Liquiditätsengpässe, Bank-Run und ganz viele Tweets: Der öffentlich ausgetragene Streit zwischen den CEOs der beiden großen Kryptobörsen FTX und Binance in den vergangenen Tagen hat ein vorzeitiges Ende gefunden. Er gipfelte gestern Nachmittag in der Nachricht, dass Binance FTX kaufen möchte.
Damit fängt Binance die Liquiditätsengpässe von FTX auf. Doch wie kam es dazu?
Gerüchte um fehlende Liquidität bei FTX
FTX ist eine Börse für Kryptowerte. Sam Bankman-Fried (SBF) hat die Handelsplattform mit Sitz auf den Bahamas 2019 gegründet. Schnell wurde das Unternehmen sehr erfolgreich, erhielt Milliardenbewertungen und hatte namhafte Investor:innen.
Einer der ersten Investierenden: die Kryptobörse Binance. Sie kaufte sehr früh Anteile an FTX, gab sie dann allerdings wieder ab und erhielt im Gegenzug den FTT-Token. Dieser Token gehört zu FTX und gewährt Kund:innen Preisnachlässe.
Dass Binance FTT-Token im Wert von wahrscheinlich etwa zwei Milliarden US-Dollar über Jahre hielt, wurde im Streit zwischen den beiden Gründern auf Twitter wieder relevant.
Binance-Chef Changpeng Zhao, kurz CZ, twitterte am Sonntag, dass Binance seine FTT-Token verkaufen wolle. Der angebliche Grund dafür: Die Börse wolle sich vor einem weiteren Debakel wie beim Crash des Stablecoins Luna schützen.
Damit bekräftigte CZ die Gerüchte um die Zahlungsunfähigkeit von FTX. Es könnte der Todesstoß für die Kryptobörse gewesen sein. Denn was danach geschah: Der bereits schwächelnde FTT-Token, der für die Kryptobörse, aber auch für die Schwesterfirma Alameda Research essenziell ist, verlor drastisch an Wert.
Außerdem versuchten viele Kund:innen von FTX, ihre Assets von der Börse zu nehmen – ein Bank-Run, wie dieser Ansturm auf die digitalen Kassenschalter der Börse genannt wird.
On-Chain-Daten sollen belegen, dass FTX zeitweise tatsächlich nicht in der Lage war, Vermögenswerte der Kund:innen auszuzahlen. Auch ein Einspringen der Schwesterfirma Alameda Research konnte den Bedarf an Liquidität anscheinend nicht decken.
Es wurde still um FTX – bis gestern Nachmittag deutscher Zeit die Bombe platzte: Binance als erster FTX-Investor wird auch sein letzter sein. Das verkündete Sam Bankman-Fried auf Twitter.
Die Auszahlungsschwierigkeiten würden sich – dank der Hilfe von Binance – bald aufklären, schreibt SBF. Und um seine 180-Grad-Wendung zu vollenden, dankt SBF seinem Kontrahenten CZ für die Unterstützung und seinen Einsatz für das Ökosystem.
Minuten später folgt ein ähnlicher Tweet von CZ. Vorbehaltlich der Due-Diligence, der Überprüfung, die für Unternehmenskäufe fällig ist, werde Binance FTX komplett übernehmen.
Die Reaktion aus der Krypto-Community auf Twitter ließ nicht lange auf sich warten. In Anlehnung an die Übernahme von Twitter durch Elon Musk entstand ein Meme, das Binance-Chef CZ bei seinem Antrittsbesuch im Headquarter von SBFs Firma Alameda Reasearch zeigen soll – let that sink in!
Wie geht es jetzt weiter?
Ob Binance FTX tatsächlich übernehmen wird, ist noch fraglich. Die Absichtserklärung, die CZ auf Twitter verkündete, ist rechtlich nicht bindend. „Dass Binance in letzter Sekunde von der Kaufabsicht zurücktritt, ist ein nicht zu geringes Risiko“, sagt Kryptoanalyst Timo Emden.
Noch sei nicht sicher, so Emden, dass eine Liquiditätskrise durch die Übernahme wirklich abgewendet wird. Vielmehr könnten sich auch weitere Kryptounternehmen „anstecken“ und ebenfalls in Liquiditätsschwierigkeiten geraten.
Dieses Ansteckungsrisiko würde viele Anleger:innen aus dem Kryptomarkt treiben, so Emden. „Für Anleger ist außerdem ein fatales Signal, wenn Binance in letzter Sekunde aus dem Deal aussteigen würdel“, sagt der Kryptoexperte.
Schluckt Binance jedoch FTX, konzentriert sich der Markt auf noch weniger Kryptobörsen. „Möglicherweise ist es dann nur eine Frage der Zeit, bis die nächste Börse kollabiert“, sagt Emden. „Dass die anhaltenden Spannungen in der Branche offensichtlich auch vor größeren Adressen nicht Halt machen, lässt die Märkte äußerst allergisch reagieren.“