Seit iOS 14.3 sind das iPhone 12 Pro und das iPhone 12 Pro Max in der Lage, ein neues Feature namens Pro-Raw für die Fotografie zu verwenden. Ältere iPhones werden voraussichtlich nicht in den Genuss der Technologie kommen und auch das iPhone 12 ohne Pro-Zusatz kann keine Pro-Raw-Aufnahmen machen.
Pro-Raw ist dabei eine Fortentwicklung des bekannten Raw-Formats, das von ambitionierten Fotografen stets bevorzugt wird. Pro-Raw hebt einige der Limitierungen des Originalformats auf. Damit soll es der breiten Masse an Smartphone-Fotografen, die sich für ein iPhone Pro entscheiden, mehr Möglichkeiten bieten.
Pro-Raw kombiniert Raw mit Computational Photography
Im Raw-Format, dessen Dateiendung DNG für „digitales Negativ“ steht, werden die Informationen aus dem Kamerasensor so abgespeichert, wie sie auftreffen. Die Kamera-Software setzt keine eigenen Algorithmen ein, um das Bild in irgendeiner Form zu beeinflussen. Dadurch bleiben solche Aufnahmen maximal bearbeitbar einerseits, müssen aber auch stets bearbeitet werden andererseits. Ihr bekommt die (fast) reinen Rohdaten; daher die Bezeichnung Raw für „roh“.
Pro-Raw kombiniert nun die KI der Kamera-Apps der iPhone-Pro-Reihe mit dem Raw-Format. Damit kann die Kamera-App alle Bearbeitungsschritte des modernen KI-Workflows abarbeiten und am Ende dennoch ein DNG abliefern, das sich maximal bearbeiten lassen soll.
Im Fall des iPhone Pro bedeutet das konkret, dass auch im Pro-Raw-Workflow mehrere Aufnahmen zu einem Bild verarbeitet werden, wobei der Algorithmus die besten Bildteile auswählt. Ebenso werden im Bedarfsfall Techniken aus Apples Computational-Photography-Trickkiste wie Deep Fusion oder Smart-HDR angewendet. Auch die Rauschreduktion und das selektive Nachschärfen übernehmen entsprechende Algorithmen.
Pro-Raw funktioniert in fast allen Kamera-Modi
Technisch beachtlich ist zudem, dass Pro-Raw mit allen Linsen des iPhone Pro, also auch für den Ultraweitwinkel- und den Telezoombereich – sogar mit der Selfie-Kamera und im Nachtmodus – funktioniert. Nicht verwendet werden kann das Feature lediglich im Porträt- und im Panoramamodus.
Bearbeitet wird das Pro-Raw-Format ganz einfach über die Apple-Fotos-App. Spezielle Software wird nicht benötigt, kann aber verwendet werden. In den Metadaten sind auch Depth Maps enthalten, aber noch nicht für die Bearbeitung nutzbar. Vermutlich wird es künftig möglich werden, Tiefenebenen ohne manuelle Maskierung zu selektieren und zu bearbeiten.
Apple verspricht einen Dynamikumfang mit einem Äquivalent zu 14 Blenden.
Original-Raw weitaus eingeschränkter
All das ist beim Original-Raw-Format anders. Aufgenommen werden kann es nur mit der Hauptkamera, bearbeitet werden kann es nur mit entsprechender Software wie Adobe Lightroom und anderen Spezialisten. Algorithmische Anpassungen innerhalb der Kamera finden im Großen und Ganzen nicht statt.
Der deutlich größere Funktionsumfang im Pro-Raw macht sich auch bei der Dateigröße bemerkbar: Während ein Standard-Raw aus einem iPhone Pro typischerweise um zehn Megabyte „wiegt“, ist das Pro-Raw rund doppelt so „schwer“. Es bleibt aber weiterhin ein DNG-File und kann von daher mit allen DNG-fähigen Programmen bearbeitet werden.
Wenn ein Pro-Raw übrigens aus der Fotos-App geteilt werden soll, etwa via Instagram, wird automatisch ein mitgeführtes JPG respektive HEIF verwendet. Beim Standard-Raw würdet ihr lediglich merken, dass es nicht funktioniert. Es gibt im Standard-Raw keine weiteren Formate.
Pro-Raw muss manuell eingeschaltet werden
Das Raw-Format lässt sich mit iPhones schon seit Längerem verwenden und das Antippen des Raw-Icons in der Kamera-App führt entsprechend dazu, dass ihr Rohdaten in den Speicher schreibt.
In den Pro-Versionen des iPhone 12 müsst ihr einen Zusatzschritt machen: Ihr geht über die Einstellungen zur Kamera und dort in die Konfiguration der Formate. Darin aktiviert ihr Pro-Raw. Jetzt ist Pro-Raw aktiv und das Antippen des Raw-Icons in der Kamera-App führt nun zu einer Pro-Raw-Aufnahme.
Solltet ihr wieder auf Standard-Raw umschalten wollen, müsst ihr Pro-Raw in den Kameraeinstellungen deaktivieren.
Nachteile von Pro-Raw
Pro-Raw hat Apple als Ergänzung zum DNG-Format angelegt und mit Adobe abgestimmt. Jeder Softwareentwickler kann damit nun Raw-Tools entwickeln, die auch die speziellen Informationen von Pro-Raw verarbeiten können.
Trotz der vielen Vorteile des neuen Apple-Formats gibt es aber auch Nachteile, die Smartphone-Fotografen kennen sollten. Einige haben wir bereits genannt.
Es beginnt mit der Dateigröße: 20 bis 30 Megabyte sind für ein Pro-Raw-Bild nicht erstaunlich. Damit wird das iPhone, aber auch die iCloud, schnell voll.
Die Verarbeitungsgeschwindigkeit ist eher nicht als rasant zu bezeichnen. Während das Processing eines Raw-Fotos auf dem iPhone ein paar Dutzend Millisekunden dauert, braucht ein Pro-Raw-Shot zwei bis drei Sekunden.
Ben Sandofsky, Entwickler der iPhone-Foto-App Halide, stellte fest, dass schnelle Fotoserien damit nicht möglich sind. Nach dem dritten schnellen Auslösen begann das iPhone zu stottern. Fotoserien im Sport oder mit anderen sehr beweglichen Motiven sind damit nichts für Pro-Raw, könnten aber in Raw abgebildet werden.
Dadurch, dass ein Pro-Raw-Bild stets aus einer Mehrzahl an einzelnen Aufnahmen besteht, ist es tendenziell eher verrauschter und unschärfer als ein One-Shot-Raw. Das ist aber von der konkreten Situation abhängig und immer einen Versuch wert, denn die Apple-Algorithmen sind sehr gut darin, Rauschen zu reduzieren und Schärfe zu verstärken.
Fazit: Pro-Raw erweitert die Möglichkeiten ambitionierter Smartphone-Fotografen
Im Ergebnis bringt Pro-Raw deutlich mehr Möglichkeiten in das Nachbearbeiten von Fotos aus Apples Flaggschiff-Smartphones. Während Apple für die Erstellung der JPEG/HEIC-Files schon im Vorfeld des Speicherns viele destruktiv arbeitende Algorithmen einsetzt und damit für die Nachbearbeitung nur noch den reduzierten Datenumfang zur Verfügung stellt, lässt Pro-Raw trotz des Einsatzes von KI-Algorithmen breite Möglichkeiten zur Nachbearbeitung bestehen.
Halide-Entwickler Sandofsky sieht Pro-Raw besonders im Umfeld von Einsteigern in die professionelle Fotografie. Durch sinnvolle Standardeinstellungen erhalten sie direkt brauchbare Fotos und können sich sozusagen langsam in die Tiefen der Raw-Bearbeitung vorarbeiten. Für manche Einsatzzwecke könnte sich mit den Möglichkeiten von Pro-Raw sogar das professionelle Kamera-Equipment erübrigen.
Der Feierabend-Knipser wird sich eher nicht dafür interessieren – könnte es aber. Pro-Raw macht den Einstieg leicht, wenn man denn einsteigen will.