Boykottaufrufe gegen Edeka: Marketing-Experte erklärt die möglichen Folgen
Der Unternehmensverbund Edeka positioniert sich mit seiner aktuellen Kampagne für Vielfalt und ruft dazu auf, nicht die Alternative für Deutschland (AfD) zu wählen. Neben Zustimmung gab es im Internet, etwa bei Tiktok und auf der Plattform X, Boykottaufrufe.
Wir haben mit dem Marketing-Experten Florian Stahl darüber gesprochen, wie sich politische Positionierungen von Unternehmen und damit verbundene Boykottaufrufe auf Firmen auswirken. Stahl ist als Professor für den Lehrstuhl quantitatives Marketing an der Universität Mannheim zuständig. Was sich im Gespräch gezeigt hat: Wir müssen auf die Situation in den USA schauen, denn deutsche Unternehmen könnten in Zukunft ähnliches erleben wie US-amerikanische Firmen.
t3n: Welche gesellschaftliche Wirkung haben Kampagnen, wie die aktuelle Vielfalts-Kampagne von Edeka?
Florian Stahl: Eine gravierende gesellschaftliche Wirkung gibt es nicht unbedingt. Personen, die die Ansichten teilen, entscheiden sich möglicherweise eher dafür, bei dem Unternehmen einzukaufen, beziehungsweise die Marke zu kaufen. Einen Effekt, dass AfD-Wähler die Anzeige sehen und plötzliche ihre Meinung ändern, gibt es nicht. Das wäre auch die falsche Erwartung für so ein Statement. Es ist einfach ein Klarmachen des eigenen Standpunkts, das auch zu einem Kundenverlust führen kann.
t3n: Gleichzeitig sind solche Statements jedoch hilfreich, Kund:innen an meine Marke zu binden, die meine Einstellung teilen – richtig?
Absolut. Das ist auch die Idee dahinter. Gleichzeitig stecken die Firmen in einem Dilemma: Manche wollen gar keinen politischen Standpunkt deutlich machen, sind dazu aber durch gesellschaftlichen Druck gezwungen.
t3n: Warum sind denn Unternehmen mehr und mehr gezwungen, sich zu positionieren?
Das hängt mit der generellen politischen Polarisierung zusammen. Wir erleben gerade ein Auseinanderdriften der Meinungen. Unterschiedliche Meinungen gab es schon immer, bisher haben die Menschen trotzdem miteinander gesprochen und sich gegenseitig akzeptiert und respektiert. Das ändert sich, es gibt mehr gänzliche Ablehnung. Wir haben eine zunehmende politische Polarisierung in der Gesellschaft, das hängt mit vielen Faktoren zusammen.
t3n: Und das Auseinanderdriften wirkt dann wiederum auf die Unternehmen?
Genau, das hat einen Spillover-Effekt. Gleichzeitig sind für Unternehmen ausländische Fachkräfte wichtig. Allein das unterstützt eine Positionierung für Vielfalt. Gleichzeitig entscheiden sich dann manche Käufer, die Vielfalt ablehnen, gegen das Unternehmen.
t3n: Wie stark wirkt eine solche Ablehnung? Im Edeka-Fall rufen Nutzer:innen in den Sozialen Medien zum Beispiel zum Boykott des Unternehmens auf.
Ich habe dazu ähnliche Untersuchungen in den USA gemacht, da haben sich signifikante Auswirkungen gezeigt. Der deutsche Markt ist fünf bis zehn Jahre hinterher. Ich denke nicht, dass dieser Aufruf momentan Umsätze bei Edeka zum Einbrechen bringt. Nur eine Minderheit ist so radikal, dass sie wirklich einen Boykott ausübt.
Umgekehrt wird Edeka vielleicht neue Kunden gewinnen, die das Unternehmen vorher etwa als zu kapitalistisch eingeordnet haben. Diese Effekte sind derzeit relativ klein. Wenn wir zurückschauen, sehen wir jedoch, dass es vor zehn, fünfzehn Jahren solche Phänomene nicht gab. Mit Blick auf die USA ist die Frage: Wie entwickelt sich das bei uns in Deutschland? Da habe ich die Sorge, dass die Auswirkungen in den nächsten 15 Jahren zunehmen werden.
Warum Werte für Marken wichtig sind, erzählt Jochen Schweizer in dieser t3n-Interview-Episode:
t3n: Das heißt, in den nächsten Jahren könnten wir uns mehr in die Richtung der USA entwickeln. Damit wären die Effekte stärker und eine Positionierung könnte Marken schädigen.
Ja, ein Beispiel für solche Auswirkungen ist Budweiser. Die in den USA beliebte Biermarke hat mal mit einer transgender Person geworben: Da ist nicht nur der Börsenkurs eingebrochen, sondern auch der Umsatz als Folge zwischen 20 und 30 Prozent eingebrochen. Das sind diese großen Effekte.
t3n: Warum sind in Deutschland solche Effekte bis jetzt nicht so ausgeprägt?
Weil wir, zum Glück, bis jetzt nicht ganz so stark polarisiert sind. Trotz der Wahl in Thüringen ist es nicht so, dass deutschlandweit primär die AfD gewählt wird. Zum Vergleich: In den USA spricht sich fast die Hälfte der Bevölkerung für Donald Trump aus. Ich schätze, dass in Deutschland etwa zehn Prozent der AfD-Wähler so polarisiert sind, dass sie solche Boykottaufrufe mitgehen. Dadurch fällt der Effekt geringer aus. In den USA ist es dagegen gängiger, ein Unternehmen, dass die eigenen Ansichten nicht teilt, zu boykottieren.
t3n: Was sollten Unternehmen denn in dieser Situation tun? Auch beim Edeka-Beispiel gab es Händler:innen, die sich von der Kampagne distanziert haben, mit der Aussage, sie würden keine Politik machen. Ist so etwas förderlich, um die Stimmung nicht weiter anzuheizen oder ist es kontraproduktiv?
Das ist schwierig zu sagen. Das zeigt wieder das Dilemma: Ich möchte als Unternehmen für Vielfalt eintreten, habe ausländische Mitarbeiter, aber auch Kunden, die damit ein Problem haben. Wenn ich mich in einem Gebiet befinde, wo stark die AfD gewählt wird, kann es sinnvoll sein, mich mit so einem Statement zurückzuhalten.
Kurios, aber wahr: Die Simpson haben schon mehrere Entwicklungen korrekt vorhergesagt. Wie diese Tech-Beispiele:
t3n: Kommt denn so eine Positionierung, wie sie Edeka gewählt hat, aus dem Herzen des Unternehmens oder sind solche Aktionen – die Deutsche Bahn hat etwa die „Aufsteh-Aktion“ – eher PR?
Es ist ein Mix. Ich habe da noch ein Beispiel: Reinhold Würth hat im März 2024 einen Brief veröffentlicht, in dem er sich gegen die AfD positioniert hat. Der fast 90-jährige Milliardär hat deutlich gemacht, dass er diese Politik ablehnt. Monate späte hat die Firma Würth veröffentlicht, dass sie 1,5 Millionen Euro an Umsatz verloren hat. Dieser Verlust kam bestimmt auch dadurch zustande, dass manche Handwerker dort nicht mehr gekauft haben. Würth wird das nicht nur strategisch gemacht haben, um etwa seine ausländischen Mitarbeiter zu schützen oder im Ausland weiter Umsatz zu machen, sondern auch aus Überzeugung. Bei uns sind solche Statements zudem noch freiwillig. Wenn wir wieder auf die USA schauen, sehen wir, wie verpflichtend sie dort mittlerweile sind: Kunden fordern eine Positionierung, wodurch sie möglicherweise weniger aus Überzeugung, denn aus Zwang kommt. Die deutschen Beispiele zeigen, dass die Positionierung zu Philosophie und Vision der Unternehmen passen und nicht nur strategisch geprägt sind.
t3n: Wenn wir auf den Vergleich mit den USA schauen: Sollten Unternehmen in Deutschland sich jetzt schon überlegen, wie sie sich politisch positionieren wollen?
Ja. Wenn ich eine Massenmarke habe, würde ich den Zeitpunkt allerdings so weit wie möglich hinauszögern. Schließlich möchte ich in diesem Fall möglichst für alle relevant sein. Generell sollten sich Unternehmen dazu jetzt Gedanken machen und ich denke, viele tun das schon. Da sind wir aber bei einem anderen Problem: Viele Eigentümer und Manager in Führungsetagen haben schon eine klare Positionierung. Jedoch gibt es eine Disconnection zu Mitarbeitern. Ähnlich wie Politiker werden Manager als wenig glaubwürdig wahrgenommen. Da heißt es: „Von denen da oben lassen wir uns nichts sagen, die fahren einen Porsche“. Manager und Politiker haben mittlerweile ein schlechtes Ansehen in der Gesellschaft. Ich kann mir vorstellen, dass solche Statements für Vielfalt – die aus meiner Sicht die Mehrheit in Führungsetagen teilt – bei Angestellten zu einer Reaktanz führt.
t3n: Wäre es dann nicht sinnvoll, bei solchen Aktionen auf die Beteiligung der Mitarbeiter:innen zu setzen?
Ja, so wird es ja auch bei Recruiting-Kampagnen gemacht, etwa bei der Deutschen Bahn, wo direkt Vielfalt gezeigt wird. Es macht Sinn, dass Mitarbeiter der untersten Ebene ebenfalls zeigen, dass sie für Vielfalt stehen. Gleichzeitig ist es unmöglich, eine Botschaft zu formulieren, die für alle passt. Das ist auch ein Grund, warum Unternehmen vor der AfD warnen. Wir schlittern mit der Partei in ein Problem der zunehmenden Polarisierung, bei der solche Botschaften zum Zwang werden und möglicherweise über die Zukunft einer Firma entscheiden. Insgesamt ist es einfach wichtig, dass wir nicht in solche Verhältnisse kommen.