10 Jahre Google Street View: Zwischen „Pixel-Burka“ und Datenschutz
Google Street View ging in Deutschland vor zehn Jahren an den Start. 20 große Städte sollten am 18. November 2010 den Anfang machen, kleinere schnell folgen. Doch der Ausbau kam bald ins Stocken, weil sich an dem Dienst die schärfste Datenschutz-Debatte seit dem Streit um die Volkszählung Anfang der achtziger Jahre entsponnen hatte.
Kritik von Datenschützern
Die damalige Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) malte mögliche Konsequenzen in düsteren Farben an die Wand: „Ich kann mir anhand von solchen Diensten anschauen, wo und wie jemand lebt, welche privaten Vorlieben er oder sie hat, wie seine Haustür gesichert ist oder welche Vorhänge an den Fenstern sind – und das ist noch das Wenigste.“ Damit werde das Private ohne Schutzmöglichkeiten in die globale Öffentlichkeit gezerrt.
Der Digitalverband Bitkom spricht rückblickend von „Aufregung und auch Hysterie“, die damals geherrscht habe. Jahrzehntelang sei die Veröffentlichung von Bildern des öffentlichen Raums erlaubt und üblich gewesen. „Jetzt sollte dies speziell mit Blick auf Kartendienste verboten werden, ein eigenes Gesetz wurde angekündigt“, erinnert sich Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder.
Der Bitkom kritisiert noch heute, der Druck von Datenschützern habe dafür gesorgt, dass bei Verpixelungen alle Bilder des entsprechenden Gebäudes oder Gebäudeteils von den Diensteanbietern dauerhaft und endgültig gelöscht werden mussten. „Das hat unter anderem zur Folge, dass die Aufnahmen zum Beispiel nach Mieter- oder Eigentümerwechseln nicht wiederhergestellt werden können.“
Der damalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar sieht heute den Start von Google Street View als einen Punkt, an dem sehr viele Menschen zum ersten Mal gemerkt hätten, dass sie sich nicht einfach vom Internet abkoppeln könnten. „Sie mussten erkennen, dass die Digitalisierung sie erfasst, völlig unabhängig davon, ob sie nun selbst einen Computer haben oder nicht, ob sie digital affin sind oder ob sie noch voll im analogen Zeitalter stehen.“
Schaar erinnert daran, dass Google sich damals einen gravierenden Fehltritt leistete: Die Kamerawagen griffen damals auch Daten aus ungeschützten WLAN-Netzen auf. Google sprach von einem Fehler eines Entwicklers. Schaar hält das für eine Schutzbehauptung. Dass Google sich für die WLAN-Erfassung entschuldigt habe, erinnere an das Verhalten beim Dieselskandal. „Die illegalen Abschalt-Einrichtungen hat man auch auf ein Fehlverhalten einzelner Ingenieure zurückgeführt.“
Trotz der scharfen Kritik an dem Google-Dienst glaubt selbst Datenschützer Schaar, dass es viel gravierendere Eingriffe in die Privatsphäre gibt als Street View. „Ich meine damit das Datensammeln, das sozusagen unbemerkt hinter dem Bildschirm geschieht. Wenn ich surfe, wenn ich mich digitaler Dienste oder Apps bediene, ist meine Privatsphäre im Zweifel stärker bedroht, als wenn Häuserfassaden abfotografiert und diese Aufnahmen im Internet verbreitet werden.“
„Pixel-Burka“ sorgt für Zündstoff
Gestartet war Street View im Mai 2007 zunächst in den USA. Google erkannte schnell, dass menschliche Gesichter und Auto-Kennzeichen automatisch unkenntlich gemacht werden sollten. Lange kontrovers diskutiert wurde, ab auch Häuserfassaden mit einem virtuellen Schleier überzogen werden sollten – und wer darüber zu entscheiden hat: Eigentümer oder aktuelle Bewohner. Am Ende einer quälend langen Debatte um eine „Pixel-Burka“ durften das beide Gruppen.
In Deutschland beantragten damals 244.000 Haushalte, ihre Wohnhäuser unkenntlich zu machen. Google betonte damals, knapp drei Prozent der Haushalte hätten eine Verpixelung beantragt. Der Aufwand dafür war aber offenbar so groß, dass Google auf weitere Kamerafahrten verzichtete. Nur zu kleineren Prestige-Projekten wie der Erkundung der Münchner Allianz-Arena oder der Elbphilharmonie in Hamburg wurden die Street-View-Kameras noch einmal aus dem Schrank geholt.
Dennoch fahren noch ständig Autos auf deutschen Straßen, die ihre Umgebung erfassen. Sie stammen von Karten-Spezialisten wie Tomtom oder Here sowie Tech-Konzernen wie Apple und auch Google. „Zweck ist nun nicht mehr, eine Karte zu zeichnen oder eine virtuelle Welt zu generieren, die sich der Mensch anschauen kann“, erläutert der Unternehmensberater Kersten Heineke, der als Partner bei McKinsey das Center for Future Mobility in Europa leitet. Es gehe vielmehr darum, Hochpräzisionskarten zu generieren, die von Maschinen gelesen werden können und das autonome Fahren möglich machen.
Datenschützer Schaar plädiert nun dafür, auch für die neue digitale Mobilitätswelt ein Regelwerk zu definieren, bei dem die Privatsphäre gewahrt bleibt. „Digitalisierung kann nur dann letztlich erfolgreich und nachhaltig sein, wenn dort Akzeptanz und Vertrauen vorhanden sind. Das war vor zehn Jahren bei Google Street View nicht der Fall.“ Digitalisierung und Datenschutz gehörten zusammen und sollten eigentlich keine Gegner sein, meint er. Google Street View sei aber auch ein Beispiel dafür, dass man Lösungen finden könne, Digitalisierung und Datenschutz miteinander zu verbinden. „Ob die gefundene Lösung, bestimmte Aufnahmen zu verpixeln, wirklich so weise war, darüber kann man natürlich nach wie vor streiten.“
Bitkom-Hauptgeschäftsführer Rohleder bedauert bis heute, das online aktuelles Bildmaterial fehle, etwa für Notfalleinsätze der Feuerwehr. „Wir hoffen, dass Deutschland Schritt für Schritt zu einem neuen Umgang mit Kartendiensten findet und auch im Internet öffentlich gezeigt werden kann, was ohnehin öffentlich ist: der öffentliche und für alle zugängliche öffentliche Raum.“ dpa