Anstatt großer Schraube: Warum Schiffe neue Designs brauchen
Bei Trockenheit kommt die Schifffahrt auf dem Rhein beinahe zum Erliegen. Neue Konzepte sollen Frachter nun tauglicher für Niedrigwasser machen.
Von MIT Technology Review Online
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4 Min.
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Der Rumpf für das neue Niedrigwasserschiff der BASF wurde in Rotterdam gebaut und von einem Spezialschiff transportiert.
(Bild: BASF SE/Mercurius)
Der Rhein gehört zu den wichtigsten Handelsrouten in Europa. Doch in den vergangenen Jahren ist der Verkehr auf dieser Schiffsautobahn des Öfteren unerwartet ins Stocken geraten: In den Dürresommern, vor allem in den Jahren 2018 und 2022, sank der Pegel des Flusses so weit, dass die Schiffe kaum mehr fahren konnten. Der neuralgische Punkt ist die flachste Stelle des Rheins bei Kaub in Rheinland-Pfalz.
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Im Rekordsommer mussten die Schiffsführer mit nur noch 1,20 Metern Wassertiefe zurechtkommen; so wenig, dass das Wasser einem Erwachsenen gerade einmal bis zum Bauch reichen würde. Den meisten Schiffen droht dann Grundberührung, obwohl sie flach gebaut sind. Um das zu vermeiden, muss die Ware auf weitere Schiffe, auf Bahn oder Lastwagen umgeladen werden. Das ist teuer. Ein Lastwagen kann maximal zwei 20-Fuß-Überseecontainer transportieren, ein großes Schiff mehr als 300.
„Wir müssen uns darauf einstellen, dass solche Situationen im Sommer häufiger auftreten“, sagt der Schiffbauingenieur Benjamin Friedhoff vom Duisburger Entwicklungszentrum für Schiffstechnik und Transportsysteme (DST). „Deshalb werden seit einigen Jahren verstärkt Schiffe entwickelt und gebaut, die auch bei Niedrigwasser noch fahren können.“
Zwischen 1971 und 2018 habe es keine großen Dürren gegeben, erzählt Friedhoff. In dieser Zeit seien die Flussschiffe immer größer geworden, was den Transport preisgünstiger machte. Motoren und Schiffsschrauben sind mitgewachsen.
Doch das wird ihnen bei niedrigen Wasserständen zum Verhängnis – nicht nur wegen der möglichen Grundberührung. Wenn Schiffe nur noch wenig beladen sind, kann es passieren, dass der Propeller so weit aus dem Wasser ragt, dass er Luft ansaugt und nur noch wenig Vortrieb erzeugt. Das Schiff ist dann kaum noch steuerbar.
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Bereits vor 20 Jahren wurde am DST eine Technologie entwickelt, die dieses Problem löst: der Flextunnel. Dies ist eine Art Klappe, die sich zusammenfalten lässt und direkt über dem Propeller am Heck befestigt wird. Ragt der Propeller zu weit aus dem Wasser, wird die Klappe ausgefaltet und abgesenkt.
Sie bildet eine Art Tunnel um den Propeller, in den das Wasser hineingesaugt wird. Die Luft bleibt draußen. „Seit 2018 hat das Interesse am Flextunnel stark zugenommen“, sagt Friedhoff. „Inzwischen sind etwa zehn Schiffe damit unterwegs. 25 weitere sind geordert.“
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Neue Designs für Schiffe
Neben dem Flextunnel setzen die Schiffbauer und Transportunternehmen inzwischen auch auf neue Schiffsdesigns. Statt einer großen Schiffsschraube nutzt man künftig zwei oder gar vier mit kleinerem Durchmesser. So ein Antrieb ist zwar kostspieliger und weniger effizient als ein großer. Dafür funktioniert er auch bei Niedrigwasser. Von den Dürresommern war unter anderem auch der Chemiekonzern BASF in Ludwigshafen betroffen, weil Chemikalien aus Rotterdam nicht an- und fertige Produkte nicht abtransportiert werden konnten.
Zusammen mit der auf Chemikalientransport spezialisierten Firma Stolt-Nielsen hat die BASF daher ein eigenes Schiff konzipiert, das im Jahr 2023 in Betrieb gehen sollte. Es ist mit zwei Propellern und Flextunneln ausgestattet. Zudem ist es länger und mit 17,5 Metern breiter als die durchschnittlichen 11,5 Meter breiten Flussschiffe auf dem Rhein. Bei gleicher Beladung hat es dadurch weniger Tiefgang. Es passt zwar nicht mehr durch die Schleusen der meisten Nebenflüsse und Kanäle, aber für die Strecke Rotterdam – Ludwigshafen ist das unerheblich.
Der Flextunnel (hier im heruntergeklappten Zustand) verhindert, dass die Schraube bei zu wenig Tiefgang Luft zieht. (Bild: Leo van Zon)
Schiffe mit Flextunnel
Auch das Logistikunternehmen Rhenus stellt sich auf häufigere Dürren und niedrige Wasserstände ein. Bereits vor sieben Jahren hat es gemeinsam mit dem DST das erste Schiff mit Flextunnel konzipiert, die „Rhenus Duisburg“, die Kohle von Rotterdam flussaufwärts trägt. Derzeit sind zwei weitere Schiffe in Bau. Sie haben nicht nur einen Flextunnel und sind auch leichter gebaut.
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Der Rumpf besteht aus dünnerem Stahlblech und ist nur dort verstärkt, wo die Container aufsitzen. Ihre beiden Propeller werden zudem von insgesamt fünf Lkw-Dieselmotoren und einer Brennstoffzelle angetrieben, die flexibel, je nach Last, zugeschaltet werden. Dadurch können die einzelnen Motoren immer im effizientesten Betriebspunkt arbeiten. Ein einziger großer Dieselmotor hingegen muss gedrosselt werden, wenn das Schiff wenig Leistung benötigt. Das geht auf Kosten der Effizienz. Rhenus verfolgt damit zwei Ziele zugleich: Flachwassereignung und Umweltverträglichkeit.
Die beiden neuen Schiffe sind zudem keine reinen Frachter, sondern Schubschiffe mit stumpfer Schnauze. Sie haben einen eigenen Laderaum, können zusätzlich aber noch große Leichter, Transportkähne ohne eigenen Antrieb, vor sich herschieben. Solche Schubverbände dürfen bis zu 185 Meter lang sein – 50 Meter länger als einzelne Schiffe. Dank der vielen Motoren hat das Schubschiff sogar genug Kraft, um zwei Leichter nebeneinander zu schieben. Damit ließen sich maximal 768 20-Fuß-Container auf einmal transportieren.
„Für uns sind diese Schiffe vor allem auch eine Lernplattform“, sagt Robert Graf-Potthoff, technischer Inspektor bei Rhenus. „Die Abstimmung von fünf Dieselmotoren, einer Brennstoffzelle und einem Batteriespeicher ist vor allem in Sachen Elektronik ziemlich anspruchsvoll. Hier wollen wir mehr Erfahrung sammeln.“
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Weitere Methode: Retrofit von alten Schiffen
Für ihn sind die beiden Schiffe in zweierlei Hinsicht zukunftsfähig: Zum einen können sie Kaub auch bei Niedrigwasser passieren. Zum anderen sind sie deutlich umweltfreundlicher als herkömmliche Flussschiffe, weil die verwendeten Lkw-Motoren mit der Euro-6-Abgasnorm die Reglements für Schiffsantriebe unterbieten. Die Brennstoffzelle wird mit Wasserstoff betrieben. Dieser wird in vier Überseecontainern an Deck gelagert, die sich im Hafen schnell austauschen lassen.
Für Benjamin Friedhoff geht das in die richtige Richtung. Allerdings sei der Neubau von Schiffen nicht alles: „Ein Rheinschiff wird im Durchschnitt rund 50 Jahre genutzt. Insofern sehe ich eine große Zukunft auch im Retrofit alter Schiffe. Das ist ein großes Potenzial, das man für die Zukunft unbedingt im Blick haben muss.“ Im Projekt „Nachhaltige Modernisierung der Binnenschifffahrt“ des Bundesverkehrsministeriums wird genau dies gerade untersucht – etwa, indem man das Heck eines Schiffs komplett entfernt und ersetzt.
Dieser Artikel stammt von dem Journalisten Tim Schröder.
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