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100 Jahre EEG: Wie Krankheiten, Gedanken und Träume im Gehirn erforscht werden

Elektroenzephalographie, kurz EEG, ist ein echtes Multi-Tool und das schon seit einem Jahrhundert: Sie ermöglicht die Messung der Gehirnströme, hat sich in ihrem Ansatz kaum verändert und ermöglicht doch erstaunliche Einblicke in unseren Denkapparat. Was können wir von der Technologie in den nächsten 100 Jahren erwarten?

Von MIT Technology Review Online
5 Min.
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(Symbolbild: Shutterstock/ra2 studio)

Es ist schon ein besonderer Geburtstag: 100 Jahre ist es her, dass die elektrische Aktivität im Gehirn eines Menschen zum ersten Mal per EEG (Elektroenzephalographie) gemessen wurde. Diese Entdeckung war revolutionär. Sie half, viel über die Arbeitsweise unseres Gehirns und über Erkrankungen zu verstehen: zum Beispiel, dass es sich bei Epilepsie um eine neurologische Störung und nicht um ein Persönlichkeitsmerkmal handelt.

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Die Grundlagen der EEG-Methode haben sich seither kaum verändert. Wissenschaftler:innen und Ärzt:innen kleben immer noch Elektroden an die Köpfe der Menschen, um herauszufinden, was in ihren Gehirnen vor sich geht. Aber inzwischen sind wir in der Lage, viel mehr aus den gesammelten Informationen herauszuholen.

Das Multi-Werkzeug EEG zeigt uns auch, wie wir uns erinnern

Mit Hilfe des EEG konnten wir mehr darüber erfahren, wie wir denken, uns erinnern und Probleme lösen. Das EEG wurde auch zur Diagnose von Hirn- und Hörstörungen eingesetzt, um zu erforschen, wie bewusst eine Person ist, und sogar, um Geräte wie Computer, Rollstühle und Drohnen zu steuern. Der Jahrestag ist nun ein guter Zeitpunkt, um über die Zukunft dieser Technologie nachzudenken. Was wird uns das EEG in 100 Jahren ermöglichen?

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Um diese Frage zu beantworten, ist es nötig, erstmal zu klären, was ein EEG ist und wie es funktioniert. Für EEG-Messungen werden Elektroden auf dem Kopf einer Person angebracht, die die elektrischen Signale der Gehirnströme ableiten und sie zur Analyse an einen Computer weiterleiten. Die heutigen Geräte sehen oft aus wie Badekappen. Im Vergleich zu anderen bildgebenden Verfahren für das Gehirn, wie zum Beispiel funktionellen Magnetresonanztomographie-Scannern (fMRI), sind sie sehr billig, ziemlich klein und tragbar.

EEG wurde ursprünglich entwickelt zur Messung „psychischer Energie“

Als Erster setzte der deutsche Psychiater Hans Berger EEG bei Menschen ein. Berger war von der Idee der Telepathie fasziniert und entwickelte das EEG zur Messung „psychischer Energie“. Seine frühen Forschungen führte er größtenteils an seinem Sohn im Teenageralter und im Geheimen durch, sagt Faisal Mushtaq, ein kognitiver Neurowissenschaftler an der Universität von Leeds in Großbritannien. Wegen seiner unklaren Verbindungen zum Nazi-Regime war und sei Berger immer noch eine umstrittene Figur.

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Das EEG aber hat die Welt der Neurowissenschaften im Sturm erobert. Es ist aus den neurowissenschaftlichen Labors nicht mehr wegzudenken, wo es bei Menschen jeden Alters, sogar bei Neugeborenen, eingesetzt werden kann. Neurowissenschaftler:innen nutzen das EEG, um zu erforschen, wie Babys lernen und denken, und sogar, was sie zum Lachen bringt. EEG wurde sogar dafür eingesetzt, um das Phänomen des luziden Träumens zu verstehen, wie unsere Erinnerungen während des Schlafs gespeichert werden, und um Menschen zu ermöglichen, den Fernseher allein durch Gedanken einzuschalten.

EEG kann auch als Portal in die Gedankenwelt von Menschen dienen, die sonst nicht in der Lage sind zu kommunizieren. Es wurde eingesetzt, um Anzeichen von Bewusstsein bei Menschen im Wachkoma festzustellen, was auch als Syndrom reaktionsloser Wachheit bezeichnet wird und früher „vegetativer Zustand“ hieß. Die Technologie hat es auch Menschen mit amyotropher Lateralsklerose (ALS) ermöglicht, durch Gedanken zu kommunizieren und ihren Familienmitgliedern mitzuteilen, dass sie glücklich sind.

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Welche Durchbrüche das EEG erzielen wird

Wie geht es nun weiter? Mushtaq, Pedro Valdes-Sosa von der University of Electronic Science and Technology of China in Chengdu und ihre Kolleg:innen haben diese Frage 500 Personen gestellt, die mit EEG arbeiten, darunter Neurowissenschaftler:innen, klinische Neurophysiolog:innen und Gehirnchirurg:innen. Mit Hilfe von ChatGPT erstellte das Team eine Liste von Vorhersagen, die von sehr wahrscheinlich bis hin zu etwas phantasievoll reichten. Jeder der 500 Umfrageteilnehmer wurde gebeten, einzuschätzen, wann, wenn überhaupt, jede Vorhersage eintreten könnte.

Einige der schnellsten Durchbrüche werden nach Ansicht der Befragten bei der Schlafanalyse erzielt. Das EEG wird bereits zur Diagnose und Überwachung von Schlafstörungen eingesetzt. Im nächsten Jahrzehnt soll das zur Routine werden.

Auch das EEG für Verbraucher:innen wird sich in naher Zukunft wahrscheinlich durchsetzen und vielen von uns die Möglichkeit geben, mehr über ihre eigene Gehirnaktivität und deren Zusammenhang mit ihrem Wohlbefinden zu erfahren. „Vielleicht wird es in eine Art Baseballkappe integriert, die man beim Gehen trägt und die mit dem Smartphone verbunden ist“, sagt Mushtaq. Solche EEG-Mützen wurden bereits bei Arbeitnehmern in China getestet und zur Überwachung der Müdigkeit von Lkw-Fahrern und Bergarbeitern eingesetzt.

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Bisher konzentriert sich der EEG-Einsatz auf das Labor und das Krankenhaus

Bislang ist die EEG-Kommunikation auf das Labor oder das Krankenhaus beschränkt, wo sich die Studien auf das Potenzial der Technologie konzentrieren, Menschen mit Lähmungen oder Bewusstseinsstörungen zu helfen. Das dürfte sich jedoch in den kommenden Jahren ändern, wenn mehr klinische Studien abgeschlossen sind. Die Befragten sind der Meinung, dass das EEG in den nächsten 20 Jahren zu einem primären Kommunikationsmittel für solche Menschen werden könnte.

Am anderen Ende der Skala steht das, was Mushtaq als „phantasievollere“ Anwendung bezeichnet – die Idee, EEG zu nutzen, um die Gedanken, Erinnerungen und sogar Träume von Menschen zu lesen. Mushtaq hält dies für eine „relativ verrückte“ Vorhersage, die noch lange nicht eintreten wird, vor allem wenn man bedenkt, dass wir noch kein klares Bild davon haben, wie und wo unsere Erinnerungen gebildet werden. Aber es ist keine reine Science-Fiction, und einige der Befragten sagen voraus, dass diese Technologie in etwa 60 Jahren Realität werden könnte.

Künstliche Intelligenz wird Neurowissenschaftler:innen wahrscheinlich dabei helfen, mehr Informationen aus EEG-Aufzeichnungen herauszuholen, indem sie verborgene Muster in der Gehirnaktivität erkennt. Schon jetzt wird sie eingesetzt, um die Gedanken eines Menschen in geschriebene Worte zu verwandeln, wenn auch mit begrenzter Genauigkeit. „Wir stehen an der Schwelle zu dieser KI-Revolution“, sagt Mushtaq.

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Schutz unserer Gedanken erforderlich?

Diese Art von Fortschritten wird Fragen über unser Recht auf geistige Privatsphäre aufwerfen und darüber, wie wir unsere Gedanken schützen können. Nita Farahany, Futuristin und Rechtsethikerin an der Duke University in Durham, North Carolina, zufolge sind Hirndaten selbst zwar keine Gedanken, trotzdem lassen sie Rückschlüsse auf die Gedanken oder Gefühle einer Person zu. „Die einzige Person, die im Moment Zugang zu Ihren Gehirndaten hat, sind Sie selbst, und sie werden nur in der internen Software Ihres Gehirns analysiert“, sagt sie. „Aber sobald man sich ein Gerät auf den Kopf setzt, gibt man diese Daten sofort an den Hersteller des Geräts und an den Anbieter der Plattform weiter.

Valdes-Sosa ist optimistischer, was die Zukunft des EEG angeht. Die geringen Kosten, die Tragbarkeit und die einfache Anwendung machen die Technologie zu einem erstklassigen Kandidaten für den Einsatz in armen Ländern mit begrenzten Ressourcen, sagt er. Er selbst setzt sie seit 1969 in seiner Forschung ein. Das EEG sollte zur Überwachung und Verbesserung der Gehirngesundheit auf der ganzen Welt eingesetzt werden, sagt er: „Es ist schwierig … aber ich denke, es könnte in der Zukunft passieren.“

Dieser Artikel stammt von Jessica Hamzelou. Sie ist Senior Reporter bei der US-amerikanischen Ausgabe von MIT Technology Review und schreibt über Biomedizin und Biotechnologie.

 

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