Wolfsburg gepimpt: So stellt sich Volkswagen die Stadt der Zukunft vor

Volkswagens Stadt der Zukunft braucht dringend ein Software-Update. Ob man das nicht gleich mal aufspielen könnte, fragt einer der Mitarbeiter der neu installierten Miniatur-City den anderen. Die Mehrzahl der Fahrzeuge stünde schließlich gerade nur sinnlos herum. Man kennt das – aus der Stadt der Gegenwart.
Stören können solch kleine Schönheitsfehler die zur Ausstellungseröffnung geladenen Journalisten aus aller Welt nicht, einfach weil die Vision der Wolfsburger selbst unter mobiler Volllast auf berührende Weise autofrei ist. Das Gesamtbild der Future-City dominiert folgerichtig keine Blechlawine, sondern vielmehr ein sattes Grün neben, auf und an Häusern verpflanzt, und bestens geeignet als Komplementärfarbe zum schlichten Beige der Immobilien.

Vision in Grün: VW-Modell der Stadt der Zukunft in der Autostadt (Bild: Ekki Kern)
Das Beste: Einen Verkehrsunfall habe es dank der intelligenten, autonomen Plastik-Fahrzeugflotte auch noch nicht gegeben. Das behauptet zumindest Kai Bücker. Um die Glaubwürdigkeit der eigenen Aussage zu untermauern, wird dem t3n.de-Autor kurzerhand erlaubt, in die vollautomatisierte Miniaturwelt manuell einzugreifen und per auf die Fahrbahn gelegter Hand einen autonom seine Bahnen kreisenden VW Sedric zu stoppen.
Und nicht nur der hält souverän einige Millimeter vor dem menschlichen Hindernis, sondern auch der nachfolgende Verkehr in Form eines führerlosen Containers, der – auch das hat VW in Zukunft offenbar gelernt – erst gar nicht in die City hineinfährt, sondern sich brav um sie herum schlängelt. Und das ganz ohne politisch verhängtes innerstädtisches Fahrverbot.
Moias und Sedrics statt Diesel
In einem seiner Heiligtümer, der Autostadt, zeigt der Volkswagen-Konzern bis Ende September also die Ausstellung „Urbane Mobilität der Zukunft“. Nach der erst vor wenigen Jahrzehnten entstandenen Retortenstadt Wolfsburg sieht das Modell im Maßstab 1:87 dankenswerterweise nicht aus, statt Fünfzigerjahre-Architekturromantik zeigen die Modellbauer, die auch für das Miniaturwunderland Hamburg arbeiten, eine gewachsene Stadt mit Reihenhäusern, Altbauten und moderner Architektur, von allem ein bisschen. Herauszufinden, wie wir Menschen in der Zukunft leben, sei eine zentrale Herausforderung für einen Konzern wie Volkswagen, sagt Claudius Colsman aus der Geschäftsführung der Autostadt zur Ausstellungseröffnung.

Eingang zur Volkswagen-Ausstellung in der Autostadt in Wolfsburg (Bild: Ekki Kern)
Besonderen Wert habe man darauf gelegt, dass es sich bei der Miniatur-City um keine Nachbildung einer existierenden Stadt handele, sondern um einen fiktiven Raum, sagt der gelernte Stahl-Stich-Graveur Kai Brenneis im Gespräch mit t3n.de. Das ausgestellte Modell sei folglich ein künstlerisches, mit Liebe zum Detail habe er als Modellbauer am Objekt gewerkelt, und daran gearbeitet, dass die vom VW-Konzern entworfene Vision nicht zu steril gerät, bei aller Sauberkeit der Umgebung.
Sedric als Prototyp der Future Cars
„Die Miniaturstadt ist eine analoges Mittel, Digitales zu vermitteln“
Denn statt verruchter Daimler-Diesel und solchen aus eigener Produktion kurven Moia-Shuttles herum, und eben der von Automessen bekannte Sedric – jenes Vorzeige-Fahrzeug, das es mittlerweile unter anderem als „Nightlife“- und Schulbus-Variante gibt –, der demnächst zumindest die Volkswagen-Version der Mobilität der Zukunft maßgeblich prägen soll.

Die Schulbus-Variante des Sedric, gezeigt in Berlin. (Bild: Ekki Kern)
Ebendie und die Gedankenwelt um sie herum will der Konzern der Bevölkerung seit geraumer Zeit näherbringen. Die Message lautet praktisch unüberhörbar: Wer das Automobil weiterentwickeln will, der muss kurzerhand auch urbanes Leben weiterdenken. „Die Miniaturstadt ist eine analoges Mittel, Digitales zu vermitteln“ – so formuliert es Jan Bücker.
Er habe bei der Konzeption aus sorgsam gelasertem Material und Automodellen aus dem 3D-Drucker an der Schnittstelle zwischen den Handwerkern und dem Auftraggeber, der Volkswagen AG, gesessen, sagt er. Acht Handwerker hätten an dem Modell gearbeitet, in der Ausstellung zeigt ein Making-of-Video im Zeitraffermodus, wie es unter Nutzung modernster Technologie innerhalb weniger Monate entstanden ist.
Erklärtes Ziel: Spirit versprühen
Bei Volkswagen ist man offensichtlich überzeugt, ähnliche Städte wie die hier gezeigte Miniatur-City bereits in nicht allzu ferner Zukunft auch in Originalgröße entstehen lassen zu können. Heißt es zumindest heute, wenn man als Journalist und Berufsbedenkenträger nach der Umsetzbarkeit derartiger Reißbrett-Visionen fragt.
Man müsse einfach einen Spirit versprühen, einen neuen Zeitgeist, lautet die vielleicht wenig überraschende Antwort, überhaupt: dem ganzen Thema Mobilität einen ihm endlich gerecht werdenden philosophischen Überbau verpassen. Während nebenan im Werk mit den hohen Schloten vorerst weiterhin der Diesel vom Band rollt, wird im Museum also mittlerweile an handfesten Visionen gezimmert. Vorerst im Miniaturformat, aber immerhin.
Sich offen für gesellschaftliche Belange zeigen, das will man mit dieser Ausstellung offensichtlich – und nebenbei natürlich auf die eigenen Fahrzeuge verweisen, die bald nicht nur elektrisch, sondern auch autonom unterwegs sein könnten und das Prädikat Zukunft dann tatsächlich verdienen. Ob das automatisch bedeutet, dass die urbanen Räume sich mit all ihren infrastrukturellen und verkehrspolitischen Problemen mit der Autoindustrie mitentwickeln, bleibt natürlich bis auf Weiteres fraglich.
UX-Design für neuen Gestaltungsspielraum
Im Gegensatz zu derartigen Unwägbarkeiten zeichnet sich längst ab, dass bei den Mobilen der Zukunft das Interieur dem Exterieur sukzessive den Rang abläuft. Darauf verweisen viele der Auto-Designer aus den VW-Marken, die heute geladen sind. Mit Akribie beschäftigen sie sich mittlerweile mit dem, was für den Kunden künftig erlebbar sein soll. Das Auto, irgendwann wohl antriebstechnisch wie funktionell ohne erwähnenswerte Schwächen, wird dann zu einer Art zweitem Wohnzimmer. Eben darum kümmert sich das sogenannte UX-Design, es formt die User Experience, das Erlebnis des Nutzers.
Wer das Auto der Zukunft denkt, müsse vom Kunden aus denken – auch das ist längst ein Mantra vieler Fahrzeugentwickler. Mit den drei Future-Centers – einem im Silicon Valley, einem in Peking und einem im ungleich beschaulicheren Potsdam – will Volkswagen demonstrieren, dass man am Thema UX-Design quasi dran ist. Die chinesische Dependance wurde erst im Januar eröffnet, etwas tiefer im Thema ist man schon am Brandenburger Standort.

Das Future-Center-Europe des Volkswagen-Konzerns in Potsdam, feierlich illuminiert (Bild: Ekki Kern)
Future-Center-Europe
Man kann nicht sagen, dass das Gebäude seiner Bezeichnung besondere Ehre macht, eine Steuerkanzlei oder die örtliche Sparkasse könnte ähnlich bauen. Glas eben, und Metall. Und ein paar schicke Sportwagen der Konzernfamilie davor geparkt, aber nur heute, für die Journalisten.
Das Allerheiligste im Inneren des Gebäudes dürfen die zur Feier des Tages sogar fotografieren, betont der Chef freigebig. Peter Wouda ist der Leiter des sogenannten Future-Center-Europe und positioniert sich unter einer überdimensionierten Leuchte, die kühles Licht abgibt und dem ansonsten eher langweilig daherkommenden Raum jene gewisse Aura verleiht, die Volkswagen für das Thema User Experience als angemessen erscheint.

Präsentation des Virtual-Designing-Tools. (Bild: Ekki Kern)
Vorgeführt wird unter anderem ein Virtual-Designing-Tool, mithilfe dessen Mitarbeiter verschiedener VW-Standorte im Team mit virtuellen Handgriffen ein Fahrzeugmodell zusammenbauen können. Ziemlich nach Zukunft sieht das aus, man kann es nicht anders sagen. Dass aus derartigen, mittlerweile dem Status Spielwiese entwachsenen Anwendungen etwas werden kann, darauf verweisen im Hintergrund dezent die Modelle der autonom verkehrenden I.D.-Familie, die unter Beweis stellen sollen, dass der Volkswagen-Konzern mittlerweile durchaus Fortschritte macht in Sachen Mobilität der Zukunft.
Die Chefdesigner erklären die Welt
Und diese Mobilität der Zukunft definiert sich längst nicht mehr nur über die Nutzung von künstlicher Intelligenz, sondern eben auch über Design. Um den geladenen Journalisten zu demonstrieren, dass – E-Mobilität hin oder her – ein Porsche auch in zwanzig Jahren noch wie ein Porsche aussehen wird, und, ja, ein Skoda auch wie ein Skoda, hat man alle Chefdesigner des Konzerns nach Berlin geladen.
In einer schmucklosen gläsernen Halle parlieren sie über ihre Mission und ihre Vision vom Auto der Zukunft. Über allem steht das selbstbewusste Motto „Shaping the future“, auch in Form einer wohl positionierten Leuchtschrift über dem Rednerpodest, das ebenso puristisch daherkommt wie der Rest des Veranstaltungsorts.
Und von dort oben ist Erleuchtendes zu vernehmen. Der Trend, heißt es fast philosophisch, gehe klar vom klassischen Autodesign hin zu einem ganzheitlichen Erlebnis, einer „Holistic Experience“, von der der Kunde sich als Mensch verstanden fühlt. Im Mittelpunkt: Die Zeit, die man im Fahrzeug verbringt. Diese müsse echte Quality-Time werden, ist zu vernehmen. Oder, wie Peter Wouda es vor asiatischen Journalisten und t3n.de ganz Apple-like formuliert: „Jeder Weg muss ein magischer Weg sein.“
Folglich gehe es um nicht weniger als darum, im Automobil der Zukunft „jeden Millimeter zu gestalten“, heißt es von den Star-Designern. Die Digitalisierung und mit ihr die Potenzierung von Möglichkeiten technologischer Umsetzung macht es schließlich möglich. Wouda spricht von „portfolio-basierten Anwendungsfällen“, und meint damit, dass sich neue Fahrzeuggattungen entwickeln werden, etwa ein „Suburban Mobile“ für ganz bestimmte Zwecke des Kunden, oder eben den neu vorgestellten Sedric-Schulbus, den sogar zwölfjährige Cool Kids stylisch finden, wenn man den angebrachten Werbetafeln glaubt.
Die Stunde der Auto-Konzeptkünstler
Möglich wird neues Design natürlich oftmals schlicht dadurch, dass bei den Fahrzeugen der Zukunft etlicher Ballast, namentlich etwa Tank, Pedale oder Lenkrad, überflüssig werden. So ergeben sich für Auto-Konzeptkünstler, Entwickler und Ingenieure neue Spielräume. Und bei Design, da geht es auch um schwer definierbare weil einer besonderen Subjektivität des Betrachters ausgesetzte Eigenschaften wie (Wieder-)Erkennbarkeit der Fahrzeuge.
Marken- und Produktdesign sollen auch in Zukunft dafür sorgen, dass die Verwechslung eines VW-Sedric mit einem Daimler ähnlicher Bauart ausgeschlossen bleibt, versichern die Designer schon von Berufs wegen. Das sei schließlich wichtig für die Marke Volkswagen, heißt es heute. Es gehe darum, „Charakterstärke zu formulieren“. Auch in solchen Formulierungen ist unüberhörbar, dass die Designer von Autos längst wie von Menschen sprechen, die in unserer immer „moderner“ werdenden Gesellschaft immer häufiger bestimmte Normen und Ansprüche erfüllen werden müssen.
Und seien es bei den Mobilen der Zukunft nur die an die Verkaufszahlen. Sie dürften solange es Menschen gibt weiterhin davon abhängen, ob der Kunde sein Auto nicht nur als Packesel und Mittel zum Zweck versteht, sondern es auch mag, eine Art parasoziale Beziehung zu ihm aufbauen kann. „Design kann Teil einer sozialen Bewegung sein.“ Der Satz, den Peter Wouda heute formuliert, klingt zwar etwas nach philosophisch überhöhter Pressemitteilung, trifft aber wohl ganz gut die neue Herangehensweise vieler Designer an ihre Objekte.
Die aktuelle Ausgabe des Autokultur-Magazins Ramp, die in Zusammenarbeit mit Volkswagen entstanden ist, ermöglicht es auch Design-Einsteigern, sich mit dieser Ideenwelt der Branche auseinanderzusetzen. Warum sind gewisse modische Erscheinungen nicht totzukriegen, warum wurde der iPod zum Erfolg? Gutes Design, schreibt Chefredakteur und Creative Director Michael Köckritz im Editorial, mache „in der Kombination mit einer konsequent und ganzheitlich gelebten Design-First-Kultur den Unterschied“ – und werde für ein Unternehmen schließlich zum Wettbewerbsvorteil.
So sieht das wenig überraschend auch Volkswagen. „Design wird eine Schlüsselrolle spielen“, formuliert Michael Mauer heute, der Chefdesigner des Konzerns. Erschwerend kommt hinzu, dass sich unter einem wohlgeformten und funktionellen Fahrzeug auch in Zukunft jeder etwas anderes vorstellen wird. Für die Asiaten etwa seien es oftmals die Details, die den Unterschied machten, sagt Peter Wouda, für andere sei es besonders wichtig, dass das Auto die Privatsphäre schütze und die Familie.
Disclosure: Die Reise unseres Autors wurde von Volkswagen finanziert. Einfluss auf die Berichterstattung hat das nicht.