About You wird zum Systemanbieter: Was vom neuen E-Commerce-System zu erwarten ist
About You kündigte kürzlich ein eigenes Cloud-Produkt für Online-Händler an und verlässt damit seine Rolle als Händler und erschließt sich als Provider und Systemhersteller neue Erlösströme. Laut CTO Sebastian Betz ein Schritt, der schon von Anfang an geplant war. Backbone, wie das erste aus einer Reihe von Cloud-Produkten heißt, liefert den Motor für ein E-Commerce-Hochleistungssystem. Der Name ist dabei Programm: Backbone liefert eine API-Lösung, die sich um das unsichtbare Rückgrat eines Onlineshops kümmert. Produkt- und Katalogdatenverwaltung, Bestell- und Bestandsverwaltung, Lager- und Logistikverwaltung. Die sichtbare Oberfläche des Onlineshops, das Frontend, ist dabei nicht Aufgabe der About-You-Cloud, sondern wird separat realisiert, mit einem bestehenden Shopsystem oder einem Framework wie Spryker, Onager oder ähnlichen Produkten. Was kann das System und wie sehen die Marktchancen für die About-You-Cloud aus?
Womit die About-You-Cloud punkten will
- API-basierende E-Commerce-Lösung
- Ausrichtung auf die Umsetzung von Plattformstrategien
- performancetechnisch ausgelegt auf Unternehmen mit einen Jahresumsatz von 100 Millionen bis zu einer Milliarde Euro
- eine zentrale Datenbasis für alle Backend-Bereiche
- Architektur der Dienste ist auf beliebige Interfaces vorbereitet, auch Voice; Pushbenachrichtigungen auf allen Plattformen
- Hosting auf Amazon Web Services
- hohe Ausfallsicherheit (deutlich über 99,5 Prozent Verfügbarkeit)
Wie die About-You-Cloud aufgebaut ist
Im Laufe der Zeit hat About You nahezu alle internen Systeme, die ein Online-Händler benötigt, selbst entwickelt. Schritt für Schritt will das Startup alle diese Systeme jetzt in eine Umgebung überführen, die den Betrieb einzelner Instanzen des Systems ermöglicht. Jeder Kunde arbeitet auf einer duplizierten Systemarchitektur, die Datenbanken der Kunden arbeiten eigenständig und getrennt von einander, gehostet wird die About-You-Cloud in Amazons AWS. So soll die versprochene, hohe Ausfallsicherheit erreicht werden. Das erste Produkt ist das kürzlich angekündigte „Backbone“, weitere Produkte zu Themen wie CRM oder Checkout und Payment sollen in Zukunft folgen.
Für die Integration hat About You einen sogenannten „Proof of Concept“, vereinfacht ausgedrückt den „Beweis der Funktionstüchtigkeit“, für Systeme wie Spryker, Onager oder mit einer API-Integration per Plugin für Shopware oder Magento erbracht.
Mit der Backbone-API können Händler dann mit der Frontend-Technologie ihrer Wahl eigenständig Funktionen aus der About-You-Cloud entwickeln und nutzen. Dazu kann laut Anbieter schon ein kleines Entwicklerteam ausreichen. About You liefert ein Staging-, Deployment- und ein Productionsystem. Neue Features sollen automatisch für alle Kunden ausgerollt und können dann nach Absprache mit dem Systemnutzer auf die unterschiedlichen Systeme ausgespielt werden.
Marktchancen für About You
Der Schritt unter die Systemhersteller war grundsätzlich zu erwarten, vor allem, wenn man die besondere Situation der Otto-Tochter berücksichtigt. About You erfüllt eine Nebenfunktion als eine Art E-Commerce-Labor für die Otto-Gruppe. Dass dazu irgendwann nicht nur die Lieferung von Know-how, sondern auch von Systeminfrastruktur gehören könnte, war abzusehen. Den Konzerngesellschaften wird sicher nicht vorgeschrieben werden, die About-You-Cloud zu nutzen, aber über kurz oder lang dürfte die unter den Hochlastbedingungen des Fashion-Startups erprobte Cloud auch anderswo zum Einsatz kommen. Und wenn die Architektur schon auf eine Mehr-Instanzenfähige Systemumgebung portiert wird, ist der Schritt zum offenen Systemanbieter am Markt nicht mehr weit. Nicht nur ein sinnvoller, sondern potenziell auch lohnenswerter Schritt, kann sich das Startup so doch neue Erlösströme erschaffen. Im Prinzip ein Paradebeispiel für eine gelungene Plattformstrategie.
Allerdings bewegt sich About You hier in einen hart umkämpften Markt, es gibt nur eine niedrige dreistellige Zahl an Onlineshops, die als Zielgruppe in Frage kommen. Die Top-100-Onlineshops in Deutschland enden bei Sheego mit einem vermuteten Jahresumsatz von rund 55 Millionen Euro – nur die ersten 64 Onlineshops auf der Top-Liste erreichen die 100 Millionen Umsatz der vom Startup angepeilten Zielgruppe. Sicher, Mitgründer und CTO Sebastian Betz hat im Gespräch mit t3n bekräftigt, dass auch Startups oder Online-Händler unterhalb der 100-Millionen-Grenze infrage kommen – und gerne betreut werden. Verständlich, schließlich können ambitionierte Online-Händler ja unter Umständen auch hohe Wachstumsraten hinlegen. About You geht es bei dieser Umsatzgrenze wohl eher darum festzustellen, ob ein Startup überhaupt schon Bedarf für eine derart hochperformante Infrastruktur hat.
Und in diesem begrenzten Markt sind Systemanbieter aus den unterschiedlichsten Systemkategorien unterwegs, die alle ein Stück vom Kuchen wollen. Von ebenfalls API-basierenden E-Commerce-Systemen wie Commercetools über SaaS-Dienste wie die Salesforce Commercecloud (Ex-Demandware) oder Websale bis hin zu Frameworks wie Spryker, Hybris oder Shopsoftware wie Magento oder Shopware.
Machen Händler das bessere Shopsystem?
Ein Vorteil im Wettbewerb für About You dürfte die Interoperabilität sein, die sich durch die Architektur des Systems ergibt. Da es sich um Dienste und nicht um ein einzelnes monolithisches System handelt, kann die About-You-Cloud auch adaptiv und ergänzend zu bestehenden System eingesetzt werden. Auch wenn das nicht das erklärte Ziel des Startups ist, liegt der Schluss auf der Hand: Mit der About-You-Cloud können bestehende Investitionen in Bestandssysteme gegenüber dem Finanzvorstand erstmal gesichert und alte, weniger performante Systeme Schritt für Schritt aus der Infrastruktur eines Händlers herausgelöst werden.
About You hebt einen USP besonders hervor, der tatsächlich interessant ist: Das System ist, durch intrinsische Motivation angetrieben, direkt im Betrieb eines Online-Händlers durch einen Online-Händler entstanden. Das dürfte eine extreme Praxisnähe und Betriebstauglichkeit für ein frisch am Markt verfügbares System bedeuteten. Das Startup wird also nicht gegen die üblichen Bedenken, in unerprobte Software zu investieren, kämpfen müssen. Mindestens nicht bei den Entscheidern aus der Fashionbranche.
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Ein Fehler hat sich eingeschlichen: das andere API basierte System heißt Commercetools, nicht Commercecloud (das ist die alte Demandware).
Wir von Frontastic als Frontend-as-a-Service (und damit dem passenden ‚Gegenstück’) freuen uns über die aktuellen Entwicklungen weg vom Monolithen, von denen dann auch andere ambitionierte Player profitieren können, die kein 50-köpfiges Dev-Team aufbauen wollen und können!
Hallo Thomas,
ja, das war ein dummer Tippfehler. Gemeint ist natürlich Commercetools. Ich habe das mal korrigiert.
Viele Grüße
Jochen