Auf den ersten Blick erscheint es unglaublich. Im Zuge der Corona-Pandemie hat kaum ein anderes Handelsgeschäft so stark zugelegt wie das von Amazon. 44 Milliarden Euro Umsatz konnte das Unternehmen im Jahr 2020 im Wirkungskreis seiner Europa-Niederlassung in Luxemburg generieren.
Keine Gewinne, keine (Körperschafts-)Steuern
Gewinne sind dabei den offiziellen Geschäftszahlen zufolge aber nicht entstanden. Stattdessen weist Amazon Europa für das Jahr 2020 einen operativen Verlust von 1,2 Milliarden Euro aus. Da ist es klar, dass das Unternehmen keine Steuern zahlen muss, denn Steuern werden nicht auf Umsätze, sondern auf Gewinne erhoben. Dabei handelt es sich um die sogenannte Körperschaftssteuer, die gedanklich in etwa mit der Einkommenssteuer im Privaten zu vergleichen ist. So entstandene Verluste können Unternehmen sich steuerlich „vortragen“ lassen. Das bedeutet, dass Gewinne in der Zukunft zunächst gegen den vorgetragenen Verlust gerechnet werden. Erst wenn der verbraucht ist, würde Körperschaftssteuer fällig.
Hohe Verlustvorträge verschaffen komfortables Polster
Was das betrifft, kann sich die europäische Amazon-Zentrale noch eine Weile entspannen. Wie der Guardian berichtet, hat der E-Commerce-Riese bereits einen Verlustvortrag von 2,7 Milliarden Euro aufgebaut, der sich bislang Jahr für Jahr erhöht. Konkret bedeutet das, Amazon könnte sogar einen Gewinn von 2,7 Milliarden Euro ausweisen und würde immer noch keine Steuern in Europa zahlen.
Erst im Folgejahr würden die Steuerbehörden sogenannte Vorauszahlungen festsetzen. Dabei handelt es sich um unterjährige Zahlungen auf eine zu erwartende Steuerschuld, die dann erst mit dem Jahresergebnis konkret bestimmt werden kann. Aus dieser Unbill, die Jahr für Jahr kleine und mittelständische Unternehmen beutelt, ist Amazon mit seinem komfortablen Verlustvortragspolster raus.
Dabei gibt es zunächst nicht einmal etwas am Faktischen zu kritisieren. Natürlich werden Steuern auf Gewinne nur fällig, wenn diese Gewinne auch anfallen. Und in diesem Kontext hat auch das Prinzip des Verlustvortrags seinen Sinn. Schließlich wäre es grob ungerecht, würde man ein Unternehmen, das in einem Jahr eine Million Verlust und im Folgejahr eine Million Gewinn macht, steuerlich so behandeln, als hätte es nur den Gewinn, nicht aber den Verlust gegeben.
Kritik entzündet sich an der Frage der Entstehung der Verlustvorträge
Das Problem mit Amazon – aber auch mit Apple, Google und anderen Großkonzernen – liegt an anderer Stelle. Fraglich ist hier nämlich, wie diese Verluste zustande kommen. Amazon beruft sich darauf, jede Steuer, die in Europa fällig würde, auch tatsächlich zu bezahlen. Das ist sicher wahr. Gleichzeitig tut das Unternehmen sein Möglichstes, um ebendiese Fälligkeiten zu vermeiden.
Ein bekannter Trick besteht etwa darin, dass die Konzernzentrale seinen Dependancen hohe interne Kosten in Rechnung stellt. Dabei kann es sich um Verwaltungskosten handeln, aber auch die Nutzung von Software-Lizenzen oder Ausstattung, die im Eigentum der Zentrale steht, kann Gewinne schnell abschmelzen lassen – vor allem, wenn die Kosten dafür überhöht angesetzt werden. Da die einzelnen Firmenteile rechtlich selbstständige Unternehmen sind, ist gegen diese Form der Hin- und Her-Verrechnung rechtlich nichts einzuwenden.
Moralisch mag man derlei legale Tricks fragwürdig finden. Hier wäre allerdings zuvorderst der Gesetzgeber gefordert, wollte er etwas an der Praxis ändern. Die Unternehmen wiederum sind ihren Shareholdern verpflichtet und müssen schon unter diesem Aspekt alle Möglichkeiten, deren Investments zu „schützen“, tatsächlich ausschöpfen. Anderenfalls könnten sie sich selbst mit Haftungsforderungen konfrontiert sehen. Hier den Unternehmen den Schwarzen Peter zuzuschieben, ist zwar verständlich, greift aber deutlich zu kurz.
Unternehmensleitungen als moralfrei zu sehen wird den BWLern und Juristen eingebläut. Das macht es nicht richtiger. Verantwortung trägt jeder immer.
Es gibt keine „Verantwortung“ wie du sie beschreibst. Das ist lediglich eine moralingetränkte Schwafellei über Legitimität und sollte Jürgen Habermas überlassen bleiben. Entweder ein Unternehmen handelt legal oder eben nicht.
Blame the Game, not the Player!
Das Problem ist komplexer. Große Firmen haben über ihre Lobbyarbeit Einfluss auf die Gesetzgebung, die hat der kleine Krauter von nebenan nicht. Und die Schlupflöcher (legale Betrugsmöglichkeiten), die sie damit schaffen, können die kleinen Firmen nicht nutzen. Insofern mag das Verhalten von Amazon und Co. gesetzestreu sein, besser oder gar gut wird es dadurch aber nicht.
Das einfachste und effektivste wäre eine Zerschlagung Amazons in seine Einzelbereiche.
Es gibt für global tätige Firmen kein globales steuerliches System. Es geht dabei um so immense Beträge, dass eine Armada von hochbezahlten Beratern der Steuervermeidungsindustrie weltweit Firmen – Systeme erschafft, die sich ein einzelner Staat ( und seine Steuerbeamten ) kaum noch vorstellen kann. Es geht dabei praktisch ausschließlich um Gewinnverlagerung – u. steuerung sowie Steuervermeidung. Und alles ist legal. Dies betrifft übrigens nicht nur die Techgiganten, sondern praktisch auch alle großen Finanz-, Versicherungs-, Dienstleistungs – u. Industrieunternehmen.
Zudem werden seit gut 2 Jahrzehnten die Gewinne extrem privatisiert und die Kosten fast ausschließlich sozialisiert. Auch hier, kaum Gegenwehr der Politik.
Würden alle TOP 500 Unternehmen der Welt ihre Gewinne “ normal “ versteuern, könnte man sich den Geldregen für die Kassen der Staaten kaum vorstellen.
Aber – es müssen alle Unternehmen gleichzeitig global zur Steuerkasse gebeten werden. Sonst drohen gravierende Wettbewerbsverzerrungen und Arbeitsplatzverluste.
I.d.R., wer längerfristig keinen Gewinn erzielt, dem droht die Aberkennung der Gewinnerzielungsabsicht und damit die Streichung bzw. Aberkennung sämtlicher betrieblichen Ausgaben. In diesem Falle würde der Umsatz minus der dann nicht mehr vorhandenen Kosten würde theoretisch einen erhebliche Steuerschuld erzeugen, oder?
VG