Noch immer gibt es zahlreiche Abläufe und Funktionsweisen im menschlichen Körper, die die Forschung noch nicht durchdrungen hat. Eine davon ist die menschliche Erinnerung – wie genau speichern wir Informationen, was hilft uns, uns zu erinnern?
Ein weiteres Puzzleteil zur Beantwortung dieser Frage könnte jetzt eine Studie der sogenannten Brain-Initiative des US-amerikanischen National Institutes of Health geben. Brain steht dabei für „Brain Research Through Advancing Innovative Neurotechnologies“, die Studie wurde im englischsprachigen Fachmagazin Nature Neuroscience veröffentlicht.
Wie bilden wir Erinnerungen? 2 Zellarten reagieren auf kognitive Grenzen
Konkret hatte das Forschungsteam zur Theorie der sogenannten „Ereignissortierung“ geforscht, also der Frage, wie das Gehirn Anfang und Ende von klar abgegrenzten, einzelnen Erinnerungssequenzen bestimmt, und welche Einflüsse dadurch entstehen. Insgesamt 20 Freiwillige, deren Hirnaktivitäten zur Behandlung von medikamentös nicht kontrollierbarer Epilepsie durch ein medizinisches Implantant aufgezeichnet werden, lieferten durch die Teilnahme an mehreren Versuchen neue Erkenntnisse.
Die Forschenden um Studienleiter Dr. Ueli Rutishauser zeigten den Proband:innen zunächst Filmausschnitte, die unterschiedliche „kognitive Grenzen“ enthielten. Damit sind Übergänge gemeint, von denen vermutet wird, dass sie den Anfang und das Ende von Erinnerungssequenzen darstellen, und beeinflussen, wie eine Erinnerung gespeichert wird.
Bei sogenannten „weichen“ Grenzen ändert sich die Geschichte, die erzählt wird, nicht, aber es findet ein Szenenwechsel statt. Eine „harte“ Grenze beschreibt den Wechsel zwischen zwei komplett unterschiedlichen Narrativen, also beispielsweise einer Fernsehsendung und einem Werbespot.
Durch die Beobachtung der Hirnaktivität, die sich bei den Teilnehmenden abspielte, während sie die verschiedenen Übergänge gezeigt bekamen, konnten die Forschenden zwei Zellarten identifizieren. Die sogenannten „Grenzzellen“ reagierte sowohl auf harte als auch auf weiche Grenzen mit zunehmender Aktivität. Als „Ereigniszellen“ betitelte das Forschungsteam Zellen, die nur auf harte Grenzen reagierten.
Sind sowohl die Grenz- als auch die Ereigniszellen aktiviert – also nach einer harten Grenze –, bildet das Gehirn eine neue Erinnerungssequenz, so die Theorie, die Rutishauser und sein Team aus den Forschungsergebnissen aufgestellt haben. Während die harten Grenzen also quasi einzelne Erinnerungsordner erstellen, können weiche Grenzen wie einzelne Bilder innerhalb der Ordner verstanden werden.
Abrufen von Erinnerungen: Das Erhoffen sich Forschende von den Erkenntnissen
Damit hatte das Forschungsteam die Entstehung der Erinnerungen, also den Merkprozess, untersucht – doch wie funktioniert das Abrufen der Erinnerung? Wieder wurden die Teilnehmenden durch zwei Versuche geführt.
Zunächst bekamen sie mehrere Standbilder zusammen mit der Frage gezeigt, ob die Szenen aus den zuvor gezeigten Filmausschnitten stammen. Bilder, die kurz nach einer harten oder weichen Grenze aufgenommen worden waren, waren den Proband:innen besser in Erinnerung geblieben.
Im zweiten Test ging es um die Reihenfolge, in der gezeigte Bildpaare in den Videosequenzen aufgetaucht waren. Den Befragten fiel es deutlich schwerer, zu sagen, welches von zwei Bildern zuerst gezeigt worden war, wenn beide Bilder auf verschiedenen Seiten einer harten Grenze lagen, also quasi vom Gehirn in unterschiedlichen „Ordnern“ abgelegt worden waren.
Die Hoffnung der Forschenden ist unter anderem, durch das immer bessere Verständnis von Erinnerungsprozessen Krankheiten mit Gedächtnisstörungen, wie beispielsweise Alzheimer, zukünftig besser behandeln zu können.
Besonders sei bei der Untersuchung vor allem der direkte Zugriff auf die Hirnaktivität der Proband:innen gewesen: „Diese Arbeit ist bahnbrechend in der Art und Weise, wie die Forscher die Denkweise des menschlichen Gehirns untersucht haben“, zitiert eine Pressemitteilung des NIH den Mitverantwortlichen Dr. Jim Gnadt. Bislang sei die direkte Aufzeichnung nur bei nicht-menschlichen Primaten und Nagetieren erfolgt. Zwei weitere Studien, die auf den Erkenntnissen aufbauen, sind laut Pressemitteilung schon geplant.