Biblische Comics? Kritzeleien in mittelalterlichem Manuskript gefunden
Erst mit einer speziellen Methode konnten Wissenschaftler:innen nun Kritzeleien in einem mittelalterlichen Manuskript sichtbar machen. Daneben fanden sie Namenseinträge und Strichmännchen. Die Spur einer Frau namens Eadburg führt nach Canterbury.
Fotometrik macht Strichmännchen sichtbar
Das Archiox-Projekt scannt seit Februar die Oberflächen von Druckplatten, Sanskrit-Palmblatt-Manuskripten und aramäischer Siegel der Bodleian-Bibliotheken in Oxford. Dafür setzen die Spezialisten ein fotometrisches Stereosystem namens Selene ein.
Das System zeigt Reliefs durch die Hervorhebung von Glanzlichtern und Schatten, die zuvor nicht sichtbar waren. Das digitale Bildgebungsverfahren ermöglicht es, Kaltnadelradierungen an den Rändern ausfindig zu machen. Das Ziel des Projektes ist es, kulturelles Erbe mithilfe von moderner Technologie zu erhalten.
Manuskripte tragen häufiger Namen
In einem Blogbeitrag der altehrwürdigen Bibliotheken steht, die Bibliothekare fänden häufiger Namenseinträge in alten Manuskripten. Vermutlich kennzeichneten die Verfasser:innen damit ihr Eigentum. Doch in dieser historischen Abschrift der Apostelgeschichte, die wohl aus der ersten Hälfte des achten Jahrhunderts stammt, ist vieles anders.
Das Buch namens MS Selden Supra 30 gehörte anscheinend einer Frau, die ihren Namen Eadburg dort 15-mal in abgekürzter oder ausgeschriebener Form verewigte. Außerdem machte der Scan Kritzeleien von humanoiden Figuren sichtbar.
Mit dem Fingernagel gemalt
Die Figuren wurden zum Teil mit dem Fingernagel in das Papier gedrückt, vermuten die Blog-Autor:innen. Die Linien fallen ausgesprochen dünn aus, zum Teil zwischen 15 und 30 Mikrometer (0,015 und 0,030 Millimeter). Die Figuren sind sehr klein und selbst mithilfe der Stereoskopie kaum erkennbar.
Deutlicher sichtbar ist eine Figur im Hintergrund, die die Arme ausstreckt und nach der vorderen Figur greift, die eine Hand zu halten scheint, um ihnen zu signalisieren, dass sie aufhören soll. Es gibt weitere Szenen an den Rändern des nur 229 mal 176 Millimeter großen Buches. Das ist kleiner als DIN A5.
Auf der Spur einer Äbtissin aus dem achten Jahrhundert
Neben Namen und Zeichnungen finden sich in dem Buch auch Gebete. Aus den Formeln lässt sich herleiten, dass es sich um eine Frau gehandelt haben muss, die das Manuskript verwendet hat. Anhand der Handschriftenanalyse weiß man, dass eine einzelne Frau für die kreativen Einträge verantwortlich ist.
Das Archiox-Team vermutet, es war Eadburg selbst. Die Historiker:innen haben in England zwischen dem siebten und zehnten Jahrhundert neun Frauen dieses Namens identifiziert. Aus Urkunden wissen sie, dass eine eine Äbtissin einer weiblichen Ordensgemeinschaft in Kent war. Ort und Daten stimmen mit der paläografischen Bewertung der Schrift von MS Selden Supra 30 überein. Daher geht man davon aus, dass das Buch aus ihrem Besitz in Canterbury stammt.
Hat Eadburg mit Bonifatius korrespondiert?
Jessica Hodgkinson, Doktorandin an der University of Leicester, vermutet, es könnte sich um die gleichnamige Frau handeln, die mit dem westsächsischen Missionsbischof und Kirchenreformer Bonifatius korrespondierte. Überlieferungen legen einen engen Kontakt zwischen Eadburg und Bonifatius nahe.
So sendete sie ihm Bücher nach Franken. Er gab bei ihr eine luxuriöse Abschrift der Petrusbriefe in Gold in Auftrag. Daher weiß man auch, dass sie Zugang zu Manuskripten hatte und die Mittel besaß, sie herzustellen. So liegt es nahe, dass sie die gesuchte Kritzelkünsterin ist.