Werbung mit Gefühl: So funktioniert Emotion-Based Targeting

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Seit es Werbung gibt, kreist sie um eine Frage: Wie erreiche ich den passenden Kunden mit dem passenden Bedürfnis zum passenden Zeitpunkt? Ständig verbesserte Methoden des demografischen Targetings und Behavioral-Targetings können den Kunden und seine Wünsche mittlerweile gut durchleuchten. Die Zielgruppen für das Onlinemarketing werden immer feiner segmentiert. Was aber macht den besten Moment aus, um Werbung auszuspielen? In diesem Bereich sind Targeting-Methoden noch ausbaufähig. Einen großen Einfluss auf die Empfänglichkeit von Werbung haben Emotionen. Die Gefühlslage des Nutzers kann den Ausschlag geben, ob er ein bestimmtes Angebot wahrnimmt, mit ihm interagiert und letztlich eine Konversion leistet.
„Generell merken wir, dass das Thema Emotionen im Marketing an Bedeutung gewinnt“, sagt Professor Peter Kenning. Der Wirtschaftswissenschaftler lehrt und forscht an der Universität Düsseldorf zur Consumer Neuroscience. „Vor 20, 25 Jahren haben wir überwiegend über rationale und kognitive Konzepte wie Produktnutzen und geplantes Verhalten gesprochen. Die haben heute an Bedeutung verloren.“
Am Point of Sale ist diese Stoßrichtung schon lange etabliert (So nutzt du Behavior-Patterns als Trigger für den Impulskauf). Shopbetreiber setzen gezielt Designs, Farben, Hintergrundmusik und Botschaften ein, um ein bestimmtes emotionales Erlebnis zu bieten. Die Nutzung unbewusster Verhaltensmuster soll die Customer-Journey positiv beeinflussen. Jetzt ziehen auf Publisher-Ebene die ersten Medien nach. Werbeangebote, die mit Emotion-based Targeting optimiert sind, führen Emotionen als eine weitere Metrik in der Zielgruppenauswahl ein. Hinter dem Begriff verbergen sich Methoden, um den emotionalen Zustand eines Nutzers zu bestimmen, während er Medieninhalte konsumiert. Darauf basierend soll ihm auf den Gemütszustand optimierte Werbung angezeigt werden.
Project Feels: Anzeigen nach Gefühl
Das größte Unterfangen dieser Art setzt die New York Times seit 2018 mit „Project Feels“ um. Nytdemo, ein Team von Datenanalysten der Zeitung, sollte Werbetreibenden helfen, ihre Anzeigen mit geringeren Streuverlusten zu platzieren. Mit Hilfe von maschinenlernenden neuronalen Netzen ging es der Frage nach, wie emotionale Reaktionen auf Artikel und Klicks auf Anzeigen verknüpft sind.
Ein erstes Datenset zur Vorhersage von Emotionen durch Zeitungsinhalte erhielten die Analysten per Umfrage. 1.200 Freiwillige gaben an, welche Gefühle sie beim Lesen einer Serie von Artikeln hatten. Sie wählten aus einer Handvoll vorgegebener Antworten wie Freude, Hoffnung, Trauer, Langeweile oder klickten „Keine Emotion“ an. Mit dem Ergebnis konnten die Artikel nach verschiedenen Emotionen und nach Stärke der ausgelösten Emotion sortiert werden. Anschließend suchten die Analysten Gemeinsamkeiten, wie bestimmte Schlüsselwörter. Enthielt ein Text etwa die Wörter „Schule“, „Gesundheit“ oder „Hilfe“ war es wahrscheinlich, dass er Hoffnung auslöste. „Angriff“, „Rakete“ oder „nuklear“ könnten für Angst stehen. Auch Häufigkeiten, Reihenfolgen und Negierungen („nicht nuklear“ löst Hoffnung statt Angst aus) wurden in der Untersuchung berücksichtigt.

Zu einem Interview mit Cher sagte der Algorithmus von Project Feels voraus, dass es den Leser in eine inspirierte, amüsierte und abenteuerlustige Stimmung bringen würde. Passt die Buchung eines Anzeigenkunden in dieses Schema, wird sie begleitend ausgespielt. (Screenshot: NY Times)
In der Analyse entstanden 150.000 Datenpunkte. Genügend Material, um ein neuronales Netz auf Vorhersagen zu trainieren, welche Emotionen ein neuer Artikel wahrscheinlich beim Leser auslösen wird. Ausgiebige Performancetests zeigten, welche Art von Anzeigen bei einem mit einer bestimmten Emotion gekennzeichneten Artikel am besten funktionierten.
Überzeugt von dem Projekt, bietet die New York Times Anzeigenplätze basierend auf 18 verschiedenen Emotionen an. Der erste mit diesem Angebot vermarktete Artikel fiel in die Kategorie „Abenteuerlustig“ und spielte Werbung für eine Science-Fiction-Serie aus. Seitdem hat Project Feels über 50 Kampagnen und mehr als 30 Millionen Impressions generiert.
Die Erkenntnisse bis jetzt:
- Anzeigen in Texten, die eine starke Emotion transportieren, schneiden besser ab in Texten mit wenig Emotion.
- Durchschnittlich erzielen mit Project Feels optimierte Anzeigen um 40 Prozent mehr Impressions als Anzeigen aus herkömmlichem Behavioral-Targeting. Einzelne Anzeigen liegen bei einem Plus von 80 Prozent. Die Times spricht von insgesamt starken Umsätzen, veröffentlicht aber keine Details.
- 14 der 18 angebotenen Emotionen sind positiv. Entgegen der Erwartungen unterstützen aber auch negative Emotionen passende Anzeigen-Anliegen. Nur eine Emotion bietet keine Vorteile: Langeweile.
Auch bei anderen US-Medien existieren Programme zur KI-gestützten Emotionsvorhersage. USA Today hat eine Werbekampagne für einen gemeinnützigen Zweck an Menschen ausgerichtet, die inspirierende Geschichten lasen. Das führte zu einer 25 Prozent höheren Spendenrate gegenüber emotional ungezielter Werbung.
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Sehr guter Artikel, habe viel gelernt, vielen Dank.
Meine Sorge geht eher in die von Euch im letzten Kapitel angesprochene Richtung des individuellen Emotions-Marketings:
Mit immer besserer Gesichtserkennung in Smartphones sind damit z.B. Mikroexpressionen https://de.wikipedia.org/wiki/Mikroexpression detektierbar.
Wird die Information über die aktuelle Emotion beim Betrachten
der Werbung,
der Webseite,
der App …
an den Betreiber weitergegeben, ist der Manipulation ja Tür und Tor geöffnet.
Wirklich schöne Anregung, ich denke das gibt eine neue Podcastfolge :-)