Amazon als Arbeitgeber: Kununu-Zahlen zeigen überraschendes Bild – wir rechnen nach

Amazon. (Bild: pixinoo/Shutterstock)
„So arbeitet es sich wirklich bei Amazon“ titelt heute die FAZ und hat eine als exklusiv gekennzeichnete Auswertung von Zahlen des Arbeitgeberbewertungsportals Kununu am Start. Die als Studie bezeichnete Auswertung beziehe sich, so die FAZ, auf Angestellte am Stammsitz in Seattle, die „zumindest seit einiger Zeit zufriedener als erwartet“ seien. Insgesamt wurden für die Untersuchung 1.045 Mitarbeiter-Rezensionen von Angestellten am Stammsitz in Seattle ausgewertet.
Warum die FAZ hier nur die US-Zahlen heranzieht und nicht Zahlen für die deutschen Amazon-Standorte auswertet (was wir hiermit tun wollen), ist unklar. Laut der Kununu-Auswertung für Amazon in Seattle würden 58 Prozent der Mitarbeiter, die in den letzten zwei Jahren eine Bewertung abgegeben haben, ihren Arbeitgeber weiterempfehlen, bei den Bewertungen in den letzten sechs Monaten seien es sogar 72 Prozent Weiterempfehlungsquote.
Auch wenn es auf Deutschland bezogen aktuell immerhin 65 Prozent sind, ist das für einen Vorzeigearbeitgeber, der in der Digitalwirtschaft eine der fünf Top-Adressen ist, ein eher schwierig zu kommunizierendes Ergebnis. Ein paar spontane Stichproben bringen bei vergleichbaren Unternehmen Weiterempfehlungsraten von 93 Prozent (Salesforce), 97 Prozent (Google) oder immerhin 79 Prozent (Adobe).
Amazon laut Kununu: Guter Kollegenzusammenhalt, mäßige Work-Life-Balance
Also alles in Butter bei Amazon? Aktuell finden sich 1.284 Bewertungen zu Amazon USA auf dem Portal. Die decken sich übrigens in vielen Bewertungspunkten ungefähr mit den Werten der immerhin 1.083 Bewertungen für Amazon Deutschland – weshalb wir an dieser Stelle mal die hierzulande eher relevanten deutschen Bewertungen anschauen wollen: Der durchschnittliche Kununu-Score der Mitarbeiter liegt (aktuell!) an den 17 deutschen Amazon-Standorten bei 3,41 (von 5 als Maximalbewertung). Keine der Unterkategorien fällt hier besonders positiv oder negativ auf. Am schlechtesten sieht’s noch mit der Bewertung der Work-Life-Balance aus (3,10), was sich mit den US-Ergebnissen deckt. Besonders gut bewertet werden dagegen Kollegenzusammenhalt sowie Gleichberechtigung und Umgang mit älteren Kollegen (jeweils um die 3,8).
So auffällig gebessert wie in den USA haben sich übrigens bei Amazon Deutschland die Bewertungen nicht, das Bild ist uneinheitlich. Die Bewertungen der letzten zwei Jahre kommen auf einen Mittelwert von 3,53, die im letzten halben Jahr auf 3,45, die in den letzten drei Monaten auf 3,65. Auffallend oft wird auch bei uns in den Bewertungen das Thema Kundenorientierung herausgegriffen, die sehr ausgeprägt sei. Auch dass die Leistungsorientiertheit und die strenge Messung von Leistungsvorgaben im Mittelpunkt stehe, überrascht nicht wirklich.
Was die Kununu-Zahlen aussagen
Anzuzweifeln ist indes die Datengrundlage bei Portalen wie Kununu oder Glassdoor. Denn zum einen gibt es Arbeitgeber, die Mitarbeiter dazu ermuntern, entsprechend zu bewerten („gerne auch mehmals“), zum anderen lässt sich auch gerade bei kleineren Unternehmen bereits mit wenigen Bewertungen der Wert auffällig nach oben oder unten drücken.
Ein Sprecher von Kununu weist solche Manipulationsmöglichkeiten gegenüber der FAZ weit von sich: „Bevor eine Bewertung bei uns online geht, durchläuft sie einen mehrstufigen Kontrollprozess. Eine gezielte Manipulation mit überdurchschnittlich vielen austauschbaren positiven Bewertungen in kurzer Zeit würden wir bemerken und im Zweifel Nachweise der User anfordern.“ Das mag schon sein – kontinuierlich abgegebene Bewertungen aber, in die eine oder andere Richtung geschönt, entgehen einem solchen Portal nachweislich dennoch, gerade weil jeder Arbeitnehmer nur eine Bewertung abgibt, sodass sich eventuelle Clustering-Effekte wie bei sonstigen Kundenbewertungsportalen schwer bis gar nicht nachweisen lassen.
Das heißt nicht, dass der Erkenntnisgewinn, der sich aus solchen Portalen wie Kununu oder Glassdoor ergibt, gering wäre. Im Gegenteil: Wie bei Hotelbewertungen sagen die Kommentare oftmals viel über den Umgang und Geist in Unternehmen aus und auch eine Verschlechterung der Stimmung der Mitarbeiter lässt sich sehr wohl nachvollziehen, wenn man etwas zwischen den Zeilen liest und bei Großunternehmen eine ausreichend große Fallzahl zur Verfügung hat. Aber statistisch belastbare Zahlenvergleiche sind gewagt – zum einen, weil die Stichprobe in den unterschiedlichen Unternehmen selbst zu unterschiedlichen Zeiten eine andere Zusammensetzung aufweisen kann, zum anderen, weil nur eine bestimmte Zielgruppe auf solchen Portalen unterwegs ist.
Ein Büro ist keine Lagerhalle
Auf den Fall Amazon bezogen kommt noch ein anderer Faktor hinzu: Wenn Gewerkschaften, Medien oder Interessenverbände in der Vergangenheit entsprechende Fälle herausgegriffen und kritisiert haben, handelte es sich in der Regel um die unteren Etagen der Karriereleiter: So dürfte der Lagerarbeiter in Bad Hersfeld nicht wirklich mit der Führungskraft in München in Sachen Arbeitsbedingungen vergleichbar sein – auch wenn sicherlich beide strengen Anforderungen und Reglementierungen unterliegen.
Ein kurzer, gar nicht so exklusiver Blick in die Zahlen belegt auch das: Am Stammsitz in München sind die Bewertungen signifikant besser (wenn auch eben wiederum nicht einem klaren Trend unterworfen) als in Bad Hersfeld, Rheinberg oder Winsen an der Luhe. Als Arbeitgeber mit klingendem und bekanntem Namen dürfte es dem Unternehmen allerdings auch aktuell nicht schwer fallen, Bewerber für sich zu begeistern, um die in diesem Jahr alleine 2.000 neuen Stellen in Deutschland zu besetzen.
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Dass viele Arbeitgeber die Kununu-Bewertungen beeinflussen ist wirklich ein alter Hut – habe das schon in mehreren Firmen mitbekommen.
Außerdem glaube ich nicht, dass viele der gebeutelten Leiharbeiter in den Amazon-Lagern auf Kununu noch ihre Bewertung abgeben, froh darüber, überhaupt einen Job zu haben.
Wenn bei Bewertungen nachgeholfen wird, dann meist sehr schlampig. Immer wieder wird an den selben Wochentagen bewertet, es finden sich die gleichen Worte und Satzlängen wie man sie auch in Stellenanzeigen finden würde, es werden keine negativen Punkte angesprochen bzw. wenn doch, direkt wieder relativiert. Und außer Kununu wird keinem anderen Portal Beachtung geschenkt.