3 Trends aus China, die deutsche Händler kennen sollten
Von Matthias Lambertz und Simon Lingenau
Innerhalb von 24 Stunden stellten die Chinesen im November einen neuen Rekord auf: 17,8 Milliarden US-Dollar (etwa 16,3 Milliarden Euro) gaben sie am alljährlichen „Single’s Day“ aus, einem Pendant zum Black Friday im Westen. Nur zum Vergleich: Das ist mehr als der gesamte Jahresumsatz von Amazon in Deutschland – der lag 2016 bei etwa 14 Milliarden Dollar.
Die Umsätze am „Single’s Day“, einst etabliert von Alibaba, beschreiben besonders deutlich die riesige E-Commerce-Industrie, die in den vergangenen Jahren in China herangewachsen ist. Im Vergleich mit anderen Ländern besitzt China nicht nur die meisten, sondern vor allem die aktivsten Internetuser. Daraus ergibt sich der weltweit größte und am schnellsten wachsende Marktplatz für E-Commerce mit einem prognostizierten Umsatz von 1,2 Billionen US-Dollar für das Jahr 2017 und einer Wachstumsrate von derzeit rund 30 Prozent pro Jahr.
Dominiert wird der Markt von lokalen Unternehmen: Alibaba und JD.com machen in China den Markt weitestgehend unter sich aus – so hält Tmall knapp 57 Prozent, gefolgt von JD.com mit 25 Prozent. Amazon und Ebay, die in den USA und Europa dominieren, kommen in China nur am Rande vor. Für deutsche Unternehmen kann der Markt trotzdem interessant sein: Durch das sogenannte Cross-Border E-Commerce-Geschäft eröffnen sich für ausländische Konzerne und Marken neue Direktabsatzkanäle – mit relativ niedrigen Hürden. Dafür müssen sie sich allerdings auch auf den neuen Markt einlassen. Drei Trends, die Händler in China kennen sollten.
Trend 1: Cross-Border E-Commerce in China
In China gibt es viele Kunden, die trotz des riesigen Warenangebotes lieber direkt Produkte aus dem Ausland kaufen wollen. Gründe dafür sind die Sorge um Fälschungen, Zweifel an der Qualität der einheimischen chinesischen Marken oder die generelle Nichtverfügbarkeit des gewünschten Produkts in China. Neben einigen anderen Anbietern haben JD.com (JD Worldwide) und Alibaba (Tmall Global) diese Marktlücke erkannt und bieten über ihre Cross-Border E-Commerce-Marktplätze den direkten Bezug von Waren aus dem Ausland an. Firmen können ihre Produkte dabei in Form von verschiedenen Store-Typen anbieten, für Marken ist vor allem der Flagship-Store interessant. Die Anbieter profitieren von der großen Reichweite und Bekanntheit der Marktplätze in China und können die Waren nach Verkauf direkt aus Deutschland versenden.
Diesem Trend Folge geleistet haben unter anderen bereits die beiden deutschen Drogeriemärkte dm und Rossmann, die Tmall Global als Plattform für ihr China-Geschäft nutzen. Für Unternehmen ist dies so lukrativ, weil die Hürden für den Markteintritt in China viel niedriger sind, wenn man nicht mit einer eigenen Niederlassung, sondern mit einem Online-Store bei einer der großen Plattformen vertreten ist. Bisher war es so, dass zur Beantragung einer Geschäftslizenz in China langwierige rechtliche Spießrutenläufe nötig waren, um eine solche zu bekommen – von einer E-Commerce-Lizenz ganz zu schweigen. Gerade für ausländische mittelständische Unternehmen ist diese praktisch unmöglich zu erlangen. Diese Hürden fallen mit einem Cross-Border-Store weg.
Zudem sind seit 2016 im Zuge der staatlichen Förderpolitik auch neue Verzollungsregelungen für die Wareneinfuhr bei Cross-Border-E-Commerce-Geschäften eingeführt worden. Diese sehen zum Beispiel günstigere Zolltarife, eine schnellere Zollabfertigung und geringere Import-Formalitäten vor. Fernab dieser Rahmenbedingungen liegen deutsche Produkte bei den chinesischen E-Commerce-Konsumenten besonders hoch im Kurs – viele Chinesen schätzen die hohe Qualität und Produktsicherheit sowie ein gutes Preis-Leistungsverhältnis bei deutschen Produkten. 2016 lag Deutschland damit auf Rang vier (hinter Japan, den USA und Südkorea) der Ursprungsländer für online bestellte ausländische Waren in China.
Trend 2: Mobile Commerce und Social Shopping
Auch im Mobile Commerce ist China ein beeindruckender Trendsetter: 2016 wurden annähernd 70 Prozent aller Online-Einkäufe über Smartphones und Tablets abgewickelt. In Anbetracht eines Anteils von 95 Prozent mobiler Internetuser verwundert dieser Trend kaum. Mit anderen Worten: Wenn man sich in das chinesische E-Commerce-Geschäft begibt, muss jeder Berührungspunkt zum Kunden auf eine mobile Nutzung und einen mobilen Kontext optimiert sein, denn nur so können Absprungpunkte vermieden und der Kunde zum Kauf motiviert werden.
Diesem Trend tragen natürlich auch die Online-Marktplätze JD.com und Tmall mit jeweils eigenen Apps und speziellen Features zur optimalen mobilen Nutzung ihrer Plattformen Rechnung. Dazu gesellt sich ein weiterer Trend: Das immer beliebtere Social Shopping, das im Kern ein Zusammenwachsen von E-Commerce-Shops und Online-Marktplätzen mit Social-Media-Plattformen bedeutet. Dies lässt sich zum Beispiel am Teilen von Hersteller- und Produktbewertungen und der Integration von Onlineshops direkt in soziale Netzwerke verdeutlichen.
Hier ist dem chinesischen Internetriesen Tencent ein besonders kluger Schachzug gelungen. Das Unternehmen betreibt aktuell mit der App Wechat das größte chinesische soziale Netzwerk. Dabei verfügt Wechat über mehr als 800 Millionen aktive User und wird von rund 80 Prozent der Internetnutzer in China verwendet. Wechat war 2011 ursprünglich als Messenger-App ähnlich wie Whatsapp gestartet und wurde von Tencent in Punkto Funktionalität kontinuierlich weiterentwickelt. Tencents maßgebliche Innovation und ein Kernfeature von Wechat heute ist ein elektronisches Portemonnaie namens Wechat Payment. Damit hat Tencent dem E-Commerce auf Wechat Tür und Tor geöffnet und eine Vielzahl von eigenen und Drittanbieterdiensten wie etwa das Buchen von Hotels, Flügen oder Taxis sowie das Bezahlen von Strom-, Wasser und Gasrechnungen direkt in die App integriert. Selbst die Aufnahme von Mikrokrediten ist über Wechat möglich. Außerdem können Dritte über die App eigene Shops anbieten.
Die Zahlungsabwicklung erfolgt direkt über Wechat Payment, das trägt zu einer nahtlosen Nutzererfahrung bei. Über diese integrierte Lösung ist es viel schneller und einfacher möglich als kleine oder mittelständische Firma einen eigenen Webshop aufzubauen und zu implementieren. Zudem bietet sich für Firmen die Möglichkeit, das eigene Unternehmen über sogenannte „Official Accounts“ zu präsentieren. Mittlerweile gibt es mehr als zwölf Millionen solcher Accounts, zu denen neben Unternehmen auch Prominente zählen, und es kommen täglich neue hinzu. Marken wie Adidas, Starbucks oder BMW bieten ihren Fans auf Wechat abgesehen von Informationen eine Reihe exklusiver Inhalte wie etwa Rabatt-Aktionen, um die Kundenbindung zu stärken – ideale Voraussetzungen für das Online-Marketing.
Trend 3: Online-to-Offline-Shopping
Die Verzahnung des Online- und des Offline-Geschäfts (O2O) ist einer der weiteren E-Commerce-Trends, die sich in China etabliert haben. Bei diesem Trend wird dem Kunden mittels Rabattaktionen etwa über Wechat, Tmall Stores oder über die firmeneigene App, Bonusprogramme und der Möglichkeit, mit mobilen Zahlungsweisen wie Wechat Pay und Alipay offline bezahlen zu können, ein integriertes Shoppingerlebnis geboten. Abgesehen von der lokalen, kompetenten Beratung im Ladengeschäft kann er weiterhin über verschiedene Onlinekanäle – etwa Official Accounts – direkt Online-Auskünfte sekundenschnell einholen oder sich mit anderen Kunden austauschen. Diese Verzahnung wird technisch vor allem über die Generierung von QR-Codes auf dem Smartphone realisiert, die sowohl sofortige Rabattierung als auch passgenaue Informationsanzeigen ermöglichen. Für überregional agierende Marken ist es dabei wichtig, die gesamte E-Commerce-Präsenz inhouse zu entwickeln und sie nicht Dritten wie Distributoren oder Agenturen zu überlassen, um die Kontrolle über die Markenpräsenz zu wahren.
Fazit: China ist globaler Antreiber von E-Commerce-Innovationen
China ist längst nicht mehr nur ein Abbild westlicher technischer Innovationen, die in gigantische Umsatzdimensionen aufgeblasen oder nur marginal aufgebessert werden, sondern ein wesentlicher Treiber für digitale Innovationen. Ein Beispiel: Der chinesische Smartphonehersteller Oneplus hat im Juni 2016 sein neues Flaggschiff Oneplus 3 nicht etwa auf einer Keynote im Silicon Valley, sondern in seiner „Loop Space Station“ in einer VR-Umgebung präsentiert – und verkauft es auch zuerst dort. Somit bildet die E-Commerce-Industrie in China nicht nur globale Shopping-Trends gekonnt nach, sondern setzt weitreichende Akzente für das digitale Einkaufen der Zukunft: Die nächste E-Commerce-Innovation kommt mit großer Wahrscheinlichkeit aus China.