9-Euro-Ticket: Lindners kurzsichtige Politik schadet auch den Autofahrern

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) ist sich einmal mehr treu geblieben – als berechenbarer Autobefürworter, der andere, weniger individuelle, möglicherweise nachhaltigere und effizientere Verkehrsmittel um keinen Preis attraktiver machen will.
Das Neun-Euro-Ticket sei nicht fair, denn es sei ungerecht, wenn nicht alle von den Segnungen eines günstigeren Nahverkehrs gleichermaßen profitieren können – und eine Anschlussfinanzierung eines (ohnehin deutlich teureren) Angebotes mit ihm nicht machbar. Er stelle daher keinen einzigen Euro für sowas zur Verfügung, da das ja irgendwo anders eingespart werden müsste.
Wäre der Finanzminister bei anderen Verkehrsformen und -industrien nur mal ähnlich sparsam, mag man da entgegnen. Denn im Gegensatz zu seiner Großzügigkeit gegenüber den Mineralölkonzernen hätte die Bundesregierung (und die für Verkehr zuständigen Länder) beim Ausbau des ÖPNV wenigstens die Finger darauf, dass das Geld nicht versickert und lediglich die Bilanzen schönt.
ÖPNV muss nicht billiger werden, sondern auch attraktiver
Nun ist aber auch tatsächlich die Preisschraube nur eine von vielen mehr oder weniger sinnvollen Anreizen, wenn es um die Orchestrierung der Verkehrsmittel und um einen attraktiveren Nahverkehr geht. Es ginge hier um den Ausbau der Services, um die Modernisierung von Schienennetzen und Fahrzeugparks und darum, dass der seit Jahren vernachlässigte Nahverkehr mal die Chance hat, wieder attraktiv für breite Teile der Bevölkerung zu werden.
Die letzten Wochen haben nämlich gerade bei der Bahn gezeigt, wie Spitz auf Knopf der gesamte Betrieb genäht ist: ein ausfallender Zug und die Anschlussfahrten sind gleich auch Makulatur, ein liegen gebliebenes Fahrzeug und der Fahrer fällt gleich für weitere Fahrten aus, weil er nicht am Abfahrtsbahnhof ankommt.
Denn tatsächlich hat der wohl größte Feldversuch der deutschen Verkehrswelt gezeigt, dass viele Deutsche das günstige Ticket genutzt haben, die ansonsten kaum einen Fuß in Bus oder Bahn gesetzt haben. Gut 30 Millionen Tickets sollen bundesweit bisher verkauft worden sein – und sehr viele werden wohl beim regulären Ticketpreis abwinken und wieder das Auto nutzen.
Doch auch wenn viele aufgrund der Lage von Wohnung und Arbeitsplatz nicht sinnvoll das tägliche Pendeln mit Bus und Bahn erledigen können, hat das Neun-Euro-Ticket auch gezeigt, dass es ausreicht, wenn ein Teil der Fahrten, etwa am Wochenende, mit den Öffentlichen erfolgt. Auch das hat Auswirkungen aufs Klima. Die meisten sind nämlich nicht nur Auto- oder Bahnfahrer – und der Minister täte gut daran, von dieser Schwarz-Weiß-Malerei abzurücken.
Billiger ÖPNV ist kein Almosen der Regierung
Günstiger Nahverkehr ist kein Almosen für die Nicht-Porsche-Fahrer, es ist eine schlichte Notwendigkeit eines entwickelten Industrielandes. Denn wer aktuell morgens im Stau steht, profitiert mittelbar auch davon, wenn andere ihr Auto stehen lassen können und nach München, Hamburg oder Berlin öffentlich einpendeln.
Zudem mag man Lindner zurufen, dass es genauso unfair ist, dass viele in der Stadt Lebenden seit Jahren kein Auto nutzen und dennoch seine großzügigen Privilegien rund um Dienstwagen und die gesamte Automobilindustrie mittragen müssen. Man kann daher nur hoffen, dass es den Grünen gelingt, ihr 29/49-Euro-Ticket durchzubekommen, das dann allerdings auch nicht billig wird.
Denn wenn wir uns darauf einlassen, ein einfaches, transparentes System einzuführen, das auch Menschen ohne Promotion in Fahrplanliteratur und Wahrscheinlichkeitsrechnung das Bahnfahren ermöglicht, dann werden das auch mehr Leute nutzen. Eine landesweite ÖPNV-Nutzung wird dann auch dafür sorgen, dass mehr Menschen einfach mal das Monatsticket kaufen und das Auto sporadisch stehen lassen, wenn es sich anbietet – und das dürfte dann auch im Interesse der Verkehrspolitik sein, da die ohnehin überlasteten Autobahnen nicht nur zu Pendlerzeiten profitieren.
Ich dachte immer, dass der Bundeswirtschaftsminister der Habeck wäre und nicht der Lindner!
Nach aktueller Studienlage scheint es ja nicht so zu sein, dass die Leute vom Auto auf den ÖPNV umgestiegen sind, sondern dass man die billigen Tickets wohl eher als zusätzliche Möglichkeit entdeckt hat mal einen schönen Ausflug zu machen. https://www.n-tv.de/politik/9-Euro-Ticket-entlastet-Strassenverkehr-kaum-article23512470.html
Unter anderem: „Rund ein Viertel der im ÖPNV angetretenen Fahrten wären ohne das Ticket gar nicht erst gemacht worden, ermittelte der VDV. Es handelt sich also um zusätzliche Reisen und nicht um Ersatzfahrten,… “
Natürlich braucht es umfangreiche Studien um den Effekt zu messen, aber auch ich habe das Ticket nur zu touristischen Zwecken genutzt und mich über die Preisersparnis gegenüber dem Normalpreis gefreut. Bei uns im ländlichen Raum ist es halt leider realitätsfremd, mit ÖPNV zu pendeln. Da bräuchte es dann erst einmal Investitionen in bessere Verbindungen und Anbindungen. Investitionen, die man statt dem 9-Euro-Ticket tätigen sollte.
Und wer in der Stadt lebt, braucht zwar kein Auto zahlt aber höhere Mieten – die „absolute Gerechtigkeit“ wird wohl immer eine Illusion bleiben.
„Bei uns im ländlichen Raum ist es halt leider realitätsfremd, mit ÖPNV zu pendeln. Da bräuchte es dann erst einmal Investitionen in bessere Verbindungen und Anbindungen. Investitionen, die man statt dem 9-Euro-Ticket tätigen sollte.“ Ist totaler Quatsch. Ich bin 31. Begeisterter Bahnfahrer seit der Schulzeit, ohne Fhrerschein, ohne Auto. Mein Zug auf dem tiefsten Bayernland fährt stündlich, also ausreichend. Ich fände es gut, nachdem der Autofahrer mehrfach Prämien und Vergünstigungen über Jahrzehnte hinweg erhalten hat, wenn auch der ÖPNV-Pendler, der ebenso die Autofahrer mitfinanziert hat, vor allem über Scheuers PKW-Maut *Hust*, vergünstigungen bekommt. Das wäre einfach nur Fair. Denn unser eins bekommt nur die Pendlerpauschale, die ein Auofahrer auch bekommt, der vermutlich weinen würde wie ungerecht es wäre wenn er sie nicht bekommen würde.
„Zudem mag man Lindner zurufen, dass es genauso unfair ist, dass viele in der Stadt Lebenden seit Jahren kein Auto nutzen und dennoch seine großzügigen Privilegien rund um Dienstwagen und die gesamte Automobilindustrie mittragen müssen.“
Privilegien? Steuerrecht nicht verstanden, wa?