammenhängt.

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t3n: Welche Rolle spielen einflussreiche und finanzstarke Trans­­humanisten wie Elon Musk?

Zum Glück ist Elon Musk momentan noch sehr damit beschäftigt, Elektroautos und Raketen zu bauen. Sein Gehirn-Implantat ­Neuralink sieht er als Tool, das man sich einpflanzen kann, um sich mit Computern zu verbinden. Da sind andere schon weiter, aber er hat die große PR-Maschine am Laufen. Kritisch sehe ich große Konzerne wie ­Google, die auch in Bereichen wie Bio­technologie arbeiten. Es ist ein Problem, wenn viele Technolo­gien in die Privatwirtschaft abwandern. Da sind wir wieder beim ­Cyberpunk, der ganz klar aufzeigt: Wenn Firmen die Macht übernehmen, verkommen wir Menschen zur Ware.

t3n: Cyberpunk hat als Genre gerade enormen Zulauf. Von der ­Netflix-Serie Black Mirror oder der schwedischen TV-­Serie Real Humans über den Hype um das Computerspiel ­Cyberpunk 2077 bis zum für 2021 angekündigten Kino­start von Matrix 4. Wenn wir schon in der Welt des Cyberpunks leben, könnte man meinen, dass man sich lieber in schönere Welten flüchtet. Woher kommt die Begeisterung?

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Gerade weil wir in einer Welt des Cyberpunks leben, ist das für viele Menschen interessant – als kreatives Ventil, um zu verstehen, wie diese Welt funktioniert. Für audio-visuelle Medien ist die Utopie, die bessere Welt, einfach auch weniger interessant. Ein Computerspiel, das eine total friedfertige Welt darstellt, wo alles gut funktioniert, ist einfach nicht so spannend wie eine Welt, in der ich mich – mit Knarren und Cyberware ausgestattet –
konstant in Kämpfen befinde.

Wie im dystopischen Videospiel verschmelzen Hightech und der Mensch inzwischen auch im realen Leben. „Das Bild, das ich auf Instagram vermittle, ist ja nicht das, was ich wirklich bin. Das ist schon mein Avatar“, meint Cyperpunk-Forscher Lars Schmeink. (Abbildung: CD Projekt Red)

t3n: Gewalt, Korruption, große Konzerne, die den Menschen nur als Ware sehen, das klingt so, als ob thematisch nur das recycelt wird, was in den 1980ern bereits Erfolg hatte.

Im Cyberpunk liegt auf jeden Fall mehr Potenzial, wenn man ihn auf das herunterbricht, was er eigentlich im Sinne des Trans­humanismus und Posthumanismus ist: Wenn die Grenzen des Menschseins zerfließen, dann bedeutet das auch das Ende von Kategorien wie Race, Gender, Sex. Das Problem an aktuellen ­Medien des Cyberpunks ist es, dass sie sich zu sehr in der Ästhetik verlieren, nur an der Oberfläche kratzen.

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t3n: Ist in diesen Fällen Cyberpunk letztlich nur ein Label, das sich gut verkauft?

Ja, ganz klar. Für eine Produktionsfirma wie CD Projekt Red, die jetzt Cyberpunk 2077 herausgebracht hat, ist es natürlich auch einfacher, ästhetische Klischees zu bedienen und Keanu Reeves in diese Welt reinzusetzen. Die Leute stehen ja drauf.

t3n: Mike Pondsmith, der Vater des Pen-and-Paper-Rollenspiels „­Cyberpunk 2013“ hat gesagt, dass Cyberpunk im Kern politisch sei. Sehen Sie das auch so?

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Ja, Cyberpunk hat eine politische Agenda. Man kann deutlich eine antikapitalistische, Antikonsumhaltung herauslesen. Es wird aber kompliziert, wenn man sich anschaut, wer da eigentlich gegen wen kämpft und warum. Der frühe Cyberpunk ist von einem weißen, männlichen Heldenbild geprägt. Die Figuren sind die ­typischen Kämpfer gegen das große System, die aber nicht das Ziel verfolgen, das System zu ändern oder eine Verbesserung für alle zu bewirken. Sie wollen erst mal alle nur für sich einen cooleren Weg finden, um durchs Leben zu kommen. Das ist eine egoistische, individualzentrierte, techno­optimistische Haltung.

„Wenn ich die Nutzung von Technologie neu denke und gegen Unterdrückung einsetze, ist das sehr nah am Cyberpunk.“

t3n: Techno-optimistisch? Es wird doch eine düstere Welt ­gezeigt, die eher Angst vor Technologie macht …

Aber fast alle, die da mitmachen, nutzen Technologie, um das ­Leben für sich selbst besser zu machen. Ich kann mich zu einem besseren Menschen machen – im Sinne von schneller, stärker, ­intelligenter. Diese rein individualistische Weltsicht hat sich etwa im feministischen Cyberpunk oder dem Post-Cyberpunk in den 1990ern verändert, seitdem gibt es auch queere Charaktere und nicht-weiße Ethnien, die als marginalisierte Personen das ­System hinterfragen und verändern. Transgression von Kategorien und Grenzen steckt im Cyberpunk: Nichts ist fest, alles ist fluide und kann durch Technologie verschoben werden.

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t3n: Auch Cyberpunk 2077 ermöglicht ja die Erstellung von Transgender-Charakteren.

Bei Cyberpunk 2077 ist es problematisch, dass auf der einen ­Seiten das Thema Transgender transportiert werden soll, aber offensichtlich nicht Menschen aus der Trans-Community einbezogen wurden. Das Spiel definiert etwa, wie ein Charakter angesprochen wird über die Stimme. Wenn die Stimme eher hoch ist, werde ich als Frau angesprochen. Das ist aber für Trans-­Menschen eine Diskriminierung. Laut Trans-Organisationen ­äußert sich darin eine Missrepräsentation, ein biologischer ­Essentialismus.

t3n: Open-World-Games werden von Demokratiekämpfern wie Joshua Wong in Hongkong genutzt, um sich zu organisieren und im virtuellen Raum Demonstrationen abzuhalten. Ist das auch Cyberpunk?

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Dass virtuelle Welten dazu dienen, Gemeinschaften zu verbinden, haben wir im Arabischen Frühling gesehen und erleben es jetzt bei Joshua Wong mit Animal Crossing. Wenn ich die Nutzung von Technologie neu denke und gegen Unterdrückung einsetze, ist das sehr nah am Cyberpunk. Im Roman Little Brother von Cory Doctorow wird etwa beschrieben, wie sich eine Bewegung gegen einen totalitären Staat wehrt, indem sie die X-Box für Chat­äume nutzt, um sich zu organisieren. Auch der berühmte Satz „The Street finds its own Use for Things“ (zu deutsch „Die Straße findet schon ihren Weg“) von William Gibson drückt das aus.

Auch interessant: „Cyberpunk 2077: Auf welche Technologien ihr besonders achten solltet“

t3n: Das klingt danach, als ob Cyberpunk uns aufklärt und aufruft, kritisch mit der Gegenwart umzugehen.

Darum geht es generell bei Science-Fiction: Was wäre, wenn? Sich die technologische Entwicklung in der Jetztzeit anschauen und definieren, in welche Richtung das laufen könnte.

t3n: Dem Cyberpunk lassen sich also auch positive Lehren ­abgewinnen.

Der Cyberpunk birgt viel Potenzial, auch positiv über die ­Zukunft nachzudenken. Denn er stellt Fragen: Was ist eigentlich der Mensch, welche Beziehung habe ich zu meiner Technologie, zu meiner Umwelt, zu anderen Menschen? Er bietet einen Modus, um unsere Realität zu hinterfragen, ob es etwa gut ist, dass ­Google bald genetische Patente anmeldet.

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