Es ist nicht immer leicht zu verstehen, wie andere Menschen uns wahrnehmen. Der ein oder andere fühlt sich unsicher und ist verwirrt, weil ihm nicht bewusst ist, was er gerade projiziert. Dieser Mangel an Selbstbewusstsein kann sich auch auf die eigene Karriere auswirken. Und dann gibt es noch diejenigen, die zu selbstbewusst sind. Und fälschlicherweise glauben, genau zu wissen, was für eine Stellung sie im Team haben. Die Führungskräfte-Trainerin Kristi Hedges kennt das. Im Harvard Business Review spricht sie darüber, wie ein Klient sich beispielsweise für die C-Suite – die oberste Hierarchie-Ebene eines Unternehmens (CEO, CCO et cetera) –bewarb, jedoch nicht befördert wurde, weil das Team ihn als „schwierige Person“ beurteilte.
Die Autorin schreibt, dass ihr Kunde unter dem litt, was Psychologen die „Illusion of Transparency“ nennen. Menschen wie er wissen genau, was sie mit ihren eigenen Worten meinen und erwarten deshalb, dass auch andere das tun. Tatsächlich irrte der Klient jedoch gewaltig. „Er war fassungslos“, schreibt die Autorin etwa. „Er hielt sich für analytisch und gründlich und nahm an, dass alle es verstanden, wenn er deren Feedback nochmal überprüfte, um bessere Antworten zu bekommen.“ Auf die Kollegen wirkte das Verhalten jedoch kleinkariert. Sie glaubten, er würde ihnen nicht vertrauen. Außerdem sei er sich nie darüber bewusst gewesen, dass er, wenn er Informationen verarbeite, dazu tendiere eine Mimik aufzusetzen, die verärgert wirke.
Der Mann hat sich völlig falsch eingeschätzt. Kristi Hedges hat sich dem Thema zuletzt auch in einem Buch beschäftigt und sich darin gefragt, wie dem Problem beizukommen ist. In „The Power of Presence“ beschreibt sie eine Methode, mit deren Hilfe sich Menschen vergegenwärtigen können, wie Arbeitskollegen sie wahrnehmen. Das Prinzip erinnert an das des Peer-Feedbacks, bei dem persönlich ausgewählte Kollegen sich treffen, um dem Feedback-Nehmer eine Rückmeldung zum Leistungsstand und der Persönlichkeit zu geben. Bei beiden Methoden bedarf es nur ein paar konkreter Fragen, die die Teilnehmer beantworten. Hedges schreibt jedoch auch, dass das Prinzip viel Reife des Fragenden voraussetze, da es „psychisch sehr intensiv sein“ könne.
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Die Führungskräfte-Trainerin rät folglich dazu, sich fünf Personen auszuwählen und sie jeweils um Einzelgespräche zu bitten. Es sollten vor allem Kollegen sein, mit denen man ständig im Arbeitsumfeld zu tun habe. Das betreffe Vorgesetzte sowie Team-Mitglieder. Besonders geeignet seien Personen, die im Kollegenkreis eine besondere Stellung genießen und immer genau wissen, wie das Stimmungsbild unter den Mitarbeitern derzeit ist. Zudem schlägt sie vor, die Anfrage so persönlich wie möglich zu formulieren. Das heißt: Gespräche anstatt E-Mails. Das fördere das Vertrauen. Den Kollegen mitzuteilen, dass das Feedback nur für einen selbst bestimmt sei, helfe zudem, eventuell auftretendes Unbehagen zu verringern.
Im Meeting selbst sollten dann zwei Fragen im Vordergrund stehen: 1. „Wie werde ich allgemein wahrgenommen?“ 2. „Was kann ich anders machen, um erfolgreicher im Unternehmen zu sein?“ Abhängig von der Person können die Antworten sowohl erhellend und hilfreich bis hin zu vage und verwirrend sein. Wenn sich eine Person unwohl fühlt, dürfte sie dazu tendieren, eine leistungs- oder projektspezifische Rückmeldungen zu geben. Laut Kristi Hedges sollen Feedback-Nehmer in diesem Fall mit einer Folgefrage reagieren: „Ich weiß dein Feedback sehr zu schätzen. Darf ich jetzt noch eine Stufe höher gehen und nach der allgemeinen persönliche Wahrnehmung mir gegenüber als Kollege/Vorgesetzter fragen?“
„Die Transparenz-Illusion ist eine häufige Falle für Manager auf allen Ebenen.“
In jedem Fall sei wichtig, die persönliche Reaktion genau im Griff zu haben. Vor allem hinsichtlich des Gesichtsausdrucks. Der Versuchung, sich zu rechtfertigen, die Handlungen zu verteidigen oder die eigene Enttäuschung aufzudecken, solle unbedingt widerstanden werden. „Der Interviewpartner wird sehr genau sehen, welche Wirkung das Feedback auf dich hat“, schreibt Kristi Hedges. „Die Qualität der Rückmeldung ist zudem nur so gut wie die eigene Fähigkeit, sich beim Empfang wohl zu fühlen beziehungsweise zurückzunehmen“, erklärt sie weiter. Sollte ein Feedback zu vage sein, ist es völlig in Ordnung, nach Details oder Beispielen zu fragen. Das Gespräch sollte zudem mit einem aufrichtigen Dankeschön beendet werden.
„Warum hat mir das vorher niemand gesagt? Das kann ich leicht ändern!“ Oft seien Kunden nach Abschluss dieser Übung mit diesen Worten auf Kristi Hedges zurückgekommen. So auch der eingangs erwähnte Klient. Nachdem er erkannt hatte, dass sein Verhalten häufig falsch ausgelegt wurde, nahm er sich vor, seine Absichten im Voraus besser zu formulieren. Er passte seinen Stil in Meetings an. Er stellte offene Fragen, um klar zu machen, dass er daran interessiert ist, die Position der anderen Person besser zu verstehen. Und er arbeitete hart daran, seine Körpersprache besser zu kontrollieren. Ein neutraler Gesichtsausdruck, der Offenheit vermittle, sei ihm fortan besonders wichtig, so die Autorin.
„Die Transparenz-Illusion ist eine häufige Falle für Manager auf allen Ebenen“, schreibt Kristi Hedges. „Glücklicherweise ist es möglich, die Lücke zwischen dem, wie Menschen dich wahrnehmen und wie du wahrgenommen werden möchtest, zu schließen.“ Sie plädiert dafür, regelmäßig auf derartige Meetings zurückzugreifen und zuverlässige Informationen zu sammeln, die im Zweifel auch dazu führen, an sich zu arbeiten. Doch auch Berufstätige, die keine Führungsposition ausüben, können mit dieser Methode mehr über sich selbst erfahren. Vor allem wer das Gefühl hat, oft nicht verstanden zu werden oder wer öfter aneckt, kann mit der Methode viel über sich herausfinden.
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