Zu Besuch bei Buffer: Dem Erfolgsgeheimnis eines der ungewöhnlichsten Startups auf der Spur
Startup-Kultur – Viele Firmen haben gar keine andere Wahl
Traditionelle und starre Firmenpolitik ist in der heutigen Zeit und vor allem in der Internetbranche ein Auslaufmodell. Und überall, gerade in den Medien, werden junge Startups (gerne aus dem Silicon Valley) als Galionsfigur genommen, wenn es darum geht zu zeigen, dass es auch Alternativen zu 40-Stunden-Woche und Großraumbüro gibt.
Viele der besagten Startups haben aber gar keine andere Wahl, als unkonventionelle Geschäftspraktiken zu wählen – in den meisten Fällen mangelt es schlicht und einfach an Geld und Personal, um feste Arbeitszeiten-Regelungen, Arbeitsort oder Dienstreisen in der Gründerphase streng zu reglementieren. Oftmals verschwinden diese vermeintlichen Startup-Eigenschaften aber ganz schnell, wenn ein Unternehmen wächst und erfolgreich ist.
Andere Firmen behalten diesen jungen, unkonventionellen Einschlag aber ganz bewusst bei und sorgen dafür, dass dieser essenzielle Teil ihrer Unternehmenskultur erhalten bleibt. Zu den Vorzeigebeispielen in dieser Kategorie gehört auch Buffer, ein Dienst, der privaten und kommerziellen Nutzern dabei hilft, Inhalte in den größten Sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter, LinkedIn und Google+ zu teilen. Dabei kann Buffer nicht nur zu vorgefertigten Zeitpunkten Inhalte veröffentlichen, sondern auch selbstständig entscheiden, wann ein Beitrag online gehen sollte, um möglichst viel Reichweite und Interaktion zu bekommen. Außerdem ersetzt und verkürzt Buffer alle im Post integrierten URLs, sodass der Nutzer zusätzlich Statistiken darüber erhält, wie oft seine Links angeklickt werden.
Buffer: Kein 0815-Silicon-Valley-Startup
Dass Buffer kein 0815-Silicon-Valley-Startup ist, merkt man schon an der Haustür. Bei einem Jahresumsatz von zuletzt etwa vier Millionen US-Dollar erwartet man eigentlich steriles Hochglanz-Interieur und/oder künstlichen, kalifornischen Coffeehouse-Chique wie im Rest des Silicon Valley. Stattdessen begrüßt Leo Widrich, einer der beiden Gründer, seine Gäste auch gerne mal in Socken und bittet sie in eine große Loft-Wohnung im angesagten Stadtteil SoMa. Abgesehen von einigen Schreibtischen, einem Sofa, einem Meeting-Raum und einem einfachen IKEA-Stockbett ist die alte Wohnung komplett leer.
Mit seinen 23 Jahren wirkt der gebürtige Österreicher Widrich schon wie ein echter Silicon-Valley-Veteran. Die Tatsache, dass ihm auch der ein oder andere deutsche Begriff im Lauf des Interviews nicht sofort einfällt und er deswegen oft englische Wörter verwendet, verstärkt diesen Eindruck noch.
„Buffer ist komplett dezentral. Wir haben 20 Mitarbeiter in 14 Städten in fünf Kontinenten“, erklärt Widrich den Umstand, dass am besagten Werktag nur er und zwei weitere seiner Kollegen überhaupt im Büro sind. Das Loft dient dem Team eher als gelegentlicher Treffpunkt, denn als fester Arbeitsplatz – fast wie ein Coworking-Space. Obwohl einige Mitarbeiter durchaus in San Francisco wohnen, kommen sie deswegen trotzdem nicht regelmäßig ins Büro.
„Du entscheidest dich, an dem Platz auf der Welt zu sein, wo du am glücklichsten und produktivsten bist. Und du hast auch keine Angst davor, diesen Platz erst zu entdecken.“
Erklärung zu Buffer-Grundsatz Nr. 8
Die 10 Gebote von Buffer – Version 0.4
Das ist eine von vielen kleinen Besonderheiten, die Buffer von anderen Startups unterscheidet. Die Grundlage dafür sind Buffers ungewöhnliche Unternehmensgrundlagen. Die finden sich in einer öffentlichen Powerpoint-Präsentation – mit einer Versionsnummer versehen, wie bei einem Software-Projekt. Anfangs waren es acht, dann neun, und inzwischen sind es zehn „Gebote“, die in Version 0.4 das Zwischenmenschliche und Geschäftliche bei Buffer regeln sollen. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass es in Zukunft noch mehr werden, erklärt Widrich.
Alle zehn Regeln beruhen im Grundsatz auf dem Buch „How to Win Friends & Influence People“ von Dale Carnegie – eines der ältesten und erfolgreichsten Selbsthilfe-Bücher im englischen Sprachraum, ein Buch, das einen großen Einfluss auf die Gründer Widrich und seinen Kollegen Joel Gascoigne hatte.
Schwieriger bei Buffer zu arbeiten, als in Harvard zu studieren
Buffers interne Regeln gehen deutlich weiter als die Leitlinien anderer Unternehmen – auch über die Arbeitszeit hinaus. Während solche Leitfäden in traditionellen Unternehmen oft nur eine Alibi-Funktion erfüllen, scheinen sie bei Buffer mehr zu sein, nämlich ein gemeinsamer Konsens unter allen Mitarbeitern. Das ist auch einer der Gründe für das extrem harte Auswahlverfahren unter neuen Bewerbern. Wer sich also mit den Buffer-Regeln nicht arrangieren kann, hat schlechte Karten.
Etwa 2.000 bis 4.000 Menschen bewerben sich monatlich bei Buffer. Die Jobs sind begehrt, denn die Mitarbeiter können ihren Arbeitsort frei wählen, das Basis-Gehalt ist ordentlich und der Mitarbeiter kann mit zwei verschiedene Optionen beim Gehalt noch nachbessern (Sie haben die Wahl zwischen Firmen-Anteilen oder jährlich 10.000 Dollar mehr Gehalt). Nach drei Interview-Runden kriegen am Ende nur etwa zwei bis drei Leute eine Stelle angeboten. Nicht ohne Stolz sagt Widrich: „Manche Bewerber meinen, es sei schwerer, einen Job bei Buffer zu bekommen, als einen Studienplatz in Harvard.“
„Entscheide dich immer für Fröhlichkeit und Positivität.“ Buffer-Grundsatz Nr. 1
Die zehn Richtlinien sollen nicht nur dafür sorgen, dass die Beschäftigten zu besseren Mitarbeitern, sondern auch zu besseren Menschen werden. Widrich kümmert sich um diesen Aspekt indem er sich jeden Tag für einige Minuten zurückzieht, sich auf ein großes Kissen setzt und meditiert. Einmal in der Woche gibt es auch ein Meeting mit dem ganzen Team, in dem die Buffer-Grundsätze und deren Einhaltung besprochen und reflektiert werden.
„Transparenz ist Standard.“ Buffer-Grundsatz Nr. 2
3 Retreats pro Jahr – 1 bis 2 Wochen Arbeit und Urlaub kombiniert
Wenn sich eine Angelegenheit nicht via Skype, Chat oder E-Mail lösen lässt, haben alle Mitarbeiter drei Mal im Jahr die Chance, sich von Angesicht zu Angesicht auszutauschen. Bei diesen drei jährlichen Retreats verreist das gesamte Team jeweils an einen attraktiven Ort, um dort konzentriert für ein bis zwei Wochen zusammenzuarbeiten.
Die Produktivität der Firma ist bei diesen Arbeits-Urlauben am höchsten, sagt Widrich. Verständlich, denn natürlich wird auch der Freizeit-Anteil an diesen Orten gemeinsam und aufregend gestaltet. Zuletzt ging es auf Safari in Kapstadt und durch das Nachtleben von Bangkok.
Gehälter, Geschäftszahlen und Unternehmensanteile sind öffentlich einsehbar
Ganz besonders mit ihrem zweiten Grundsatz, der Transparenz immer zum Standard-Zustand erklärt, unterscheidet sich Buffer von anderen Startups und traditionellen Firmen und sorgt für viel Aufmerksamkeit. Schon im letzten Jahr legte die Firma alle Mitarbeiter-Gehälter offen. Demnach zahlt sich Widrich als Chief Operating Officer momentan etwa 8.800 Euro (vor Steuern) monatlich als Gehalt aus. Einige Monate später veröffentlichte Buffer auch die Verteilung der Unternehmensanteile – Widrich gehören rund 23 Prozent der Firma, Gründer-Kollege Gascoigne hält 46 Prozent. Ein monatlicher Blogpost scheint dem Buffer-Team in Sachen Transparenz aber noch nicht auszureichen: Alle Kennzahlen des Unternehmens inklusive Nutzerzahlen, Umsatz und Kündigungszahlen sind live und öffentlich auf einem Dashboard einsehbar – dort kann sogar jede finanzielle Transaktion anonymisiert nachverfolgt werden.
Diese Maßnahmen sind unter der Bezeichnung „Open Salaries“ beziehungsweise „Open Equity“ bekannt und haben ideologische Wurzeln im Bereich der Open-Source-Software. Innerhalb der Firma kann außerdem jeder Mitarbeiter jede E-Mail und jede Chat-Nachricht lesen, die im Team hin- und hergeschickt wurde – Geheimnisse scheint es zumindest intern nicht zu geben.
Der Erfolg gibt Buffer recht – Inspiration für andere Firmen
Was Buffer mit ihrer radikalen Firmen-Philosophie bewirken, ist beeindruckend: Sie hinterfragen bestehende Statuten in der Geschäftswelt. Ist es in Zeiten des Internets wirklich noch sinnvoll, Gehälter geheimzuhalten und alle Mitarbeiter an einem festen Ort zu beschäftigen. Was passiert, wenn man die Transparenz erhöht, den Mitarbeitern ihren persönlichen Freiraum lässt und die Hierarchien vermindert?
In ihrem eigenen und sehr erfolgreichen Blog geben alle Team-Mitglieder regelmäßig Auskunft über den Ausgang dieses großen Experiments. Garantiert eignen sich diese Maßnahmen nicht als Vorbild für jede Firma in jeder Branche und Größe. Wenn man sich die monatlichen Kennzahlen von Buffer ansieht, scheint der Erfolg ihnen aber Recht zu geben.
Liebes t3n Team,
Werdet ihr davon etwas übernehmen? Regt es euch an, mal die aktuelle Firmenstruktur zu überdenken?
An alle Leser:
Meint ihr, solche Systeme sind in Deutschland gewollt? Gerade das Gehaltsgeheimnis wird hier ja wohl gehütet!
@Frowin: einiges davon praktizieren wir bereits. moritz, der autor des artikels sitzt z.b. in san francisco und ja, gerade die 10 buffer-werte regen uns an, sehr sogar! „powered by happiness“ kann man gut unterschreiben.
auf der anderen seite sind wir ein verlag und kein globales saas-modell wie buffer, zu 100% gebootstrapped bzw. null VC versorgt und bisher rein deutschsprachig. damit also nicht so leicht global verteilt spielbar…
Wo arbeitest du und wie sieht es in deinem Unternehmen aus?
MySQL war auch dezentral soweit ich weiss.
Monty Widenius Lehren aus dem Verkauf und sein neues Firmen-Konzept (mit Beteiligungs-Punkten) sollte man sich auch ansehen.
Debis hat m.W. auch flache Hierarchien.
Es gibt viele Geschäfte wo man nur vermittelt und die Mitarbeiter woanders sind oder sein könnten: Modell-Agenturen, Ebay, Skype, Amazon-Marketplace-Händler, Uber, Taxizentrale, Nahverkehrs-Unternehmen,…
Das Beispiel des Verlages beweist ja klar, das solche Dinge zu Hause oder in Workspaces weltweit erledigt werden können. Autoren oder Reporter berichten von wo sie gerade sind. Die Korrektoren (wenn man welche hat) oder Lektoren können auch sitzen wo sie wollen. Das sind klassische Industrien die früher mit Post kommunizierten und auch nicht alle Autoren wie Näherinnen in einer Fabrikhalle beisammen hatten.
Die sogenannte Lehmschicht möchte sowas aber vermutlich nicht. Davon würden ja vermutlich und hoffentlich Hierarchien und Jobs für BWLer entfallen.
google: Lehmschicht Management
In Diktaturen sind die Ministerien auch oft mit Verwandten und Parteimitgliedern der Diktatoren bzw. Diktatoren-Partei gefüllt und könnten sehr viel schlanker sein.
Bei Game of Thrones, Fußball-Mannschaften usw. sind die Hierarchien viel schlanker. Und Fußball-Teams machen Milliarden-Umsätze ohne 20stufige Hierarchien und vermutlich genau deswegen weil sie schlank organisiert sind.
Wer an Fachkräftemangel glaubt oder ihn verkündet und Subventionen und viele viele Greencards will, glaubt vielleicht auch an die Notwendigkeit von Hierarchien mit vielen BWLern und Vorgesetzten (siehe Stromberg).
Wirklich starke Grundsätze und sehr beeindruckend. Der Gründer wirkt wirklich sehr sympathisch.
Ich arbeite in der Halbleiterforschung (Materialwissenschaften) an meiner Forschung für die Bachelorarbeit und nebenbei noch im Bereich Marketing. Der Kontrast von strukturiertem Forschungsalltag zur kreativen Alleintätigkeit ist schon immens.
Im Labor stößt man schnell mal auf Widerstand, wenn man Dinge in Frage stellt die „an sich laufen“. Man ist stets abhängig von Mitarbeitern und kommt oft nicht von der Stelle. Viele Strukturen bremsen die Forschung und müssten mal gewaltig auf das wesentliche runter gebrochen werden. Gerade in der Universität ist das ganze System unfassbar sperrig.
In meiner selbstständigen Tätigkeit lebe ich genau das Gegenteil aus und stelle viel in Frage.
Die neue Startup-Kultur finde ich klasse, da ich selbst auch festgestellt habe, dass Gutes aus einer inneren Motivation heraus entsteht. Zu schade, dass sich eine lockere Arbeitsumgebung nur in wenigen ortsunabhängigen Branchen umsetzen lässt (wer Ideen hat, wie das in mehr Branchen Anwendung finden kann, gerne raus damit!).
Mein Studium habe ich bereits von den gewöhnlichen Strukturen getrennt, ich besuche keine Vorlesungen mehr und lerne nur noch 6-7 Wochen pro Semester für Klausuren. Die freigewordene Zeit nutze ich für meine Selbstständigkeit.
Manche der 10 Regeln von Buffer halte ich für genial, manche nicht so.
Die erste Regel halte ich beispielsweise für schwer umsetzbar und auch nicht zielführend. Ich denke, man sollte Probleme immer Ansprechen und konstruktive Kritik ausüben um zu verhindern, dass es im Unterbewusstsein unterdrückt wird. Klar, alles Auslegungssache. Die simpelste Lösung ist eben Kommunikation: das ganze im „positive and optimistic way“ zu verpacken halte ich für eine Sollbruchstelle und prädestiniert für Verständnisfehler. Wobei das wieder Auslegungssache ist, was Buffer da konkret meint.
Am besten gefällt mir Regel #10: Gute Produkte schaffen sollte die Grundmotivation jedes Angestellten sein. Vernachlässigte Fehler kehren immer zu einem zurück.
Ich betrachte die Regeln als eine Art Experiment und würde mich freuen, in ein paar Jahren noch einmal von der Firma zu hören.
Den Erfolg der Firma würde ich jetzt nicht unbedingt darauf schieben, sondern eher auf die, wie Steve Jobs sagen würde, „erstklassigen Mitarbeiter“.