
Ein abgeschlossenes Hochschulstudium war früher ein Garant für einen guten Job auf Lebenszeit. Einmal den Abschluss gemacht, dann eine Festanstellung bekommen und Stück für Stück die Karriereleiter hochklettern. Arbeitgeber brauchten Angestellten vielleicht noch ein Management-Seminar spendieren, damit sie Führungskompetenz im Umgang dem Team zu erlernen und damit hat er seine Pflicht dann schon getan. Doch so einfach funktioniert es heute nicht mehr. In Zeiten, in denen Globalisierung und Digitalisierung ganze Branchen auf den Kopf stellen, ist das Schlagwort des lebenslangen Lernens nicht mehr nur eine Phrase, sondern für viele Talente zur handfesten Realität geworden. Wer nicht zurückfallen will, muss sein Wissen ständig auf den Prüfstand stellen und weiter ausbauen.
Lebenslanges Lernen: Wie kann das im Arbeitsumfeld aussehen?

Weiterbildung: Lebenslanges Lernen bedeutet auch, mit ständigen Veränderungen umgehen zu können. (Grafik: Shutterstock-hvostik)
Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, dass immer mehr junge Talente das Unternehmen nach zwei bis drei Jahren verlassen, wenn sie das Gefühl haben nichts mehr lernen zu können. Ihnen ist es wichtig, dass sie wachsen. Viel wichtiger sogar, als regelmäßige Gehaltserhöhungen oder zwei zusätzliche Urlaubstage im Jahr. Die Entfaltungsmöglichkeiten spielen für viele Arbeitnehmer heute eine größere Rolle als Statussymbole. Sie wollen ihre Zeit und Energie nachhaltig eingesetzt wissen. Arbeitgeber, die ihre besten Mitarbeiter halten wollen, müssen darauf reagieren und eine Atmosphäre schaffen, die sich aktivierend auf den Menschen auswirkt. Wer das verpasst, wird Talente nicht nur mit der Zeit verlieren, sondern sie im schlimmsten Falle gar nicht erst für das Unternehmen begeistern können.
Der ehrgeizige Bewerber von heute stellt inzwischen nämlich auch Rückfragen in Vorstellungsgesprächen. Damals hieß es noch: „Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?“ Heute bekommen Recruiter nicht nur die Antwort darauf, sondern gleich die Gegenfrage gestellt: „Wie schaffen Sie es, mich dort hinzubringen?“ Wir können insofern von einem Paradigmenwechsel sprechen. Der Sozialphilosoph Frithjof Bergmann, der den New-Work-Begriff etabliert hat, sieht sogar einen wesentlichen Bestandteil der neuen Arbeitswelt darin, dass Arbeitnehmer sich von den Zwängen der Lohnarbeit entsagen und „das tun, was sie wirklich, wirklich wollen.“ Und was sie wollen, geht mit persönlicher Entwicklung und sinnstiftender Arbeit einher.
„Es ist kein Zufall, dass junge Talente das Unternehmen nach zwei bis drei Jahren verlassen.“
Großartige Unternehmen halten an großartigen Menschen fest, indem sie das bieten. Fortbildungsangebote ermöglichen es nicht nur dem einzelnen Angestellten, sondern dem gesamten Team, den neuesten Stand in ihrem Bereich zu folgen und mit aufkommenden Veränderungen weiter Schritt zu halten. Und das zahlt sich auch für den Arbeitgeber auf ganzer Linie aus. Es sollte also Standard in jedem Mitarbeitergespräch sein, den Angestellten zu fragen, worin er sich verbessern will oder ob er von einem Weiterbildungsangebot wisse, das er unbedingt wahrnehmen möchte. Doch da muss noch lange nicht Schluss sein, wie ein spannendes Experiment des Berliner Kondom-Startups Einhorn und dem österreichischen Bierbrauer Ottakringer zeigt.
Die Geschäftsführer Philip Siefer und Matthias Ortner haben im Mai 2017 für einen vorher abgesteckten Zeitraum die Chefsessel getauscht. Der eine hat die Arbeit des anderen in einem Unternehmen übernommen, das nur wenig mit der eigenen Firma zu tun hatte. In Zahlen gemessen hat der CEO-Tausch vor allem eines bedeutet: 180 Jahre Tradition trafen auf zwei Jahre Startup-Welt, 90 Millionen auf eine Million Umsatz und 176 auf 17 Mitarbeiter. Es prasselten feste Strukturen auf flexible Prozesse. Das Tagesgeschäft konnte unterschiedlicher nicht sein. Doch genau darin lag auch die Herausforderung. „Wir erhoffen uns neue Erfahrung und wollen viel dazulernen“, erklärte uns Einhorn-CEO Philip Siefer damals.
Gelernt habe man einiges, hieß es später. Der Bierbrauer erfuhr viel über flexible Arbeitszeitmodelle und flache Hierarchien, der junge Kondom-Unternehmer bekam neue Kooperationswege aufgezeigt. Ein derartiger Austausch ist ein tolles Vehikel, um von einander zu lernen und neue Perspektiven zu erhalten – und zwar nicht nur für CEOs. Auch Angestellte können an solchen Zusammenkünften wachsen. Sie werden fähiger, kompetenter und selbstbewusster in ihrer Arbeit. Unternehmer erhalten dadurch nicht nur einen motivierten Mitarbeiter, sondern fördern auch interne Innovationen. Bei t3n haben wir ein ähnliches Projekt: Hospitanzen in anderen Abteilungen, um jedem Kollegen einen gesamtheitlichen Blick auf die Prozesse zu gewähren.
Weiterbildung muss über den Erhalt eines Zertifikates hinausgehen
Das sind jetzt nur zwei simple Beispiele, die unterstreichen sollen, wie Wissenstransfer im Unternehmensumfeld auch aussehen kann. Die Zukunft liegt wohl in der gezielt forcierten Mischung aus theoretischen Schulungen und praktisch ausgelegtem Erfahrungsaustausch. Formales und nicht-formales Lernen greifen ineinander. Oder anders gesagt: Weiterbildung darf sich nicht mehr nur auf Unterricht im Schulungszentrum und dem Erhalt eines Zertifikates, sondern auch auf das Lernen im Rahmen von echten Aktivitäten im realen Arbeitsumfeld beziehen. Meine These: Wer diesen Benefit heute anbietet, schafft sich einen enormen Vorteil im War for Talents, dem Kampf um die besten Fachkräfte!
Warum nicht mal den Grafiker in die Entwicklung schicken oder den Projektleiter ins Lager – sofern ihn das interessiert und weiterbringt? Warum nicht mal ausloten, ob es Unternehmen gibt, die ähnlich wie Einhorn und Ottakringer, an einem praktisch orientierten Austausch ihrer wissbegierigen Mitarbeiter interessiert sind? Wichtig ist und bleibt natürlich, dass die Erfahrungen daraus auch in neue Konzepte und handfeste Projekte fließen, damit zum einen der Arbeitnehmer sich weiterentwickelt und zum anderen als Arbeitgeber sicherstellt, dass neue Impulse ins Haus wandern.
Übrigens: Aufgeschlossenheit, Teamfähigkeit und Belastbarkeit bleiben wichtig! Auch, wenn sich die Kompetenzen der neuen Arbeitswelt verschieben, sind alte Stichworte nicht per se aus dem Rennen. Lies auch: Diese Kompetenzen solltest du im Arbeitsleben mitbringen!