Arbeitszeit ist Leistungszeit? Ein riesiges Missverständnis!
Mark ist eben fertig mit seiner Aufgabe für heute. Kurz bevor er den Rechner runterfährt, registriert er, dass um ihn herum noch die halbe Mannschaft am Schreibtisch sitzt. Mist. Jetzt kann er unmöglich gehen. Wie sieht das denn aus?
Und so geht er die Präsentation noch einmal durch für das Meeting übermorgen. Und dann startet er doch noch mit dem Angebot, das er sich eigentlich morgen früh vornehmen wollte. Dabei ist er für das Jonglieren mit Zahlen jetzt schon viel zu müde… Obwohl Mark noch bleibt, bleibt die Leistung auf der Strecke. Und was, wenn alle anderen bleiben, weil Mark noch da ist?
Arbeitszeit: Sind Leistungsträger die, die besonders lange tragen?
Das Erfassen der Arbeitszeit hat eine lange Tradition und geht aufs Industrialisierungszeitalter zurück. Der Deal für den Tag: Du gibst für acht Stunden Hirn und persönliche Freiheit ab und stellst deine manuelle Arbeitskraft zur Verfügung – in der Regel für repetitive manuelle Tätigkeiten. Und für den Rest der Zeit darfst du deine wohl verdiente Freizeit genießen. Und wenn du früher gehst, dann fehlt der Firma schlicht ein Handschlag. Also heißt es: Bleiben bis zum Gong. Arbeitszeit und Leistungszeit waren absolut identisch. Und heute?

Arbeitszeit absitzen: Wer länger bleibt, bringt noch lange nicht mehr Leistung. (Foto: Shutterstock)
Auch heute wird in den meisten Unternehmen noch gestempelt oder zumindest die Anwesenheit in irgendeiner Form erfasst. Und über diese Erfassung werden Überstundenkonten gefüllt, Bezahlungen geregelt und die Arbeitsleistung beurteilt. Wer bleibt, gewinnt. Und irgendwie haben auch die außertariflichen Mitarbeiter, die nicht stempeln müssen, dieses Leistungs-Konzept im Kopf: Wer lange im Büro ist, hat mehr geleistet.
Ich erinnere mich noch gut, wie ich damals zu Agenturzeiten stets darauf geachtet habe, nicht zu früh zu gehen. Zumindest nie als erste. Das war für mich manchmal echt eine Tortur. Einfach, weil ich es schätze, Dinge flott vom Tisch zu kriegen. Aber nun, lange zu bleiben war ein Zeichen dafür, dass du wichtige Dinge zu tun hast und vermutlich Kunden mit Riesen-Etats betreust. Gut fürs Image. Was für ein Theater.
Äpfel und Birnen
Die Grundidee hinter diesem Drehbuch ist, dass Arbeitszeit nach wie vor gleich Arbeitsleistung ist. Jede Arbeitszeiterfassung, die in irgendeiner Weise an Entlohnung, an Leistung oder auch an Urlaub geknüpft ist, sagt implizit: „Jede Stunde, die du mehr arbeitest, leistet du auch im gleichen Verhältnis mehr.“ Falsch. Jeder, der schon mal im berüchtigten „Suppenloch“ eine brisante Kundenmail aufsetzen wollte, weiß, dass die Leistungskurve sich einen Teufel um so etwas wie Anwesenheit im Büro schert.
Anyway… Das Drehbuch steht und die Schauspieler begeben sich auf Position. Zuhause arbeiten, um etwas Wichtiges zu schaffen? Machst du vielleicht noch am Anfang, wenn du hochmotiviert ins Arbeitsleben einsteigst. Aber mit jedem Arbeitsjahr, mit jedem neuen Stempelkissen schwindet die Einsatzbereitschaft. Irgendwann sagst du dir: „Warum soll ich jetzt noch zuhause was tun? Das wird ja nirgends erfasst, bringt mir also nichts.“ Und noch etwas: Alle Schauspieler sind auch exakt dann auf der Bühne, wenn der Regisseur das sagt. Nicht etwa dann, wenn der- oder diejenige besonders produktiv ist. Du bist ein Nachtarbeiter? Pech. Kernarbeitszeit ist von 9 bis 17 Uhr. Nicht die eigene Leistungsfähigkeit, sondern die soziale Norm ist das Maß der Dinge. Wenn frühes Anfangen angesagt ist, dann tut man das. Wenn Lange-Bleiben angesagt ist, dann tut man das eben auch.